Log #176 – Unter der Erde

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Ich musste mich in eine neue Situation einfinden und blickte zurück auf ein ereignisreiches Jahr.


Frustriert saß ich auf der Bettkante in meinem kleinen Hub. Die EZ Hubs auf den Raumstationen und die Hubs in Grim Hex waren ja auch klein. Aber dieses hier war besonders bedrückend. Hinter mir war die Röhre mit dem Bett. Es glich eher einem Sarg als einem Schlafgemach. Zu meiner Rechten war ein kleines Waschbecken und links die metallene Kloschüssel. 1,5 Meter vor mir die verschlossene Tür. Daneben hing ein Monitor auf dem Stand, was ich zu tun und zu lassen hatte. Es war zutiefst deprimierend.

Wie bin ich nur in diese Abgründe gesunken? Dabei hatte es doch gut angefangen. Oder zumindest gut gemeint. Mit Spezialtransporten um den unterdrückten Arbeitern in Lorville zu helfen. Als humanitäre Aktion hätte ich es bezeichnet, doch aus Sicht des Megakonzerns Hurston Dynamics war es illegal. Dabei ging es um so harmlose Sachen wie DMC Hosen. Sie waren überall im Stanton System legal zu erwerben, nur auf dem Planeten Hurston waren sie verboten. Der Konzern tat alles, um seine Macht zu erhalten, seinen Profit zu vergrößern und das auf dem Rücken der Arbeiter. 

Vor einem Jahr waren die Aktivisten von Lorville auf mich zugekommen und hatten gefragt, ob ich helfen könnte. Ob ich das, was die Arbeiter für das tägliche Leben brauchten und nicht bekommen konnten, nach Lorville schmuggeln würde. Natürlich wollte ich helfen. Doch es stellte sich als schwieriger heraus, als ich dachte. Lorville war inzwischen eine Festung. Die alten Schmuggelwege waren nicht nur versiegt, sie waren versiegelt. Trocken gelegt von den Sicherheitskräften. Die ausgetrockneten Routen konnten die Stadt nicht mehr versorgen. Wie in einer Dürre leideten die Arbeiter am Mangel. Ich musste neue Wege finden, um den Arbeitern das zu bringen, was ihnen fehlte.

Und jetzt saß ich hier und hatte selber einen Mangel. Einen Mangel an Freiheit. Schwerfällig erhob ich mich, öffnete die Tür und trat vor mein Hub. Es befand sich auf einer der oberen Ebenen. Am Geländer des metallenen Laufstegs blieb ich stehen und schaute hinunter auf den zentralen Platz der Anlage, die sich tief unter der Erde befand. Auf dem Platz waren Tische und Sitzbänke. Vereinzelt saßen Leute dort. Sie trugen die gleichen gelben Overalls wie ich. “Prisoner” stand auf der Brust. Überall patrouillieren Wachen von Hurston Security. Die Stimmung war trist. Gewalt war an der Tagesordnung. Jeder kämpfte für sich und versuchte irgendwie zu überleben. Auch auf Kosten anderer. Freunde konnte ich hier keine finden. 

Ich musste an die Free Riders of Stanton denken. Dem Biker-Club, dem ich vor einigen Monaten beigetreten war. Ein Club, der für Freiheit und gegenseitige Hilfe stand. Die Free Riders zeigten mir, wie ich unbemerkt von der Flugkontrolle nach Lorville kommen konnte. Doch es war eine aufwendige Schmuggelroute. Für regelmäßige Lieferungen brauchte ich einen anderen Weg. Ich brauchte einen Zugang zur Stadt ohne Zollkontrolle, wie ihn die Kuriere vom Lieferdienst Red Wind Linehaul hatten. Und tatsächlich schaffte ich es, mir die Reputation eines Red Wind Kuriers zu erschleichen

Der Red Wind Kurier Status verschaffte mir nicht nur zollfreien Zugang zur Stadt, sondern auch lukrative Aufträge, die mich in die Sicherheits-Bunker auf dem Planeten Hurston führten. Dort konnte ich Rüstungen von Hurston Security und von den Nine Tails erbeuten. Eine Ware, die in manchen Kreisen sehr begehrt war und die ich auf dem Schwarzmarkt gut verkaufen konnte

Doch die Aktivisten in Lorville waren unzufrieden. Mein zollfreier Zugang zur Stadt öffnete die Schmuggel-Tür nur einen kleinen Spalt. Durch ihn passten nur geringe Mengen. Zu wenig, um den großen Bedarf der Arbeiter zu decken. Erst durch einen korrupten Geschäftsmann aus Lorville konnte ich die Tür komplett aufstoßen. Er konnte ganze Schiffsladungen am Zoll vorbei bringen. Allerdings kostete mich die Abmachung mit ihm einiges. Anfangs wollte er nur einen Teil der Ladung als Gegenleistung. Mit der Zeit wurde er immer gieriger, erhöhte ständig seine Bezahlung bis ich ihm schließlich Drogen liefern musste. Mein Risiko beim Schmuggel stieg erheblich. Doch ich hatte es geschafft. Ich konnte die Arbeiter in Lorville in ganz großem Stil unterstützen und alles in die Stadt schmuggeln, was sie benötigten.

Der Nerven zerreißende Ton einer Sirene riss mich aus meinen Gedanken. Immer mehr Leute in gelben Overalls strömten auf den zentralen Platz. Es war Fütterungszeit. Die wilden Bestien in dieser Einrichtung bekamen etwas zum Kauen. Unmotiviert lief ich die Metallstufen hinunter. Nur ein Wunder konnte mich hier wieder rausbringen. Oder jemand mit ganz viel Einfluss. Gab es so jemanden? Konnte ich auf ein Wunder von X hoffen?

X war ein Mysterium, das mich vor 12 Monaten auf Orison kontaktiert hatte. X kannte mich und meine Rolle in der Killersatelliten Geschichte. Woher auch immer. Ich jedoch hatte keine Ahnung, wer er oder sie war. Nach einigen Aufträgen für X hatte ich nichts mehr von dem Unbekannten gehört. Auf jeden Fall schien X sehr viel Einfluss zu haben. Doch ob der Einfluss so weit reichte um mich hier rauszuholen? Ich bezweifelte es.

Lustlos stocherte ich in dem Brei herum, der mir als Fraß vorgesetzt wurde. Um mich herum schmatzten, rülpsten und schimpften die anderen Gäste. So wurden wir in dieser Rehabilitationseinrichtung genannt. Es war ein Hohn, das ganze System war ein Hohn. Weggesperrt, unter die Erde verfrachtet, allen Rechten beraubt waren wir. Es war völlig irrelevant, ob jemand lebend aus diesem Loch herauskam. Sie könnten uns als Versuchskaninchen für Experimente nutzen und niemanden würde es interessieren.

Ob hier unter der Erde auch mit ENOS experimentiert wurde? Unwahrscheinlich. Wir hatten in den letzten Monaten bei verschiedenen Aktionen einiges über das skandalöse und streng geheime Projekt ENOS herausgefunden. ENOS hatte sich von einem Heilmittel zu einem Kampfstoff gegen die Vanduul entwickelt. Doch damit nicht genug. Inzwischen waren sie bei der Züchtung von programmierbaren Organismen angekommen. Es war die Rede von Supersoldaten. Die Spuren führten in das Pyro System

Die Machenschaften rund um ENOS waren jedoch nicht die einzige Gefahr im Stanton System. Die Nine Tails waren in letzter Zeit immer aggressiver aufgetreten. Die Piratengruppe hatte Raumstationen und Plattformen in der Wolkenstadt Orison angegriffen. An immer mehr Orten im Stanton System ließen sie sich nieder. Nirgends war man vor ihnen sicher. Wer nicht nach ihrem Takt tanzte, wurde von der Tanzfläche entfernt. Wie die Bergungs-Mannschaft, die ich tot auf einer Reclaimer gefunden hatte.

Doch was interessierte mich das? Tief unter der Erde vom Mond Aberdeen saß ich fest. Im Hochsicherheitsgefängnis Klescher. Es sah nicht danach aus, dass ich meine Zeit absitzen und irgendwann wieder raus spazieren könnte. Hurston Dynamics hatte Interesse daran, mich verschwinden zu lassen. Nicht nur weil ich die Arbeiter und die Aktivisten auf Hurston unterstützte. Auch mit der Aufklärung des Killersatelliten Skandals hatte ich Hurston Dynamics mächtig gegen das Bein gepinkelt. Der Haftbefehl gegen mich war nur der erste Schritt. 

Es wurde alles getan, damit ich im Knast eine verdammt miese und lange Zeit haben würde. Dass ich vielleicht nie wieder rauskommen würde. Jeder Insasse bekam ein Multitool, um in den Minen zu arbeiten und damit seine Strafzeit zu verkürzen. Mir wurde keines zur Verfügung gestellt. Also warum sollte es mich interessieren, wie sich die Dinge an der Oberfläche entwickelten. Irgendjemand hatte mich verraten und am Ende wurde ich geschnappt. Dabei wollte ich nur helfen und etwas gegen die Ungerechtigkeit unternehmen. Doch dann ging alles den Bach runter und hier war Endstation. 

Eine Lautsprecherdurchsage hallte durch das Gefängnis. Zynisch verkündete sie, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf den Ausgang lenken sollten, da einer der Gäste seine Zeit in der Einrichtung beendet hatte und in das normale Leben zurückkehrte. Meine Aufmerksamkeit lag jedoch woanders. Auf dem Zugang zu den Minen. Es war das Tor zur Hölle. Dort gab es keinen Sauerstoff, keine Wachen, nur das Recht des Stärkeren. Aber vielleicht auch eine Hoffnung auf einen Weg zurück nach draußen.