Log #143 – Die Festung Lorville

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Ich suchte einen Weg wie ich Waren nach Lorville schmuggeln konnte.


Die Atmosphäre passte zu meiner Stimmung. Betrübt. Ein undurchsichtiger gelber Nebel umgab mich. Die Luft war dick und heiß. Der Schweiß floss mir von der Stirn. Es roch nach Öl, der Krach von Maschinen war zu hören. Nach meinem Misslungenen Test am Stadttor von Lorville war mir klar geworden, dass ich Hilfe brauchte. Ich war in den Production Quad FD 19 gegangen um jemanden zu treffen. Genau genommen, ich hoffte jemanden zu finden. Hier in den unteren Ebenen in Lorville hatte ich früher meine Kontaktleute getroffen die mir beim Schmuggeln geholfen hatten. Doch niemand war da. Langsam tastete ich mich durch den dicken Nebel. Die Luft biss in der Kehle, das atmen fiel mir schwer. Ich musste husten. Dumpf hallte mein Husten von den Wänden zurück.

Dann sah ich jemanden ein Stück entfernt. Nur schemenhaft konnte ich die Person im gelben Dunst erkennen. Hatte ich endlich meine alten Kontakte gefunden? Ich ging näher als plötzlich eine metallische Stimme zu hören war.

“Halt! Zutritt nur für Arbeiter. Sie haben hier nichts verloren.”

Die schemenhafte Gestalt entpuppte sich als Wachmann von Hurston Security. Hinter der Wache versperrte ein Drehtor den Weg. Nicht nur an den Stadttoren waren die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Hier unten auch. Aber wo waren die Wartungstechniker die ich früher hier getroffen hatte?

Abends gesellte ich mich vor den HABs zu den Arbeitern. In einer Ecke hinter dem Billiardtisch trank ich mit zwei Typen ein paar Schmoltz. Gemütlich standen wir um einen Stehtisch.

“Hey ich war lange nicht mehr in Lorville. Hat sich einiges verändert. Wurde der FD 19 automatisiert? Habe dort keine Arbeiter getroffen, nur Wachen.”

“Ne die haben die Sicherheit verstärkt. Wir müssen jetzt alle mit einer ID Karte durch die Drehtür. Kannst nicht mehr einfach dort rumlaufen. Und abhängen ist auch nicht mehr. Sobald Du stehen bleibst kommt gleich eine Wache und scheißt dich an.” Der Typ klang müde und abgearbeitet.

“Wieso? Hat jemand einen Schraubenschlüssel geklaut?”

“Was weiß ich. Die Manager spinnen doch. Wer steht arbeitet nicht. Und wer tuschelt schmiedet böse Pläne. So denken die doch.”

“Es gab einige Vorfälle”, ergänzte der andere Typ. “Wartungstechniker waren in illegale Aktivitäten verwickelt. Sie hatten ihre erweiterten Privilegien genutzt um Waren zu schmuggeln. Jetzt wird stärker kontrolliert.”

“Wurden den Wartungstechniker die Sonderrechte entzogen”, fragte ich.

“Zumindest eingeschränkt. Sie können sich freier bewegen als normale Arbeiter. Aber ohne Kontrolle kommen sie nicht mehr in die Stadt rein oder raus.”

So langsam wurde mir klar, dass der Schmuggel nach Lorville nicht mehr so einfach war wie früher. Vielleicht war er sogar unmöglich. Hurston tat alles um die Einfuhr von unerwünschten Waren zu unterbinden. Ich war fassungslos. Warum? Warum verbot Hurston Waren die überall im Stanton System gekauft werden konnten? Auch so praktische Dinge wie eine DMC-Hose. Es war einfach nur eine Demonstration der Macht. Die Hurston Familie machte deutlich, dass alle dem Willen der Familie unterworfen waren. Verärgert verließ ich den Wohnblock. Auf dem Weg zur M&V Bar säumten Müllcontainer und Müllsäcke meinen Weg. Im Arbeiterviertel sah es schlimm aus. Dreck wohin man schaute. Kein Glanz wie im Central Business District. Mit gesenktem Kopf ging ich an einer Wache vorbei. Bloß nicht auffallen.

In der M&V Bar war die Musik viel zu laut und zu schrill. Eine Sache die sich nicht verändert hatte in Lorville. Die alten Cutterwash Poster mit dem Totenkopf hingen auch noch hinter der Bar. Ich war überrascht das die noch nicht verboten waren. Der Barkeeper stellt ein Glas Bier vor mir auf den Tresen. Es sah schal aus und dünn. Ich konnte durchschauen. Eine vernünftige Schaumkrone hatte es auch nicht. Klar, gute alkoholische Getränke waren verboten. Mit einer Kopfbewegung zeigte ich auf das Glas.

“Immer noch gefärbtes Wasser mit einem Tropfen Alkohol?”

“Was soll ich machen.”

“Was ist mit den Speziallieferungen? Cutterwash.”

Der Barkeeper verstand meine Andeutung. Früher wurde guter Alkohol nach Hurston geschmuggelt. Ich war damals Teil der Lieferkette und musste die Ware auf den Rest-Stops bei den Lagrange Points abliefern

“Da kommt nichts mehr”, sagte der Barkeeper mit verzweifelter Stimme. “Nichts und niemand kommt ohne Kontrolle in die Stadt.”

“Ernsthaft? Muss ja ewig dauern bis die Waren durch die Kontrollen sind. Was ist mit Eillieferungen? Gibt es sowas nicht mehr?” Meine Stimme klang nach einer Mischung aus Überraschung und Verzweiflung. Die Vorstellung irgendwas in die Stadt zu schmuggeln schmolz dahin wie Eis in der heißen Sonne von Aberdeen.

“Die einzigen die ohne Kontrolle rein kommen sind die Kuriere von Red Wind. Aber nur die mit dem Status eines Kuriers. Die normalen Boten werden auch kontrolliert.”

“Verstehe.” 

Ich nahm das Glas Bier und verzog mich in eine dunkle Ecke der Bar. War’s das? Der Schmuggel war vorbei bevor er angefangen hatte? Dann kam mir eine Idee.

Am nächsten Tag fuhr ich mit der Metro quer durch Lorville. Groß und protzig stand das Hauptquartier von Hurston Dynamics links neben den Gleisen. Egal wo man in der Stadt war, die monstrosität von Gebäude war überall zu sehen. Selbst aus dem Orbit konnte man es klar und deutlich erkennen. Eine weitere Machtdemonstration der Hurston Familie. Oder eher ein Zeichen von Größenwahn. Ich hatte einen Termin bei Red Wind Linehaul, dem Kurierdienst im Planetensystem Hurston. Der Barkeeper hatte mich auf die Idee gebracht. Wenn Kuriere von Red Wind ohne Kontrolle durch den Zoll kamen, musste ich mich nur bei Red Wind anstellen lassen um im Laufe der Zeit das gleiche Privileg zu haben. Das war meine Eintrittskarte für den Schmuggel.

Der Typ von Red Wind empfing mich in einer kleinen halbdunklen Besprechungsecke.  Kein Prunk, kein Protz. Ein Bild an der Wand, eine Lampe auf dem Tisch, sonst nichts. Wir saßen uns gegenüber, der Tisch stand zwischen uns. Wie ein kleiner Schuljunge saß ich da und legte beide Hände brav auf die Tischplatte.

“Wir sind immer auf der Suche nach zuverlässigen Kurieren”, eröffnete er das Gespräch. “Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Disziplin. Das sind Werte für die Red Wind steht und auf die sich unsere Kunden verlassen. Sie haben keinen Citizen Status, Sie sind nur ein Civilian. Demzufolge haben Sie auch nicht im Militär gedient oder sonst eine Aufgabe im Dienste des UEE gehabt. Daher kann ich nicht sicher sein, dass Sie unsere Werte verinnerlicht haben. Eine Einstellung ist somit nicht möglich.”

Ohne ein weiteres Wort stand der Typ auf und ließ mich einfach zurück. Ich war sprachlos. Da war sie wieder. Die Ungerechtigkeit und Ungleichheit im UEE. Mein Blut kochte, voller Wut ballte ich die Fäuste und schlug auf den Tisch.

Um wieder einen kühlen Kopf zu bekommen fuhr ich mit einer Dragonfly auf einen Hügel etwas entfernt von Lorville. Die Hochhäuser waren nur als kleine Erhebungen zu erkennen. Das Hauptquartier von Hurston Dynamics dominierte die Silhouette der Stadt. Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont und tauchte alles in einen rostig braun-roten Dunst. Es war ruhig, nur der Wind säuselte leise. Aus der Ferne wirkte Lorville wie eine Festung mit einem gigantischen Wachturm. Wie sollte ich jemals Waren in die Stadt schmuggeln? Es war schlimm genug, dass ich überhaupt etwas schmuggeln musste um den Arbeitern zu helfen. Warum hatten die Menschen nicht die Freiheit das zu kaufen was jeder andere in Stanton kaufen konnte. Freiheit war etwas das es hier nicht gab.

Dann musste ich an die Wache denken die mich am Stadttor kontrolliert hatte. Was hatte sie zu mir gesagt? Ob ich einer dieser FROS Typen sei, ein Freiheitskämpfer? Gab es eine Gruppe die für die Freiheit kämpfte? Von FROS hatte ich noch nie gehört. Aber es gab jemanden den ich fragen konnte, jemand der garantiert wusste wer oder was FROS war. Brubacker.