Planlos, falsche Annahmen, falsche Reaktionen. Zutaten, die nicht gut enden können.
Still, zerbrochen und dennoch bedrohlich lag es vor mir. Meter für Meter suchte ich das Umfeld mit dem Zielfernrohr ab. Die Nine Tails, die ich am rostigen Gerippe der abgestürzten Reclaimer vermutete, waren nicht meine einzige Sorge. Kopfgeldjäger waren wegen des Haftbefehls, den Hurston Dynamics gegen mich ausgestellt hatte, hinter mir her. Seitdem wechselte ich ständig meinen Standort. Um mit der White-Rabbit keine unnötigen Spuren zu hinterlassen, nutze ich jede Gelegenheit, um Zeit auf anderen Raumschiffen zu verbringen. Nach dem Einsatz auf der Corsair von Kjeld war ich jetzt an Bord der Carrack, die Brubacker von Anvil bekommen hatte.
Die Crew der Carrack hatte ein hadesianisches Artefakt an Bord gefunden, das seltsame Visionen verursachte. Ein Artefakt, das dort nicht sein durfte. Brubacker hatte Informationen, die zu einem Wrack auf Microtech führten. Er hoffte dort weitere Hinweise auf den Ursprung des Artefakts zu finden. Es war ausgerechnet das Wrack, bei dem ich bereits mit Heriemoth war. Das Wrack der abgestürzten Reclaimer von der Bergungsmannschaft, die ich tot aufgefunden hatte. Sie wurden von den Nine Tails umgebracht, nachdem sie dubiose Geschäfte mit ihnen gemacht hatten. Ging es bei den Geschäften um das Artefakt?
Von einer Anhöhe aus versuchte ich mir einen Überblick zu verschaffen. Das Wrack lag unter uns zwischen den Bäumen. Die Vegetation gab uns gute Deckung, verdeckte aber auch die Sicht. Es schien verlassen zu sein, nur sicher war ich mir nicht. Plötzlich waren Schreie zu hören. Es waren Brubacker und Gabriel.
“Verflucht. Wir sind den Hang hinuntergestürzt. Es ist verdammt rutschig hier.”
“Wir sind verletzt und können uns nicht bewegen. Könnt Ihr kommen und uns helfen?”
Ella und ich schauten uns an. Brubacker und Gabriel waren ungefähr 100 Meter entfernt.
“Zero, hier ist es nicht so steil. Da kommen wir sicher nach unten.”
“OK. Aber lass uns die Augen offen halten. Ich will nicht von umher streunenden Nine Tails überrascht werden.”
Brubacker und Gabriel lagen bewegungslos im Dreck. Der kalte Wind von Microtech hatte sie bereits mit einer Eisschicht zugedeckt. Ella, die erfahrene Krankenschwester, brachte beide schnell wieder auf die Beine und wir konnten gemeinsam das Wrack durchsuchen.
Ziellos schauten wir nach irgendwelchen unbekannten Hinweisen. Obwohl ich schon hier war, fand ich es immer noch unheimlich. Das Wrack war nach wie vor gespenstig. Es raschelte und knirschte hinter den rostigen Wänden. Geister huschten durch die dunklen Gänge. Doch außer ein paar Versorgungskisten fanden wir nichts hilfreiches.
In der Nähe des Wracks befand sich ein zugewachsener Landeplatz. Er war kaum zu erkennen. Mehrere Container standen dort. Und eine Kommunikationseinrichtung. Sie war aktiv und wurde vor kurzem benutzt. Gab es in den Kommunikationsprotokollen einen Hinweis auf das Artefakt?
Gerade als ich darauf zugreifen wollte, rief Brubacker: “Ich höre Raumschiffe. Sie kommen näher.”
Das Grollen wurde immer lauter. Wie aus dem Nichts rauschten eine Drake Cutter und eine Avenger im Tiefflug über uns. Nur kurz waren sie zu sehen und verschwanden so schnell wie sie gekommen waren hinter den Bäumen. Wir hatten keine Ahnung, wer sie waren, was sie wollten oder ob sie eine Bedrohung darstellten. Nur eines war klar. Es war Zeit zu verschwinden. Doch vorher brauchten wir die Daten aus der Kommunikationseinrichtung.
Gabriel reagierte am schnellsten. “Hoffentlich attackieren die nicht unsere Carrack. Ich fahre mit dem Rover zum Schiff und hole Euch ab.”
“Zero, kannst Du solange die Daten aus der Kommunikationseinrichtung runterladen?”
Brubacker hatte recht. Besser herunterladen und später analysieren als länger auf dem Präsentierteller zu stehen. Der Fortschrittsbalken zeigte gerade 100%, als die Raumschiffe wieder auftauchten. Die Cutter setzte zur Landung an, während die Avenger in der Luft schwebte. Brubacker versteckte sich 10 Meter entfernt in einem Container, ich ging hinter einem Faß in Deckung. Plötzlich tauchte eine Blade auf. Die Replika des Vanduul Jägers kreiste wie ein Raubvogel über uns. Die Situation wurde immer bedrohlicher.
Eine Staubwolke wirbelte uns entgegen als die Cutter auf dem Boden aufsetzte. Die Triebwerke verstummten. Nur das Dröhnen der Blade, die über uns kreiste, war zu hören. Mit einem schweren Knarzen öffnete sich die Heckrampe der Cutter. Zwei Typen in bedrohlich wirkender Kampfausrüstung stiegen aus. Einer hatte eine Waffe im Anschlag. Wer waren die Kerle? Schatzjäger? Kopfgeldjäger? Waren die wegen mir hier?
Der Typ mit der Waffe ging auf den Container zu, in dem Brubacker versteckt war. Was sollte ich machen? Meine Waffe ziehen und das Feuer eröffnen? Wir waren deutlich in der Unterzahl. Außerdem wollte ich nichts tun, was wie eine Aggression wirkte. Der Typ mit der Waffe hatte fast den Container erreicht. Wie erstarrt kniete ich hinter dem Faß, unfähig etwas zu unternehmen. Dann stand er direkt vor Brubacker. Die Anspannung zerriss mich fast.
Plötzlich steckte der Typ seine Waffe weg und sagte. “Hey Leute. Habt Ihr das Gebiet schon gesäubert? Dann schauen wir uns auch mal um”
Es war Brubacker der als erster die Sprache wieder fand. ”Äh ja. Keine Nine Tails hier. Alles sicher.”
*
An Bord der Carrack schauten Brubacker und ich auf die Daten aus der Kommunikationseinrichtung. Es war lauter kryptisches Zeug. Schließlich fiel mir etwas auf.
“Schau mal da. Das sieht doch aus wie ein neuronales Netz und das wie Gehirnwellenmuster. Könnte es sein, dass das Artefakt Gedanken beeinflussen kann? Vielleicht sogar einen Gedanken einpflanzen? Eine Art Transmitter?”
Ella und Gabriel stiegen in das Ratespiel ein.
“Oder es ist einfach nur ein Alltagsgegenstand. Vielleicht war das ihre normale Art, miteinander zu kommunizieren. Man spricht miteinander, indem man den anderen einfach in den Kopf lässt.”
“Erspart das Reisen.”
“Die Hadesianer haben ihren ganzen Planeten in die Luft gesprengt. Es gab einen großen Krieg. Vielleicht wollten sie sich so einen Vorteil über ihre Gegner verschaffen, wissen was sie planen…und es ist doch eine Waffe…die mächtigste überhaupt”, sinnierte Brubacker.
Ratlos schauten wir uns an. Wir hatten keine Ahnung und waren so schlau wie vorher.
*
Bereits am nächsten Tag hatte ich das Rätsel um das Artefakt wieder vergessen. Mich beschäftigte vielmehr der Haftbefehl. Und die Nachricht, die mir Sam geschickt hatte. Er war mein Kontakt zu den Aktivisten in Lorville.
Zero, die Situation hier droht überzukochen. Die Lage wird immer verzweifelter. Wir müssen dringend reden. Ich weiss Du kannst wegen dem Haftbefehl nicht her kommen. Wir treffen uns im Wolf Point Aid Shelter auf dem Mond Daymar.
Sam.
Sofort machte ich mich mit der White-Rabbit auf den Weg. Als ich das Gebäude betrat, fiel mir auf dem Boden eine Blutlache auf. Eine Schleifspur führte von der Luftschleuse nach links zu den Betten. Mein Blick folgte der Spur und erstarrte. Da stand ein Typ in einer grau roten Rüstung. Er hielt ein Sturmgewehr in der Hand, das die gleichen Farben wie seine Rüstung hatte. An den Armen waren goldene Ringe zu sehen, auch die Finger der Handschuhe waren gold. Er sah aus wie ein Jäger, der geduldig auf seine Beute wartete.
Er sprach mit ruhiger, fester Stimme. “Zero Sense?”
Verwirrt antwortete ich zögerlich. “Äh, ja.”
Noch bevor ich den Mund zugemacht hatte, wusste ich, das war ein Fehler. Doch den Gedanken konnte ich nicht zu Ende denken. Ich sah noch wie das Gewehr blitzartig auf mich zukam. Dann wurde es dunkel. Eine unendliche Leere umgab mich. Zeitlos, gefühllos. Alle Sinne waren ausgeschaltet. Ich war ausgeschaltet.
Die Geschichten von Zero Sense gehen im Januar weiter.
Ich wünsche Euch allen schöne Weihnachten und einen guten Rutsch ins nächste Jahr.