Log #177 – Höhlen Dilemma

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Verzweifelt suchte ich in Klescher einen Weg zu überleben.


“Ohne Multitool hast Du hier keine Chance.” Der Blick des hünenhaften Typs in gelbem Overall war eisern.

Etwas trotzig erwiderte ich. “Was soll ich mit einem Multitool? Hurston Security lässt mich eh nicht raus.”

“Ich rede nicht von der Verkürzung Deiner Haftzeit. Ich rede vom blanken Überleben!”

Das hatte gesessen wie ein Faustschlag mitten auf die Nase. Doch der Typ war noch nicht fertig. 

“Irgendwann wirst Du einem Häftling begegnen, der Dich vor die Wahl stellt. Merits oder Tod. Und Merits bekommst Du am besten beim Mining mit einem Multitool in den Minen.”

Das war kein Faustschlag mehr, sondern ein Hieb mit dem Hammer. Es fühlte sich an, als ob der Boden unter mir nachgeben würde. Nur mit Mühe konnte ich ein Zittern meiner Stimme unterdrücken.

“Toll! Und jetzt? Ich hab kein Multitool, um Merits zu verdienen. Und ich habe keine Merits, um mir ein Multitool zu kaufen.”

“Dein Problem”, polterte der Hühne. “Dann musst Du Dir ein Multitool aus den kalten toten Händen eines anderen Häftlings holen. So läuft das hier. Der Stärkere überlebt.”

Die Zwickmühle, in der ich mich befand, war erdrückend. Kein Multitool, keine Merits und umbringen wollte ich auch niemanden. Das Hochsicherheitsgefängnis Klescher war die Hölle und ich war mittendrin. Frustriert und eingeschüchtert ging ich zu einem Kiosk. Die Anzeige auf dem Bildschirm war ein weiterer Schlag ins Gesicht. Hier konnte ich alles kaufen, was mir weiterhelfen würde. Essen, Trinken, Medipens, Oxypens und …..
Multitools. Nur rechts oben auf dem Bildschirm stand 0 Merits. Für mich gab es nichts.

Mein Blick ging nach rechts. Dort, hinter der Stahltür der Luftschleuse, lag meine einzige Hoffnung. Die Minen. Mit etwas Glück würde ich dort jemanden finden, der es nicht geschafft hatte. Jemand, der sein Multitool nicht mehr benötigte. Jemand, der sein Leben schon ausgehaucht hatte.

Mit weichen Knien machte ich mich auf den Weg in die Minen. Kleine Scheinwerfer leuchten in einem schwachen gelb. Weit konnte ich nicht sehen. Regelmäßig rieselten kleine Steine von der Decke. Stabil schienen die Stollen nicht zu sein. Hinter jeder Ecke befürchtete ich Gefahren. Meine Notlage trieb mich jedoch immer tiefer in den Stollen. Vorbei an Edelsteinen, die darauf warteten abgebaut zu werden. Doch nicht von mir, nicht solange ich kein Multitool hatte.

Irgendwann fiel mir hinter einigen Steinen etwas auf, das blau schimmerte. Neugierig schaltete ich meine Helmlampe an. Erstaunt schaute ich auf meinen Fund. Im Schein der Lampe lagen eine Wasserflasche, eine Essensration, ein Oxypen und ein Messer. Das Messer war zwar provisorisch aus Resten zusammengebaut, aber trotzdem eine wirkungsvolle Waffe.

Gerade als ich alles einpacken wollte, hörte ich den Hall von Schritten. Wie angewurzelt verharrte ich an Ort und Stelle. Kam der Besitzer von diesem kleinen Lager? Würde er mit Gewalt meinen Fund an sich reißen? 

Dann stand ein anderer Häftling vor mir. Wir starrten uns an. Wer würde als erstes zucken? Es war der andere. Blitzschnell waren seine Bewegungen. Flink wie eine Katze drehte er sich um und rannte davon. Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, was gerade passiert war. Wie ein Muttertier, das sein Nest verteidigte, stand ich mit dem Messer in der Hand über meinem Fund. Der Anblick von der Waffe hatte wohl ausgereicht, um den anderen in die Flucht zu schlagen. Nachdenklich schaute ich mir das Messer an. Sollte ich es doch nutzen, um mir ein Multitool mit Gewalt von einem anderen Häftling zu holen? 

Der Gedanke gefiel mir gar nicht. Doch welche Optionen hatte ich, wenn ich kein herrenloses Multitool finden konnte? Mit einem unbehaglichen Gefühl ging ich weiter. Je tiefer ich in den Stollen vordrang, desto instabiler wirkte er. Überall lag Geröll, das Vorankommen wurde beschwerlicher. Schwer atmend kämpfte ich mich voran. Dann stolperte ich über einen Rucksack. Voller Freude riss ich den Deckel auf und drehte ihn auf den Kopf, um den Inhalt auszukippen. Nichts. Wütend schüttelte ich den gelben Rucksack. Doch nichts fiel auf den Boden. Der Rucksack war leer.

Mir blieb nichts übrig, als weiter zu suchen. Während ich durch den Stollen stapfte, merkte ich, wie ich das Messer unbewusst in die Hand genommen hatte. Langsam drehte ich es hin und her. War das der Weg? Konnte ich nur mit Hilfe des Messers ein Multitool bekommen? Ein innerer Kampf tobte in mir. Leben oder leben lassen. Kämpfen oder weiter suchen. Während mein innerer Konflikt eskalierte, stieg ein neues Problem empor. Eines, das meine bisherigen Schwierigkeiten in den Schatten stellte. 

Mein Sauerstoff ging zur Neige. Ich hatte bereits weit über die Hälfte verbraucht. Zurück konnte ich nicht mehr. Es gab für mich nur eine Richtung. Weiter, tiefer in den Stollen und hoffen, dass ich bald eine Sauerstoffstation finden würde. Wie sich die Dinge doch ändern können. Gerade war ein Multitool noch das Wichtigste für mich. Etwas, für das ich sogar in Erwägung zog zu töten. Und jetzt hoffte ich nur noch auf Sauerstoff. 

Nach einigen Minuten sah ich ein Stück voraus im gelben Licht der Scheinwerfer einen roten Kasten. Eine Ladestation für Sauerstoff. Ohne es bewusst zu wollen, bewegten sich meine Beine immer schneller und rannten schließlich. Nachdem ich die Ladestation erreichte, stützte ich mich schwer atmend darauf ab. Als ich auf den Bildschirm schaute, hatte ich das Gefühl, in ein tiefes Loch zu fallen. Die Füllstandsanzeige auf dem Display schien mich anzugrinsen und zu verhöhnen. Sie zeigte 0%. Es gab keinen Sauerstoff. Mein Glück schien mich verlassen zu haben. Kein Sauerstoff, kein Multitool, keine Zukunft.

Wie in Trance ging ich weiter. Mutlos setzte ich ein Fuss vor den anderen. Der Stollen schien immer enger zu werden, schien mich erdrücken zu wollen. Doch plötzlich sah ich eine weitere Sauerstoffstation. Und daneben lag eine Person auf dem Boden. Sauerstoff und Multitool auf einmal? War mein Glück zurückgekehrt? Schlagartig war ich hellwach. Neuer Mut ergriff mich. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Der Tote auf dem Boden hatte nur eine Unterhose an. Andere hatten ihn bereits geplündert. Immerhin konnte ich an der Station meinen Sauerstoffvorrat auffüllen.

Mit dem vollen Sauerstofftank kehrte mein innerer Konflikt zurück. War ich gezwungen das Messer zu benutzen? Oder sollte ich suchen, bis ich ein Multitool finden würde. Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Der Stollen weitete sich zu einer Halle. Darin stand eine Gruppe von Häftlingen. Alle hatten ein Multitool am Gürtel hängen.

“Hier geht es nicht weiter”, rief mir einer entgegen.

Mit dem Mut der Verzweiflung nahm ich das Messer in die Hand. 

“Wirklich nicht? Ich habe nicht vor, umzukehren.” Das hatte ich wirklich nicht. Allerdings war mir klar, dass ich es nicht mit der ganzen Gruppe aufnehmen konnte.

“Wie Du meinst. Geh ruhig weiter. Wir sprechen uns, wenn Du zurückkommst. Falls Du zurück kommst.” Die anderen aus der Gruppe lachten und gaben den Weg frei.

Etwas perplex ging ich an der Gruppe vorbei. War das Messer mein Passierschein gewesen? Und warum hatte der Typ gesagt, “falls ich zurückkommen würde”. Was erwartete mich? Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da stand ich vor einem schwarzen Loch. Ein Durchgang in eine Höhle. Sie war dunkel, nicht in gelbes Licht getaucht wie die Minen. War das ein Weg in die Freiheit?

Nachdem ich den Durchgang passiert hatte, weitete sich die Höhle zu einer großen Halle. Keine gelblichen Scheinwerfer, keine Absicherung wie in den Stollen. Eine ganz normale Höhle. Es war dunkel, nur diese Dinger an der Decke leuchteten. Überall waren diese kleinen Lichtpunkte. Es war wunderschön. Die Höhle, sie hatte einen Sternenhimmel. Melancholie machte sich in mir breit. Die Sterne. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen. Es war Zeit, aus diesem Gefängnis zu verschwinden. Ob ich in dieser Höhle einen Ausgang finden würde?

Immer tiefer drang ich in die Höhle vor. Sie war riesig. Eine Halle folgte auf die andere. Längst hatte ich die Orientierung verloren. Mein Plan war immer die nächste Abzweigung nach rechts zu nehmen. Doch ich hatte keine Ahnung mehr, wo ich war. Und dann wurde auch noch mein Sauerstoff knapp. Stoisch ging ich weiter, in der Hoffnung, einen Ausgang zu finden. 

Plötzlich vibrierte mein Mobiglas. Verwirrt aktivierte ich die Holo-Anzeige. Hier unten konnte mich doch niemand kontaktieren, es gab keine Verbindung nach draußen. Zu meiner Überraschung hatte mein Mobiglas Kontakt zu einem Comm-Array. Eine Nachricht ging ein. Zögerlich näherte sich mein Finger der Kommunikations-App. Die Nachricht öffnete sich. Sie war von Ruto. Er suchte jemanden in Klescher, der einen Job für ihn zu Ende brachte. Es gab wohl einen Fluchtweg, über den man raus sollte, um ihm etwas zu bringen.

Das wäre es gewesen. Doch es war zu spät. Meine Sauerstoffanzeige präsentierte die traurige Zahl Neun. Ich hatte noch 9% Sauerstoff. Es gab keine Chance für mich hier lebend raus zu kommen. Niedergeschlagen ging ich weiter. Weiter meinem Ende entgegen.

Nach einer Weile sah ich plötzlich einen gelben Lichtschein. Ich war im Kreis gelaufen und wieder am Durchgang zur Mine. Kaum noch in der Lage zu atmen, ging ich darauf zu. Mein Sauerstoff war fast bei null. Es fühlte sich an, als ob ich Luft aus einem Stein saugen müsste. Den Durchgang sah ich nur noch verschwommen. Doch der gelbe Lichtschein lockte mich an. Wie eine Motte näherte ich mich dem Licht, bis es mich umgab. Ich war im Licht, spürte, wie meine Knie den Boden berührten. Dann wurde es dunkel und es war nichts mehr um mich herum.