Log #183 – Trümmer Regen

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Seltsame Dinge gingen vor auf dem Mond Daymar.


Mein Leben lag in Trümmern. Zusammengehalten wurde es nur durch ein paar Streifen Tape. Genau wie bei dem Ball, den ich in der Hand hielt. Nur das Tape verhinderte, dass er auseinanderfiel. Und was tat der Ball? Er lächelte. Das Gesicht auf dem Ball, aufgemalt und aufgeklebt, mit Farbe, Pappe und Klebestreifen, es grinste. 

Hatte ich einen Grund zum Lächeln? Der Überlebenskampf in Klescher, die Flucht, die Streitereien in der Crew, all das hatte ich hinter mir gelassen. Jetzt, wo ich in der Notunterkunft endlich zur Ruhe kam, wurde mir meine Situation so langsam bewusst. Alles hatte ich verloren. Mein Raumschiff, mein Geld, selbst ein großes Stück von meiner Zuversicht war weg. Den tödlichen Klauen des Megakonzerns Hurston Dynamics war ich zwar entkommen, doch frei bewegen konnte ich mich nicht. Nur wenn meine Existenz geheim blieb, war ich in Sicherheit. 

Meine große Hoffnung war das Crew Projekt von Brubacker und die für das Projekt von Anvil bereitgestellte Carrack. Mit ihr wollte ich das Stanton System verlassen und woanders ein neues Leben anfangen. Oder mein früheres Leben in Levski wieder aufnehmen. Aber auch die Crew war nicht frei. Sie zappelte an der kurzen Leine von Anvil. Brubacker und die Crew durften mit der Carrack das Stanton System nicht verlassen. Das Ticket in die Freiheit konnte ich nicht einlösen.

War Freiheit eine Illusion? Die freien Völker, die Menschen in Stanton, sie alle glaubten, in Freiheit zu leben. Doch taten sie das wirklich? Das UEE und die Megakonzerne dominierten alles. Niemand konnte wirklich tun und lassen was er wollte. Wie konnte ich mit dieser Erkenntnis zuversichtlich sein und lächeln?

Doch der Ball in meiner Hand lächelte immer noch. Ihn konnte nichts erschüttern. Irgendwo hatte ich mal gelesen:

“Die einzige Möglichkeit, mit einer unfreien Welt umzugehen, besteht darin, so absolut frei zu werden, dass die eigene Existenz ein Akt der Rebellion ist.”

Das war mein Weg. Ich wollte nicht nur einfach existieren. Ich wollte rebellieren. Ich wollte frei sein. Und zwar genau hier im Stanton System. Niemand sollte mir vorschreiben, was ich tun sollte.

“Lächle und fang neu an”, schien der Ball mir sagen zu wollen.

Und genau das wollte ich machen. Hier im Wolf Point Aid Shelter auf Daymar hatte mein altes Leben geendet. Und genau hier würde mein neues Leben anfangen. Ein eigenes, unabhängiges Leben sollte es sein. Frei von Abhängigkeiten. Ohne Verpflichtungen.

Als erstes brauchte ich einiges an Ausrüstung. In den Beständen der Notunterkunft fand ich Lebensmittel. Nur 50 Kilometer entfernt befand sich eine weitere Notunterkunft. Dort wollte ich als nächstes nach nützlichen Dinge suchen. Mit etwas Zuversicht verließ ich das Gebäude.

Auf den Stufen des Ausgangs schienen mir die Strahlen von Stantons Stern ins Gesicht. Die Kraft der Strahlen gab mir Energie. Selbst mit geschlossenen Augen konnte ich die Helligkeit spüren. Plötzlich legte sich ein Schatten über mein Gesicht. Etwas verdunkelte den Stern. Wie bei einer Sonnenfinsternis wurde es dunkel und kalt. Es war der Rumpf eines Raumschiffes. Doch das Raumschiff flog nicht, es stürzte unkontrolliert vom Himmel. Weitere Teile stürzten herab. Es regnete Trümmer. 

Ich flog zur Absturzstelle und sah den langgezogenen olivgrünen Rumpf einer MISC Freelancer im Sand. Die Flügel und eine Triebwerksgondel waren abgebrochen. Die Hülle war perforiert mit großen Löchern. Nur wenige Meter entfernt lag ein schwarzes, flaches dreieckiges Ding. Als ich näher kam, erkannte ich, dass es ein Eclipse Stealthbomber war. Die Hülle der Flügel fehlte. Das nackte Gerippe der Innenkonstruktion war dem Sand von Daymar ausgesetzt.

Was war passiert? Waren die beiden Schiffe kollidiert? Oder wurden sie abgeschossen? Und von wem? Lauerte immer noch Gefahr in der Nähe? Und wer waren die beiden? Wie Zivilisten oder Händler sahen die Schiffe nicht aus. Nervös schaute ich aus dem Fenster und auf das Radar. Eigentlich wollte ich mich keiner Gefahr aussetzen und gar nicht wissen, was passiert war. Aber vielleicht konnte ich etwas Verwertbares in den Wracks finden.

Mit lautem Rumpeln fuhr das Landegestell meiner Cutter aus. Während des Sinkfluges wurde der Schatten meines Raumschiffes auf der Mondoberfläche immer größer. Sand wirbelte auf, als ich nur noch wenige Meter über dem Boden war. Plötzlich ertönte ein schriller Warnton. Ein rotes Licht leuchtete im Cockpit. Jemand hatte mich mit seinem Radar aufgeschaltet. 

Kurz blickte ich auf die beiden Wracks links und rechts neben mir. Dann ergriff mich Panik. Die Triebwerke der Cutter röhrten als ich den Schubhebel nach vorne drückte. Eine unbändige Kraft presste mich in den Sitz und jagte das kleine Raumschiff im Tiefstflug über den Sand. Vibrierend tanzte die Cutter über die Dünen und zog eine Sandwolke hinter sich her. Wer auch immer mich aufgeschaltet hatte, ich konnte nur hoffen, dass ich ihm entkommen würde.

Wie eine Windhose donnerte ich über die Wüste. Nach einer Weile erlosch das rote Licht im Cockpit. Während meines Fluges sah ich ein weiteres Wrack zwischen den Sanddünen liegen. Allerdings traute ich mich diesmal nicht zu landen. Wenig später erreichte ich den Dunlow Aid Shelter. Doch ich war nicht alleine.

Eine Cutlass Black lag neben dem Shelter auf dem Rücken. Die vorderen Flügel waren abgebrochen. Was zum Teufel war hier los? Warum lagen überall Trümmer und Wracks herum? Nach der Landung schaute ich vorsichtig aus dem Heck der Cutter heraus. Neben der Cutlass lag eine Person im Sand. War sie noch am Leben? Da ich keine Waffen und keine Rüstung hatte, war ich völlig schutzlos. Trotzdem musste ich mein Raumschiff verlassen, zumindest wenn ich Ausrüstungsteile sammeln wollte. 

Langsam näherte ich mich der Gestalt. Sie rührte sich nicht. Je näher ich kam, desto seltsamer sah die Gestalt  aus. Der Helm war aus verschiedenen Metallteilen zusammengesetzt. Hinten war er kupferfarben, vorne gold. Dornen ragten aus dem Helm. Die Augenpartie war von einem Gitter bedeckt. Mund und Nase liefen spitz zu. Der Kopf eines Nasenbärs hätte in dem Helm Platz gefunden. Auf dem Arm des Raumanzuges war ein Totenkopf zu sehen. 

Ganz offensichtlich war es ein Pirat. Aber es war kein Nine Tail. Dieses Outfit hatte ich noch nie gesehen. Während ich den Toten anschaute, stockte mir schlagartig der Atem. Den Raumanzug kannte ich. Es war genau die gleiche Art Raumanzug, in die mich Hurston Security gesteckt hatte, als sie mich zum Sterben in der Wüste ausgesetzt hatten. Warum hatten mich die Schergen von Hurston Dynamics in diesen Raumanzug gesteckt? Meine Gedanken kreisten. Auf der Töpferscheibe meiner Vorstellung formte sich eine Antwort. 

Hurston Security hatte mich als Nasenbär-Pirat verkleidet und bei der Schrott-Siedlung ausgesetzt. In der Schrott-Siedlung hatte ich einen toten Nine Tail gefunden. Waren die Nasenbär Piraten mit den Nine Tails im Krieg? Tobte auf Daymar ein Krieg zwischen zwei Piraten Fraktionen? Ein Krieg würde die vielen Wracks erklären. Es sah so aus, als wollte Hurston Security, dass mein Ableben aussah wie eine Folge des Konfliktes. Das würde zu Hurston Dynamics passen. Sie hätten mich entsorgt, ohne dafür die Verantwortung übernehmen zu müssen. 

Oder war das alles Blödsinn und die Wracks waren das Ergebnis einer groß angelegten Säuberungsaktion auf Daymar? Waren es  Kopfgeldjäger die massiv gegen alles vorgingen, was nicht konform zur Linie der Megakonzerne war? Kopfgeldjäger, Piraten, es war völlig egal wer reihenweise Raumschiffe abschoss. Der Mond Daymar war ein gefährlicher Ort. Und ich konnte mit meinem defekten Quantum-Antrieb nicht weg.

Eine Explosion riss mich aus meinen Gedanken. Ein Raumschiff verwandelte sich am Himmel in einen Feuerball. Trümmer regneten herab. Eines war auf jeden Fall sicher. Ich musste extrem vorsichtig sein und mich besser ausrüsten. Nachdem ich den Brustpanzer des Piraten genommen hatte, ging ich in die Notunterkunft. Die ganze Situation machte mich nicht gerade zuversichtlich.