Das Hadesianischen Artefakt führte uns auf einen Weg voller Geheimnisse und Gefahren.
Das Lichtspiel des Quantum-Tunnels tanzte vor der Scheibe der Brücke. Zusammen mit dem sonoren Brummen des Quantum-Antriebs hatte es eine fast hypnotische Wirkung. Auch das Hadesianische Artefakt schien eine seltsame Wirkung auf den menschlichen Geist zu haben. Und nicht nur das, wir befürchteten, dass das Schiff ebenfalls betroffen war. Immer mehr Systeme fielen aus. Doch das Artefakt über Bord zu werfen, lehnte Brubacker kategorisch ab. Er war der Kapitän, wir mussten mit seiner Entscheidung leben.
Allerdings konnten wir die Probleme mit dem Artefakt nicht einfach so hinnehmen. Dummerweise wussten wir zu wenig. Warum gab es das Artefakt? Warum hatten wir die Probleme? Wie konnten wir uns dagegen schützen? In den Daten, die wir aus der Kommunikationseinrichtung auf Microtech geborgen hatten, suchte ich nach Antworten. Doch ich fand keine. Dafür fand ich in den Kommunikationsprotokollen die Quelle der Nachrichten, die an die Kommunikationseinrichtung gesendet worden waren. Das war unsere beste Spur, um mehr über das Artefakt herauszufinden.
Mit einem lauten Knall fielen wir aus dem Quantum-Tunnel. Grüne Gaswolken durchsetzt mit Asteroiden umhüllten unser Raumschiff. Schnell fanden wir den Ursprung der Nachrichten. Es war eine Reclaimer. Sie trieb reglos im All. Von der oberen Brücke aus blickte ich ehrfurchtsvoll auf den Stahlgiganten. Er wurde seitlich vom Stern Stantons beleuchtet. Die uns zugewandte Seite lag im Dunkeln, nur die Positionslichter der Reclaimer spendeten etwas Licht. Das Bergungsschiff schien Energie zu haben. War auch jemand an Bord? Bisher hatte niemand auf unsere Ankunft reagiert. Um mehr zu erfahren, mussten wir an Bord gehen.
Diese Tatsache, löste Unbehagen in mir aus. Das wir uns in der Waffenkammer mit Rüstungen und Waffen ausstatteten trug nicht zu meiner Beruhigung bei. Nachdem wir ausgerüstet waren, standen Ella, Husky, Brubacker und ich in der Luftschleuse. Mr. Aruhso blieb an Bord der Carrack. Das äußere Schott öffnete sich. Einer nach dem anderen schwebte hinaus in den grün schimmernden Weltall.
Unsere Gruppe steuerte die seitliche Luftschleuse der Reclaimer an. Je näher wir kamen, desto größer wurden unsere Schatten auf der Stahlwand. Wie Wachen flankierten sie den Zugang zum Raumschiff. Drei Schatten. Links, rechts und über der Lucke. Unsere Gruppe bestand aus vier Personen. Wer fehlte?
“Leute wo seid Ihr? Wo muss ich hin?”
Es war Brubacker. Mit einem Seufzer verdrehte ich die Augen. Der Schreiberling. Was trieb er nur? Schrieb er schon einen Artikel über die Geschehnisse, anstatt konzentriert bei der Sache zu sein? Es hatte sich wirklich nichts geändert, während ich in Klescher war.
Nachdem auch Brubacker die Luftschleuse erreicht hatte, öffnete Husky ohne Probleme das äußere Schott. Es gab Schwerkraft an Bord. Obwohl ich mich in einer Reclaimer auskannte, überließ ich den anderen den Vortritt. Von hinten zu dirigieren war mir deutlich lieber.
“Am besten gehen wir als erstes in das Quartier des Kapitäns. An der Abzweigung links, den Gang entlang, dann die Tür rechts.”
Mit gezogenen Waffen tasteten sich Ella, Husky und Brubacker vor. Ich folgte mit etwas Abstand. Es war still. Nur das Piepsen von Computern war zu hören. Wasser tropfte von der Decke. Typisch für ein Bergungsschiff war es industriell, dreckig und ölig. Kalter Stahl zierte die Wände, offen verlegte Leitungen hingen unter der Decke und Metallgitter bildeten den Boden. Doch da war mehr. Etwas, das nicht zu einem auf Arbeit fokussierten Schiff passte. Müll lag auf dem Boden. Die Wände des Ganges waren mit Graffiti beschmiert. Es erinnerte mich an die Piratenstation Grim Hex. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.
Plötzlich öffnete sich die Tür zum Quartier des Kapitäns. Jemand kam heraus, rannte über den Gang und verschwand durch die gegenüberliegende Tür im Mannschaftsquartier. Für einen Moment waren alle erstarrt, dann brach das Chaos aus. Schüsse peitschten durch den Gang. Laute Rufe, ein Knäuel, sich hektisch bewegender Menschen. Von meiner Position aus hatte ich keinen Überblick.
“Mannschaftsquartier ist frei. Das vom Captain auch”, hörte ich die anderen.
“Wird da drüben etwa geschossen? Was ist da los?” Es war Aruhso von Bord der Carrack.
“Ja klar, wir sind auf einem Piratenschiff.”
“Aber ihr könnt doch nicht einfach jemanden töten”, beschwerte sich Aruhso.
“Das sind Nine Tails. Wenn wir sie nicht töten, töten die uns. Die kennen keine Gnade.” Ella war geradezu außer sich.
Während ich zum Raum des Kapitäns ging, sah ich in der Tür zum Mannschaftsquartier jemanden auf dem Boden liegen. Das rosa Abzeichen der Nine Tails prangerte auf seiner Brust. Instinktiv nahm ich sein Gewehr an mich.
Auf dem Schreibtisch des Kapitäns fand ich einen Laptop, der allerdings keine Informationen preisgab. Die Daten waren verschlüsselt auf einem Server gespeichert. Von hier aus war kein Zugriff möglich. Neben dem Laptop lag ein Kryptokey. Das Ganze kam mir bekannt vor. Nachdenklich starrte ich die Hardware auf dem Schreibtisch an. Plötzlich fiel mir siedend heiß die Reclaimer der Nine Tails ein, auf der ich Daten für Marsden Analytics zurückgeholt hatte. War das dasselbe Schiff? Wenn ja, wusste ich genau, wo wir hin mussten. Ich wusste aber auch, was uns dort erwarten würde. Und das war nichts Gutes.
“Wir müssen ins Heck.”
Die anderen schauten mich fragend an, folgten mir aber klaglos.
Der Frachtaufzug brachte uns quietschend zur obersten Ebene. Dem Balkon, der den kompletten Raum der Aufbereitung umgab. Von der erhöhten Position hatten wir einen taktischen Vorteil und einen guten Überblick. Wie befürchtet, patrouillierten mehrere Nine Tails in dem großen Raum unter uns. Er war voller Server. Die Reclaimer war ein gigantisches Rechenzentrum, oder genauer gesagt Hacker Zentrum. Hinter einigen Stahlplatten fanden wir Deckung.
“Sollten wir nicht besser verschwinden?” Husky klang beunruhigt. So kannte ich ihn gar nicht.
Keiner rührte sich. Und jetzt? War’s das? Würden wir das Schiff ohne Antworten verlassen? In einem Punkt hatte Husky recht. Wir waren keine Kampftruppe. Die kampferprobten Nine Tails anzugreifen war riskant.
“Jetzt sind wir so weit gekommen. Wer weiss, welche wertvollen Daten uns dort unten erwarten.”
Brubackers Worte schüttelten uns durch. Er hatte recht. Wir steckten schon mittendrin im Schlamassel. Jetzt unverrichteter Dinge umzukehren wäre Blödsinn gewesen. Ella war die erste, die das Feuer eröffnete. Für eine Sekunde schloss ich die Augen, bevor ich aus der Deckung kam und ebenfalls schoss. Brubacker und Husky stimmten in das Konzert mit ein. Eine Sinfonie verschiedener Waffen hallte durch den Raum. Kugeln regneten auf die Nine Tails herab. Dann war es still, totenstill. Ich fragte mich, wo die Nine Tails regenerierten. Wie lange es dauern würde, bis sie wieder an Bord der Reclaimer sein würden. Ich war nicht scharf darauf, es herauszufinden.
Ohne Umschweife ging ich zur Admin-Konsole und steckte den Kryptokey in den Slot. Während die anderen den Raum sicherten, durchsuchte ich die Daten. Ein Meer aus Einträgen flackerte über den Bildschirm. Wie durch ein Labyrinth navigierte ich durch Ordner und Unterordner. Schließlich fand ich die Kommunikationsprotokolle. Dann die Nachrichten, die zum Reclaimer Wrack auf Microtech gesendet wurden. Nachdem ich sie heruntergeladen hatte, zogen wir uns zurück.
An Bord der Carrack schauten wir uns die Daten genauer an.
Kommunikationsprotokoll Black Kite >> Ghost Hollow
- >>Hack erfolgreich.
- >>Haben Artefakt lokalisiert.
- >>Es ist echt. Senden Euch die Parameterdaten.
- >>Sensible Daten über einen Typen in der Datenbank gefunden. Könnten hilfreich sein, um an das Artefakt zu kommen.
- >>Erpressung erfolgreich. Der Typ bringt uns das Artefakt.
- >>Vor Abflug hat der Typ eine Nachricht an die Mitarbeiter hinterlassen. Können Anhang nicht öffnen. Wahrscheinlich ohne Bedeutung. Setzen Mission wie geplant fort.
- Nachricht:
“Ich habe ein Überraschungspaket im lower level deponiert. Bitte erst öffnen, wenn der Tag der Überraschung gekommen ist. Der Türcode ist bei MT Planetary Services hinterlegt.”- Anhang: surprise.doc
- >>Wir verlassen den Orbit.
- >>Haben Probleme. Diverse Systeme betroffen. Antrieb funktioniert nicht. Sensoren ausgefallen.
>message not send<
“Ok. Die haben das Artefakt irgendwo lokalisiert und jemanden erpresst. Und jetzt?”, sinnierte Brubacker.
“Zero, kannst Du den Anhang öffnen?”, fragte Husky.
“Nein. Der ist durch ein Passwort gesichert. Keine Chance.”
“Dann müssen wir wohl nach New Babbage und uns beim Planetary Service genauer umschauen.”
Die Schlussfolgerung von Husky war richtig, aber für mich keine Option.
“Ohne mich”, schoss es aus mir heraus. “Ich kann da nicht hin und riskieren, entdeckt zu werden.”
*
Nach einem langen Quantum-Flug setzte mich die Crew auf dem Mond Daymar beim Wolf Point Aid Shelter ab. Die Drake Cutter, die ich in der Schrott-Siedlung mitgenommen hatte, stand auch noch dort. Die Crew musste erstmal ohne mich den Spuren des Artefakts folgen. Und ich war wieder genau dort, wo sie mich nach meinem Ausbruch aus Klescher aufgesammelt hatten. Zurück auf Los sozusagen. Wenigstens hatte ich jetzt einiges an Ausrüstung und nicht nur den aus Fetzen bestehenden Raumanzug. Lange schaute ich der Carrack nach, die am Himmel immer kleiner wurde. Als sie ganz verschwunden war, wollte ich die Kiste mit der Ausrüstung nehmen und in den Shelter gehen. Doch da war nichts, neben mir stand keine Kiste. Scheiße, ich hatte das verdammte Ding an Bord vergessen. Da stand ich im Sand, mit nichts außer einem einfachen Raumanzug. Ich musste ganz von vorne anfangen. Zeit für einen Neuanfang.