Log #179 – Endstation Wüste

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Ein Erwachen in der Wüste mit einer bitteren Erkenntnis.


Ganz langsam verdrängte schwaches Licht die Schwärze meiner Wahrnehmung. Mein verschwommenes Umfeld bekam Konturen und wurde schärfer. Doch die Perspektive war ungewohnt. Alles war um 90 Grad gedreht. Ein sandiger Metallboden war direkt vor meinem Gesicht. Wie weggeworfen lag ich auf dem Boden, umgeben von Frachtkisten. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war.  Dann tauchten Erinnerungen aus den Tiefen meiner Gehirnzellen auf. Stück für Stück setzten sich die Puzzleteile zusammen. Ich war aus dem Hochsicherheitsgefängnis Klescher ausgebrochen. Und als ich vor meinem Fluchtfahrzeug stand, wurde ich niedergeschlagen. Doch wo zum Teufel war ich jetzt? Schwerfällig hob ich meinen brummenden Kopf und richtete mich auf. Der Raum, in dem ich mich befand, kam mir vertraut vor. An der Wand war ein Zeichen von Crusader Industries. Dann erkannte ich es. Es war der Frachtraum einer Mercury Star Runner. Er war in einem schlechten Zustand. Die Wände waren dreckig und Sand war auf dem Boden. Ein kleiner Scheinwerfer spendete schwaches Licht.

“Hey Arschloch. Auch schon wach?” 

Die Stimme hallte metallisch durch den Raum. Schwere Schritte kamen näher. Dann standen zwei Typen vor mir. Sie trugen die Rüstung von Hurston Security. 

“Brauchst Dich nicht einsam fühlen. Du darfst zusammen mit Deiner White Rabbit hier im Sand verrecken.”

Die Worte des Security Typen klangen wie ein Donnerhall. Dann schlug er mit seinem Gewehrkolben gegen mein Helmvisier. Erneut umgab mich Dunkelheit.

*

Als ich wieder zu mir kam, saß ich immer noch auf dem Boden des Frachtraums. Vorsichtig stand ich auf und schaute mich um. Die beiden Security Typen waren weg. Wie Müll hatten sie mich zurückgelassen. Und wie Müll sah ich aus. Das Visier meines Helmes hatte einen Sprung. Der Raumanzug, in dem ich steckte, bestand aus Fetzen und wurde nur durch Tape zusammengehalten. Es waren keine guten Voraussetzungen zum Überleben. Hurston Security war seinem Ziel näher als mir lieb sein konnte. Der Tod war wahrscheinlicher als das Leben. 

Der Star Runner ging es auch nicht besser. Sie hatte keine Energie. Fahrstuhl und Türen funktionierten nicht. Die Heckrampe stand offen und gab den Blick frei auf eine wilde Wüstenlandschaft. Auf dem Boden, in der Luft, überall wirbelte Sand herum. Ein Sturm tobte außerhalb des Raumschiffes. Das einzige, was ich erkennen konnte, war eine breite Furche, die sich hinter dem Raumschiff durch den Sand zog. Sie war in den Boden gefräst durch die Star Runner, die mit gebrochenen Flügeln auf dem Bauch lag. 

So langsam wurde mir meine Situation bewusst. Hurston Dynamics hatte mich mitsamt meiner White Rabbit entsorgt. Gefängnis war nicht genug. Sie wollten das Problem Zero Sense ein für allemal loswerden. Ich stand an dem großen Frachttor und schaute hinaus in die Wolken aus tanzenden Sandkörnern. In der Wüste hatte mein Leben begonnen und in der Wüste sollte es zu Ende gehen. 

*

Einige Stunden später hatte sich der Sturm gelegt. Der Sand knirschte unter meinen Stiefeln, als ich aus dem Frachtraum hinausging. Wo war ich? Die Wüste erinnerte mich an den Mond Daymar. Nachdem ich auf den Sandwall geklettert war, den die White Rabbit beim Absturz aufgeschüttet hatte, erkannte ich in einigen hundert Meter Entfernung eine Art Siedlung. Türme, Baracken, Windräder. Es wirkte alles sehr provisorisch. War das die Rettung oder das endgültige Ende?

Zur Sicherheit wartete ich, bis der Zentralstern von Stanton hinter dem Horizont verschwunden war. Im Schutz der Dunkelheit näherte ich mich den Lichtern der Siedlung. Immer wieder blieb ich stehen und schaute, ob sich etwas in den Lichtkegeln bewegte. Es schien alles ruhig zu sein. Nur einmal blickte ich zurück. Traurig lagen die Überreste der White Rabbit im Sand.

Zügig kam ich den Gebäuden näher. Die Siedlung offenbarte mehr und mehr ihren Charakter. Sie bestand aus Trümmern und Schrott. Die Gebäude waren verrostete Teile von Raumschiffen. Aus alten Stangen und Tüchern waren Unterstände gebaut worden. Was war das für ein Ort? Und wer lebte hier?

Schließlich hatte ich den Rand des Ortes erreicht. Es war gespenstig ruhig. Nur der Wind blies kleine Wellen aus Sand durch die Siedlung. Sonst gab es keine Bewegung. Vorsichtig lief ich geduckt auf ein flackerndes Licht zu. In rosa Buchstaben leuchtete das Wort ‘SCRAP’ in drei Metern Höhe an einem Gestell. Dahinter lag ein Berg aus alten Metallteilen. An dem Gestell hing etwas. Ungläubig ging ich näher, bis ich erkannte, was es war. Ein Toter hing unter dem Schriftzug. Seine Rüstung spiegelte das rosa Licht. Auf seinem Brustpanzer war das Symbol der Nine Tails. 

Panik erfasste mich. Wie betrunken stolperte ich durch den Sand. Ich wollte nur weg. Weg von diesem Ort, an dem Nine Tails aufgehängt wurden. Wer immer das getan hatte, war skrupelloser als die Nine Tails selbst. Allein der Gedanke war furchteinflößend.

Planlos rannte ich vorbei an Frachtkisten und Schrottteilen. Schließlich erreichte ich einen großen Kasten, der in der Dunkelheit stand. Es war eine Drake Cutter. Über die offene Heckrampe stürmte ich in das kleine Raumschiff. Es war verlassen. Wie ferngesteuert fand ich den Weg ins Cockpit und auf den Pilotensitz. Meine Hand klatschte auf den Startknopf. Ein klägliches Heulen war aus den Triebwerken zu hören. Dann war es wieder still. Erneut drückte ich den Startknopf. Wieder das Heulen, dann ein langanhaltendes Husten bis die Schubdüsen schließlich Feuer und Funken spuckten. Sekunden später donnerte ich über die Sanddünen und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.

Die Instrumente der Cutter bestätigten meine Vermutung. Ich befand mich auf dem Mond Daymar. Allerdings konnte ich den Mond nicht verlassen. Der Quantum Antrieb funktionierte nicht. Nach einem langen Flug durch die Nacht erreichte ich die Notunterkunft Wolf Point. Fürs erste war ich gerettet. Es gab genug zum Essen, zum Trinken und Luft zum Atmen.

Doch wie sollte es weitergehen? Ich hatte alles verloren. Mein Raumschiff, meine Ausrüstung, mein Geld. Alles war weg. Nur mein nacktes Leben hatte ich noch. Und auch das hatte ich offiziell verloren. Aus Sicht von Hurston Dynamics war ich tot. Solange die Behörden das glaubten, war ich in Sicherheit. War das eine Chance für einen Neuanfang? Plötzlich wurde mir klar, was das bedeutete. Ich musste um jeden Preis vermeiden, dass ich gescannt oder erkannt wurde. Raumstationen, Städte, Außenposten, jeden Ort, an dem Menschen waren, musste ich meiden. 

Über Menschenansammlungen musste ich mir im Moment jedoch keine Gedanken machen. Mit der defekten Cutter konnte ich ohnehin nicht weg. Allerdings war der Aufenthalt in der Notunterkunft keine dauerhafte Lösung. Irgendwann würden die Vorräte zu Ende gehen oder jemand vorbeikommen. Ich musste einen Weg finden, hier wegzukommen. Nur wie ohne einen Notruf abzusetzen und damit meine Position und meine Existenz preiszugeben.

Erschöpft schaute ich aus dem Fenster. Die Wüste Daymars erschien wie ein wunderschönes eingerahmtes Bild. Majestätisch erhob sich der Gasplanet Crusader über den Horizont. Erfreuen konnte ich mich an dem Anblick jedoch nicht. Klescher ließ mich nicht los. Erinnerungen und Ängste hatten mich fest im Griff.