Log #162 – Die Nine Tail Maskerade

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Um im Angesicht des Bösen zu bestehen, musste ich selbst zum Bösen werden. Zumindest optisch.


“Grim Hex ist auch nicht mehr das, was es einmal war!”

Die brummige Stimme klang erbost, verärgert. Der Bass der Stimme ließ mich zusammen zucken. Mir wäre fast die Bierflasche aus der Hand gefallen. Neben mir stand ein Typ, der schon ein paar Jahre mehr Erfahrung hatte als ich. Sein markantes, etwas aufgedunsenes  Gesicht erzählte die Geschichten, die er bereits erlebt haben musste. Er schien ein alter Haudegen zu sein. 

Erst als ich mich wieder gesammelt hatte, war ich zu einer Reaktion in der Lage. 

“Äh wie meinen?”

“Früher hatte man hier als Kleinkrimineller noch Spaß”, schimpfte der Typ weiter. “Vor dem Jahr 2943, bevor die Nine Tails die alte Raumstation übernommen hatten, war es total entspannt hier. Glücksspiel, Saufen und kleine Raufereien gehörten zum Alltag. Jetzt machen die Spinner hier alles ganz professionell. Aus der Reihe tanzen geht nicht mehr.”

Verdutzt schaute ich den Typ an, der seinem Ärger so richtig Luft machte. Mit dem Hals meiner Bierflasche tippte ich gegen seine Brust.

“He Du stehst mitten im Zentrum des Glücksspiels.” 

Wir waren umgeben von den Anzeigetafeln der illegalen Rennstrecke von Grim Hex. Die große Panoramascheibe der alten Raumstation gab den Blick frei auf den Asteroidengürtel vom Mond Yela. Ein paar Meter entfernt gab es einen Bierstand. Was fehlte dem Typ? 

“Da hinten bekommst Du was zum Saufen. Und auch andere Glücksmacher”, ergänzte ich mit einem Grinsen.”

“Und wann war das letzte Rennen?” Seine Augen fixierten mich. Seine Worte waren wie ein Peitschenhieb.

“Äh keine Ahnung. Seit ich hier bin, gab es keines. Die Rennstrecke ist irgendwie kaputt. Muss erst repariert werden, glaube ich.” 

Mit seiner Gegenfrage hatte er mich doch etwas verunsichert. Ich ging einen Schritt zurück, um etwas Abstand zwischen uns zu bringen.

“Kaputt, dass ich nicht lache”, polterte der Typ. “Hat uns früher auch nicht interessiert. Jetzt kontrollieren die Nine Tails alles und bestimmen, wann ein Rennen stattfinden darf. Es gibt keine Freiheit mehr unter Gaunern. Nicht mal mehr freie Gedanken.”

Falten bildeten sich auf meiner Stirn. Fragend schaute ich den Typ an. Er kam näher und sagte mit gedämpfter Stimme.

“Die Nine Tails ziehen die Zügel an. Du musst mit Repressalien rechnen, wenn Du nicht deren Meinung vertrittst. Sei vorsichtig.”

So plötzlich der Typ neben mir aufgetaucht war, so plötzlich verschwand er wieder. Seine Worte hallten in mir nach, wie das Echo in der großen Halle. Vielleicht war etwas dran an dem was er sagte. Es hatte auf Grim Hex schon einen Anschlag auf mein HAB gegeben. Kjeld meinte zwar, dass es nicht die Nine Tails, sondern jemand von außerhalb war. Aber konnte ich mir sicher sein? Mit einer Sache hatte der Typ auf jeden Fall recht. Die Nine Tails traten immer aggressiver auf. Sie hatten bereits Raumstationen angegriffen und blockiert. Aktuell belagerten sie mehrere Plattformen in der Wolkenstadt Orison auf dem Gasriesen Crusader. 

Nachdenklich trat ich an die Panoramascheibe und schaute hinaus in die unendliche Weite des Asteroidengürtels. Eine Cutlass Black flog vorbei und verschwand hinter einem Asteroiden. Es sah so aus, als ob die Cutlass selber zum Asteroiden wurde. In dem Augenblick schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Vielleicht war ich ganz gut beraten, wenn ich auf Grim Hex nicht auffiel. Wenn ich wie ein Nine Tail aussah. Täuschen und Tarnen. In der Masse verschwinden, wie die Cutlass im Asteroidengürtel. 

Dann fiel mir ein, was Kjeld über Crusader Security erzählt hatte. Offiziell gehörte Grim Hex zu Crusader Industries. Crusader Security ließ die Nine Tails auf der Station aber gewähren, sie griff nicht ein. Als wenn es ein heimliches Abkommen gab. Offiziell sagte Crusader, dass die Nine Tails ein Problem von ganz Stanton seien und nicht nur eines von Crusader. Es müsse gemeinsam gelöst werden. Crusader Industries könne keinen Alleingang machen.

Lag darin eine Chance für mich? Wenn meine illegalen Aktionen aussahen, als wenn sie von den Nine Tails durchgeführt wurden, würden sie dann nicht nachverfolgt werden? Oder zumindest den Verdacht von mir ablenken und die Nine Tails in den Fokus rücken? Täuschen und Tarnen. Das war es. Ich hatte mich schon erfolgreich als Red Wind Linehaul Kurier ausgegeben. Warum nicht auch als Nine Tail. OK, die Sache mit dem falschen Kurier war aufgeflogen und Red Wind hatte mich jetzt in der Hand. Aber damals hatte ich ein Auftragsportal gefälscht. Diesmal wollte ich nur aussehen wie jemand anderes, mehr nicht. Ich brauchte eine Rüstung von den Nine Tails. Und ich wusste auch schon, woher ich eine bekommen sollte.

*

Zum ersten mal seit langem landete ich wieder im Rabbit Hole auf dem Planeten Hurston. Hier hatte ich mein geheimes Versteck. In den alten ungenutzten Containern tief unten in dem Bohrloch lagerte ich verschiedene Dinge. Unter anderem auch Rüstungen von den Nine Tails, die ich bei einer Bunker-Missionen erbeutet hatte. Bei meinem Schwarzmarkt Basar hatte ich nicht alle Rüstungen verkaufen können. Das kam mir jetzt zugute. 

Staub und Dreck hatte sich auf dem Vorhängeschloß abgelagert. Ich musste husten, als ich den Staub abklopfte. Nur mit Mühe ließ sich das Schloss öffnen. Zu lange hatte ich es nicht benutzt. Endlich war es offen und ich zog an der Tür des Containers. Doch sie bewegte sich keinen Millimeter. Ich zog fester, drückte dagegen, zog wieder. Nichts. Die Tür klemmte. Wütend trat ich mit dem Fuß dagegen. Hinter dieser Tür befand sich die Rüstung, die mir  das Leben etwas leichter machen könnte. Das konnte doch nicht wahr sein. Mehrmals trat ich mit dem Fuß dagegen. Ein Knarzen war zu hören. Ich trat erneut. Noch ein Knarzen. Ich trat wieder und wieder und endlich war die Tür frei. Noch mehr Staub rieselte auf meinen Kopf, als ich die Tür öffnete. Wieder musste ich husten. Es hallte in der Dunkelheit des Containers. Dumpf und verhalten. Ich schaltete die Taschenlampe an und erhellte das Innere des Containers.

“Scheiße!” Mein Ausruf hallte deutlich und laut.

Vor mir lagen mehrere Rüstungen von den Nine Tails. Aber es waren die alten Rüstungen. Die Nine Tails waren nicht nur im Vorgehen professioneller geworden, auch im Aussehen. Sie hatten neue Rüstungen. Rüstungen, die ich nicht hatte. Frustriert lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand des Containers. Einen Nine Tail konnte man nicht fragen, ob er einem eine Rüstung gab. Man musste sie sich holen. Ich sah nur einen Weg. Wieder in einen Bunker gehen, den Kampf mit den Nine Tails suchen. So wie ich es schonmal gemacht hatte. Ich hasste es. Ich hasste es zu kämpfen. Ich hasste es, unter die Erde in einen Bunker zu gehen. Doch mir blieb keine andere Wahl.

*

Da stand ich. Das Zeichen von Grim Hex leuchtete mir entgegen. Irgendwie fühlte ich mich anders, irgendwie angepasst. Dabei war angepasst gar nicht meine Stärke. Mein Einsatz im Bunker war überraschend problemlos und erfolgreich gewesen. Mehrere Rüstungen und Klamotten der Nine Tails hatte ich erbeutet. Nun trug ich ein Shirt mit dem Zeichen der Nine Tails. Seltsamerweise machte es für mich einen Unterschied das Zeichen zu tragen. Ich konnte mich so besser in die Nine Tails hineinversetzen. Vielleicht lag es auch an dem Portfolio, das ich über die Nine Tails organisiert hatte. 

“Organisiert und absolut skrupellos.” Mit diesen Worten begann die Beschreibung der Nine Tails. Und genau das waren sie. Damit waren sie so ziemlich das Gegenteil von mir. Vielleicht konnte ich mich doch nicht in sie hineinversetzen. Was trieb die Nine Tails an? War es nur Profit? Ging es um Macht? Hatten sie das Ziel, etwas zu verändern? Gewalt als Mittel um Ziele zu erreichen. Damit konnte ich mich nicht identifizieren. Ich musste mich auch nicht identifizieren. Ich musste nur die Maske der Nine Tails aufsetzen. Um nicht aufzufallen. Um die Aufmerksamkeit von mir auf diese Bande zu lenken. Die Methoden der Nine Tails musste und wollte ich nicht übernehmen. Doch eines war seltsam. Seit ich die Klamotten der Nine Tails an hatte, fielen mir ihre Abzeichen auf Grim Hex deutlich mehr auf.

*

Meine Anwesenheit auf Grim Hex blieb nicht unbemerkt. Ruto meldete sich. Er brauchte mal wieder jemanden, der einen Spezialtransport durchführte. Genau genommen einen Abtransport. Irgendjemand wurde beseitigt und ich sollte die Überreste entsorgen. War es jemand, der den Nine Tails in die Quere gekommen war? Oder anderer Meinung war  als die Nine Tails? Ich wollte es gar nicht wissen und geräuschlos meinen Job machen. Einen Job, der als Nine Tails Aktion maskiert war. 

Die blutigen Pakete, die ich entsorgen musste, befanden sich in einem alten zerstörten Außenposten auf dem Mond Yela. Mein Aussehen als Nine Tail war nahezu perfekt. Sollte jemand die Aktion beobachten, würde er nicht mich verdächtigen, sondern die mächtigste Bande im Stanton System. Als ich aus dem Außenposten ins Freie trat, fiel mir ein Fehler auf. Vor mir stand mein Raumschiff, die White-Rabbit. Meine ganze Maskerade war nutzlos, wenn ich das Raumschiff benutzte, das auf mich zugelassen war.