Ich hatte Begegnungen, mit denen ich nicht gerechnet hatte.
“Hier können sie ihre Steuergelder bei der Arbeit sehen”, hallte es durch die Messehalle.
Die Lautsprecherdurchsage auf der Messe war geradezu ein Hohn. Ich war froh, kein Citizen zu sein und keine Steuergelder an das UEE zahlen zu müssen. Auf der alljährlichen Invictus Launch Week zeigte das Militär mit viel Protz was es mit den Steuergeldern machte. Sogar eine Idris Fregatte konnte man bestaunen. Und ich schaute mir diese Muskelspiele auch noch an. Aber das aus gutem Grund. Ich wollte wissen, wie diese Raumschiffe aufgebaut waren. Wo welche Bereiche lagen. Waffenkammer, Maschinenraum, Frachtdeck, Luftschleuse. Nur für den Fall, dass ich mich mal auf so einem Schiff orientieren musste, war es von Vorteil, sich auszukennen. Ich wollte nicht nochmal ahnungslos durch die Gänge eines großen Raumschiffes streifen wie damals auf der Polaris.
In den ersten Tagen der Messe hatte ich sogar die Flugschule besucht. Nur um die Taktiken der Sicherheitskräfte bei Patrouillen zu lernen. Wissen, das ich als Schmuggler gut gebrauchen konnte. Außerdem gab es als Entlohnung irgendwelche komischen Metallbarren. Sie nannten sie “MG Script”. Wozu sie gut waren, wusste ich nicht. Aber ich konnte sie beim Banu Wikelo eintauschen. Irgendetwas brauchbares würde ich bei ihm dafür schon finden.

Eilig lief ich durch die Halle, in der die Jäger ausgestellt waren. Friedrich Winters wollte mich in der hinteren Ecke der Halle beim Kaffeestand treffen. Er schien etwas Wichtiges von mir zu wollen. Ich hoffte nur, dass mit Brubacker und Husky alles in Ordnung war. Seit wir Bru im Krankenhaus in Pyro abgeliefert hatten, hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
Als ich den Kaffeestand erreichte, schaute ich mich um. Friedrich war nirgendwo zu sehen. Mein Blick schweifte durch die Halle. Auf Podesten standen die Jäger. Menschen liefen dazwischen herum und bestaunten die Kampfmaschinen. Eine ruhige, unaufgeregte Stimmung war in der Halle. Dann sah ich Friedrich, gekleidet wie ein Militär. Sandfarbene Hose, olivgrünes T-Shirt mit einem UEE Navy Abzeichen auf der Brust. Er stand in der anderen Ecke der Halle, wo auch ein Kaffeestand war. Er schaute in meine Richtung, dann drehte er sich um und verschwand hinter einer Trennwand. Es kam mir sehr suspekt vor. Friedrich hatte nicht auf sich aufmerksam gemacht, nicht gewunken, nichts. Er verschwand einfach.
Irritiert lief ich in die Ecke, ging hinter die Trennwand und blieb wie angewurzelt stehen. Dort stand Hermieoth zwischen Containern, Kisten und Kartons. Mit dieser Begegnung hatte ich nicht gerechnet. Es war eine Begegnung, auf die ich gerne verzichtet hätte, denn auch von Hermieoth hatte ich viel Gegenwind bekommen, nachdem ich über das Massaker auf Grim Hex berichtet hatte.
“Hermieoth, willst Du mir jetzt den geschäftlichen Ausgang Deiner Knarre zeigen?”, sagte ich zynisch in Anspielung auf seinen Kommentar im Intercom.
“Zero, freut mich Dich zu sehen”, trällerte Hermieoth freudig.
Irritiert schaute ich ihn an.
“Ja also das im Intercom”, fuhr Hermieoth fort. “Das war nicht ich. Ein Typ namens Varrik Thorne hatte meine ID geklaut und hat sich für mich ausgegeben. Ein tolles Dankeschön, dafür dass ich ihm meine Terrapin überlassen habe. Du wusstest doch, dass ich mich in Bueno Ravine im Pyro-System aufgehalten habe und keine Funkverbindung ins Stanton System hatte. Aber das hat sich jetzt alles erledigt und ich bin inzwischen sogar stolzer Besitzer einer Phoenix.”
Es stimmte, ich hatte Hermieoth in Bueno Ravine getroffen und er hatte mich gebeten, eine Nachricht an Kjeld Stormanson zu übermitteln, sobald ich wieder in Stanton bin.
“Dann tut es mir leid, dass ich Dich fälschlicherweise verdächtigt habe”, erwiderte ich etwas betroffen und reichte Hermieoth die Hand.
“Gut, dass ihr das klären konntet”, meldete sich Friedrich zu Wort, der die ganze Zeit daneben gestanden hatte. Dann überschüttete er uns mit einem Tsunami an Informationen. Er erzählte von einer KI namens Nemesis, die aus alten Zeiten stammte und irgendwo in Stanton sein sollte und von Experimenten an Menschen in Pyro. Sofort musste ich an ENOS denken. Dann erzählte er von Schwierigkeiten, die er mit einer Bande in Pyro hatte und schließlich von der Regen-Krise.
“Auf alle Fälle möchte ich eine Expedition ins Pyro-System starten, um dort nach Mineralien zu suchen, die für die Forschung zur Lösung der Regen-Krise benötigt werden. Und dafür brauche ich Unterstützung. Auch Deine Kenntnisse über das Pyro-System wären mir sehr willkommen. Ich hätte Dich gerne dabei Zero.”

Mir rauchte der Kopf von den vielen Informationen und wusste nicht so recht, was ich von all dem halten sollte.
“Ist doch nicht schlecht, wenn die Regeneration nicht mehr funktioniert und es dann ein paar Schießwütige weniger gibt”, sagte ich nachdenklich.
“Aber es trifft nicht nur die Schießwütigen”, erwiderte Hermieoth. “Auch Minenarbeiter und Hilfskräfte wie Feuerwehr und Rettungssanitäter.“
Da hatte Hermie wirklich einen Punkt. Auch ich hatte einen Imprint und nur dank diesem war ich noch am Leben. Zudem könnten wir helfen, die Krise schneller zu beenden. Dann würden auch weniger Kopions für die Forschung sterben. Außerdem war der Begriff Expedition ein Türöffner bei mir. Ich sagte zu.
Wir einigten uns darauf, dass die Raumschiffe von Friedrich etwas zu auffällig waren. Die Phoenix von Hermieoth war auch nicht gerade unauffällig. Schließlich hatte ich eine Idee.
“Ich kann mal die Citizens for Prosperity fragen. Die hatten mir schon mal eine Starlancer Max ausgeliehen. Das Schiff wäre geeignet. Meine Kontaktperson in Stanton arbeitet im Krankenhaus und ist eng mit der Gründerin der Citizens for Prosperity befreundet. Vielleicht unterstützen sie uns.”
Nachdem wir noch einige Details besprochen hatten, verabschiedeten wir uns und ich ging in den Hangar, um mich auf eine weitere Begegnung vorzubereiten. Auf der Messe hatte ich mir einen Greycat MTC ausgeliehen, einen militärischen Rover. Diesen wollte ich in der Wüste auf dem Mond Daymar testen und Valakaare suchen, die dort gesichtet worden waren.
Ich hatte gedacht, dass der MTC sehr kompakt sei, doch als ich ihn im Frachtraum der White Rabbit sah, musste ich feststellen, dass er nicht viel kleiner als der Ursa Rover war. Auch der MTC brauchte fast die ganze Länge des Frachtraums und war genauso breit und hoch wie der Ursa. Zugegeben, er sah cooler aus, aber er schien mir nicht so vielseitig wie der Ursa zu sein.
Nach mehreren Minuten Quantum-Flug erreichte ich den Mond Daymar. Die White Rabbit glitt im Tiefflug über Sanddünen und flog durch Schluchten. Es war ein gutes Gefühl, raus aus der großen Stadt von ArcCorp und wieder in der Wüste zu sein. Nach einer Weile puren Fluggenusses setzte ich einen Ping ab.
Es wurden mehrere Signaturen angezeigt und ich folgte der Erstbesten. Und tatsächlich, als ich die Stelle erreichte, zeigten die Scanner die Kontur eines Wurmes an. Aufgeregt kreiste ich über der Stelle und schaute angestrengt aus dem Cockpitfenster. Unter mir war nichts als Sand. Der Wurm musste noch unter dem Boden sein. Der Valakaar reagierte auf Erschütterungen. Wenn ich ihn sehen wollte, musste ich landen, um ihn herauszulocken.
Es dauerte etwas, bis ich eine ebene Fläche gefunden hatte, die groß genug war, um die Star Runner zu landen. Als sich die Heckrampe der White Rabbit öffnete, sog ich den Anblick der Wüste wie einen Schwall frischer Luft in mich auf. Dann erklang das sonore Brummen des MTC, er fuhr langsam die Rampe hinunter und die großen, stark profilierten Reifen rollten knirschend über den Sand.

Mit Vollgas fuhr ich zu der Stelle, an der ich den Valakkar vermutete. Staub und Sand wirbelten auf, als ich im Drift und mit viel Getöse die Wüste durchpflügte. Plötzlich bildete sich vor mir ein kleiner Sandhügel. Dann schoss wie eine Wasserfontäne ein brauner Wurm aus dem Boden und richtete sich vor mir auf. Mit blockierenden Reifen kam ich nur zwei Meter vor ihm zum Stehen.
Der Sandwurm war ungefähr so hoch wie der MTC. Es war ein sehr junges Tier, aber trotzdem wehrhaft. Wütend bewegte er sich hin und her, riss sein großes dreiteiliges Maul auf und zeigte drohend seine spitzen Zähne. Dann spuckte er Material auf den Rover. Die Schilde flackerten auf.
Plötzlich schossen zwei weitere junge Valakaare aus dem Boden und richteten sich drohend gegen den MTC. Fasziniert saß ich am Steuer und bestaunte das Spektakel. Ich hatte ihn endlich gefunden, den Herrscher der Wüste, den berüchtigten Sandwurm. Die Begegnung, auf die ich so lange gewartet hatte.
Wieder flackerten die Schilde des MTC. Der Valakaar mochte klein sein, aber er meinte es ernst wenn er gestört wurde. Dann fiel mir ein, dass Wikelo für die Wüstenrüstung Zähne des Valakaars wollte.

Ich aktivierte das Bordgeschütz. Rote Lasersalven prasselten auf den Valakaar und den Sandboden um ihn herum ein. Schnell verdeckte eine Wolke aus Sand und Staub die Sicht auf den Wurm. Ich stellte das Feuer ein und wartete, bis sich der Staub gelegt hatte. Dann sah ich ihn wieder. Er schien unbeeindruckt zu sein, tanzte immer noch vor mir und spuckte Material auf mich.
Erneut feuerte ich, diesmal auf eine andere Stelle des Wurms. Blut spritze. Der Valakaar schien noch wütender zu werden, aber er zog sich nicht zurück, er hielt stand und steckte ein. Ich schoss weiter, bis seine Bewegungen erschlafften und er zusammenbrach.
Nachdem ich die beiden anderen Würmer erlegt hatte, stieg ich aus dem MTC aus. Beeindruckt ging ich in die Knie und bewunderte das vor mir liegende Tier. Es sah aus wie ein Schlauch mit ledriger brauner Haut. Am Kopf waren mehrere schwarze Knopfaugen. In seinem geöffneten Maul blitzen mehrere Reihen spitzer Zähne. An den Enden des dreiteiligen Mauls befand sich je ein großer Reißzahn. Genau diese wollte Wikelo.
Ich griff in den Sand und schloss die mit Sand gefüllte Hand zu einer Faust. Dann hielt ich die Faust über den Valakaar und ließ den Sand aus einer kleinen Öffnung meiner Faust auf den Kopf des toten Tieres rieseln. Es war ein Ritual zu Ehren des Herrschers der Wüste.

Ich fragte mich, warum es mir nichts ausmachte den Valakaar zu erlegen, im Gegensatz zum Kopion. War es, weil er so ein fremdartiges Wesen war? Weil mir ein Säugetier näher war als ein Wurm? Oder weil der Kopion ursprünglich von meinem Heimatplaneten Ashana stammte? Oder lag es daran, dass viele Wüstenvölker ein besonderes Verhältnis zu Sandwürmern hatten und sie seit Generationen einen ehrfürchtigen Kampf mit ihnen führten? Aber war es ein fairer Kampf aus einem gepanzerten Fahrzeug heraus?
Ich verbrachte noch mehrere Tage auf Daymar und fand viele Sandwürmer. Irgendwann hatte ich genügend Reißzähne für das Tauschgeschäft mit Wikelo. Doch zunächst musste ich mich um die Starlancer für die Pyro-Expedition von Friedrich kümmern.
Perspektive von Hermieoth: https://www.starcitizen-kantine.de/blog/entry/644-log-000-17-05-2955-stanton/