Log #252- Jagd

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Eine Jagd, die nur in Teilen erfolgreich war und einen bitteren Beigeschmack hatte.


Der Datenstick, mit dem Virus der Sicherheitssysteme umgehen konnte, war verloren. Trotz meiner intensiven Suche hatte ich ihn nicht gefunden und möglicherweise war mir jemand zuvor gekommen. Das Ding konnte sonst wo sein, es machte keinen Sinn, die Suche fortzusetzen. Aber die Idee, eine Software zu haben, die ohne Probleme Sicherheitssysteme umging, ließ mich nicht los. Vielleicht wäre etwas mit KI eine Lösung. Allerdings war der Einsatz von KI im UEE verboten. Daher war es schwer, an so etwas heranzukommen. Es sei denn man kannte jemanden, der von außerhalb der UEE Systeme kam, jemanden, für den das UEE Recht nicht galt.

Aus diesem Grund war ich wieder im Stanton System. Ich hatte den Hinweis bekommen, dass sich ein Banu in Stanton niedergelassen hatte, um Tauschgeschäfte zu machen. Die Rasse der Banu war bekannt für ihren Geschäftssinn, sie waren Händler durch und durch. Und vielleicht hatte er außerirdische Technologie oder KI-Technologie, die er handelte. Und ich hatte den Tipp bekommen, dass mir der Banu mehr Geschäfte anbieten würde, wenn ich ihm ein Geschenk mitbringen würde. Etwas zum Essen und Trinken und Hörner von Tundra Kopions standen bei ihm hoch im Kurs.

Die Tundra von Microtech glitt unter der White Rabbit hindurch. Es war eine ausgedehnte Graslandschaft, durchsetzt mit einzelnen Bäumen. Ich war auf der Jagd nach Tundra-Kopions. In der Ferne thronten majestätisch die schneebedeckten Berge. Obwohl es eine wunderschöne Wildnis war, kam sie mir zivilisiert vor. Der wilde, ungezähmte Charme der Grenzgebiete in Pyro fehlte hier. Ich vermisste bereits die Wüste von Monox.

Stantons Stern stand schon tief über dem Horizont und tauchte die Tundra in ein warmes, gelbliches Licht. Bisher hatte ich keine Tundra-Kopions gefunden, nur Quasi-Grazer gab es in großer Zahl. Ich musste tief und ausgiebig gähnen. Die lange Reise von Pyro steckte mir noch in den Knochen. Es war Zeit, eine Pause zu machen und eine Runde zu schlafen.

*

Einige Stunden später wachte ich wieder auf. Die Nacht war vorbei und ein neuer Tag war angebrochen. Mit lautem Getöse erhob sich die White Rabbit aus ihrem Grasbett und führte mich weiter über die Tundra auf der Jagd nach Kopions. 

Nach kurzem Flug bemerkte ich einige Strukturen, die nicht natürlichen Ursprungs waren. Dann donnerte ich im Tiefflug über die Überreste einer alten verlassenen Siedlung. Ich zog die White Rabbit in eine steile Linkskurve und schaute mir das genauer an. Tatsächlich lag unter mir in der Ebene eine alte, verlassene und verfallene Siedlung. Ich musste an die Siedlungen der ersten Siedler Stantons denken, die ich mit Alaska untersucht hatte. In den Siedlungen hatten wir fast immer interessante und teils wertvolle Gegenstände gefunden. Mein Scavenger Herz schlug höher. Vielleicht gab es dort unten etwas, das ich mit dem Banu tauschen konnte. Doch es gab ein Problem. Die verfallenen Siedlungen waren fast alle von Nine Tails besetzt. 

Ich drehte noch eine Runde, konnte aber niemanden sehen. Dann setzte ich zur Landung an. Die Triebwerke verstummten, die Heckrampe öffnete sich und ich wagte einen Blick durch das Scharfschützengewehr. Langsam streifte mein Blick über die verfallenen Gebäude. Die einzige Bewegung, die ich erkennen konnte, waren Tücher, die im Wind flatterten.

Zügig ging ich die Rampe hinunter und zu den Strukturen, die mir am nächsten waren. Schnell näherte ich mich einer Mauer, die mir Sichtschutz gab. Als ich sie erreichte, schaute ich vorsichtig um die Ecke. Das Gras bewegte sich im Wind, alte rostige Metallplatten knarrten, Reste von Mauern und Regalen lagen herum. Sonst war da nichts. Die alte Siedlung war so verlassen, wie sie aus der Luft gewirkt hatte. 

Ich kletterte auf die Überreste eines Daches, von wo ich einen besseren Überblick hatte. Doch auch von hier oben sah alles verlassen aus. Allerdings fand ich eine Kiste. Darin befanden sich seltene und besonders ausgefallen gestaltete Helme. Genau das, was ich gesucht hatte. Die Jagd nach Tauschobjekten war erfolgreich. Jetzt musste ich nur noch die Tundra Kopions finden.

Nach weiteren gefühlt endlosen Minuten des Flugs über die Tundra fand ich schließlich eine Gruppe von vier Tundra-Kopions. Ich landete die White Rabbit in einiger Entfernung, öffnete die Heckrampe und überlegte, wie ich vorgehen sollte. Ich wusste, dass die Kopions extrem aggressiv und gefährlich waren. Sie konnten einen Mann ohne Probleme in Stücke reißen. Aus dem Frachtraum heraus hatte ich ein freies Sichtfeld auf die Gruppe. Sie standen friedlich ein ganzes Stück entfernt im Gras.

Dann nahm ich das Scharfschützengewehr, ging in die Knie und legte an. Durch die Zieloptik waren mir die Kopions ganz nah. Sie hatten weißes Fell mit grauen Punkten, Stacheln auf dem Rücken und vier blaue Augen. Ahnungslos saßen sie im Gras, kratzten sich am Hals und genossen die Sonne. Wenn sie gewusst hätten, dass sie gleich wie aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen werden würden, wären sie vermutlich gerannt. Aber nicht weg, sie wären auf die Gefahr zugerannt und hätten sie angegriffen. Doch sie wussten nicht, welches Schicksal sie gleich ereilen würde.

Ein lauter Schuss hallte durch die Tundra und ein Kopion fiel zu Boden. Die anderen sprangen auf, schauten mit wilden Augen umher. Ein zweiter Schuss durchschnitt die friedliche Graslandschaft. Ein weiterer Kopion fiel. Der Hall war noch nicht verklungen, da dröhnte ein dritter und vierter Schuss. Alle vier Kopions lagen im Gras. Sie waren keine Gefahr mehr.

Ich legte das Gewehr zur Seite und stand auf. Tief atmete ich ein und aus und machte mich zu Fuß auf den Weg zu den Kadavern. Als ich sie erreichte, kniete ich mich neben einen der Kopions und streichelte über sein Fell. Seine blauen Augen waren noch geöffnet, doch sie enthielten kein Feuer mehr, kein Funkeln des Lebens. Eine tiefe Trauer überkam mich. Ich hatte ein Leben genommen, nur damit jemand ein Geschenk erhält. Nachdem ich die Hörner der Kopions abgetrennt hatte, ließ ich die Kadaver im Gras liegen und kehrte mit einem beklemmenden Gefühl zur White Rabbit zurück. Die Jagd hatte einen bitteren Beigeschmack bekommen.

Während des Steigflugs zum Orbit ließ mich meine Tat nicht los. Ein schlechtes Gewissen plagte mich. War es gerecht, dass ein Tier starb, damit jemand anderes etwas bekam? Dann fiel mir ein, dass Rayari auch dazu aufgerufen hatte, Tundra-Kopion-Hörner zu bringen. Sie brauchten die Hörner für die Forschung, um eine Lösung für die Regen-Krise zu finden. War das in Ordnung?

Die White Rabbit flog einen engen Looping und stieß zur Planetenoberfläche zurück. Wenige Minuten später stand ich in einem Rayari-Außenposten einem Verwalter gegenüber.

“Warum braucht Ihr die Hörner der Kopions? Finden Sie es in Ordnung, dass die Tiere für die Forschung sterben müssen? Habt Ihr überhaupt Aussicht auf Erfolg?”, fragte ich den Verwalter bissig.

“Unsere Forschung geht in verschiedene Richtungen”, antwortete er in ruhigem Ton. “Neben den Hörnern forschen wir auch mit anderen biologischen Substanzen und Mineralen. Je breiter wir aufgestellt sind, desto größer sind die Erfolgsaussichten. Und die Substanzen werden nicht Teil der endgültigen Lösung sein, sondern sind ein Hilfsmittel, um das Problem mit der Regeneration zu verstehen. Wir müssen die Regeneration simulieren und testen, Menschen können wir dafür nicht nehmen. Wir brauchen alternative biologische Substanzen. Sie können uns helfen. Hier ist eine Liste der Dinge, die wir brauchen. Je mehr und schneller sie uns das liefern, umso schneller kommen wir der Lösung näher und die Kopions müssen nicht mehr für unsere Forschung und die Sicherheit der Menschen sterben.”

Perplex stand ich vor dem Tresen und schaute den Verwalter mit offenem Mund an. Mein Mobiglas piepste. Es hatte die Liste empfangen. Schweigend drehte ich mich um und verließ den Außenposten. Ich war zwiegespalten und wusste nicht so recht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Argumente, die ich dem Verwalter entgegen schleudern konnte, hatte ich keine.

Ich verließ den Planeten Microtech und machte mich auf den Weg, um die Hörner als blutiges Geschenk zu übergeben. Die Kopions sollten wenigstens nicht ganz umsonst gestorben sein.

Eine halbe Stunde später erreichte ich den Sitz des Banu. Sein Name war Wikelo und er hatte eine Raumstation in einem Asteroiden. Türme mit fremdartig geschwungenen Formen, wie man sie nicht aus dem UEE oder anderen menschlichen Gebieten kannte,  ragten aus dem Asteroiden heraus. Das Gefühl, in einer fremden Welt weit weg von den menschlichen Gebieten zu sein, ergriff mich. Eine Sehnsucht nach weiten Reisen zu unbekannten Orten machte sich in mir breit. 

Ich forderte eine Landegenehmigung an. Es rauschte im Funk, einer meiner Bildschirme flackerte. Erst erschien ein Bildrauschen, dann das Gesicht von Wikelo. Eine Gänsehaut lief über meinen Körper. Es war das erste Mal, dass ich einen Banu sah. In gebrochener menschlicher Sprache begrüßte er mich freundlich und erteilte mir eine Landegenehmigung. Ich tauchte hinab in einen Hangar, indem ein riesiges Hologramm des Banu leuchtete.

Der Hangar war wohnlich eingerichtet. Palmen, Teppiche und viele Schilder, auf denen Wikelo seine Tauschgeschäfte bewarb. Eine Treppe führte zu einem Ausstellungsraum, in dem er alles Mögliche aus vielen unterschiedlichen Welten ausgestellt hatte. Fasziniert blieb ich vor dem Schädel eines Vanduul stehen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.

Wikelo war ein Jäger und Sammler erster Güte. Genaugenommen war er ein Händler und ließ andere jagen und sammeln. Es war beeindruckend, was er alles ausstellte. Eine KI oder sonst eine Hacking Software hatte er nicht. Er bot Schiffe, Komponenten, Waffen und Rüstungen oder Anpassungen an Waffen und Rüstungen an. Eine Rüstung für heiße Wüsten, die einen unsichtbar machen sollte, erregte meine Aufmerksamkeit. Doch ich hatte nichts, was ich ihm zum Tausch anbieten konnte. Er hatte ganz genaue Vorstellungen, was er dafür haben wollte. Die Helme, die ich gefunden hatte, gehörten nicht dazu. Er wollte die Zähne von jungen Valakkaren. Wenn ich die Rüstung wollte, musste ich wieder auf die Jagd gehen.