Log #238 – Hilfslieferungen

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Aus den Kämpfen gegen die Slicers wurde eine Hilfsaktion für die Citizens for Prosperity.


Noch bevor wir die Idris der Slicers angreifen konnten, hatte sie im Raum Hurston gewütet. Das Krankenhaus in Lorville war überfüllt mit Verletzten und aktivierten Imprints. Becky, die Krankenschwester im Maria Pure Of Heart Krankenhaus, mit der ich schon zusammengearbeitet hatte, sendete mir einen Hilferuf. Ohne lange zu überlegen, folgte ich ihrem Ruf und brachte medizinische Güter nach Lorville.

Ich traf Becky in ihrem Bereitschaftsraum im Krankenhaus. Interessiert schaute ich mir ein Bild an, das auf ihrem Schreibtisch stand. Darauf war sie zusammen mit einem Mann und zwei Frauen zu sehen. Die vier schienen sich gut zu kennen. Fröhlich lachten sie in die Kamera. Im Hintergrund war durch ein Fenster die Skyline von Lorville zu sehen. Den Mann und eine der Frauen kannte ich. Es waren Maria und Richard, die Flüchtlinge aus dem Pyro-System, die jetzt zurückgezogen auf Microtech in den Moreland Hills lebten.

Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen und fragte ganz beiläufig, während ich das Bild anschaute.

“Freunde von Dir?”

“Ja und vereint in einem Ziel”, antwortete Becky fröhlich. Doch dann wurde ihre Stimme traurig. “Zumindest waren wir es.”

Sie nahm das Bild aus meiner Hand, betrachtete es und strich mit dem Zeigefinger über Maria und Richard. Bedrückt fuhr sie fort.

“Maria und Richard sind in das Pyro-System gegangen. Leider ist der Kontakt zu ihnen abgebrochen. Ich habe keine Ahnung, was aus ihnen geworden ist.”

Ich wusste genau, was aus ihnen geworden war. Und ich wusste auch, dass Maria mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen hatte. Sollte ich etwas sagen? Becky schien so traurig zu sein. Zu wissen, dass es ihren Freunden gut ging, würde sie bestimmt freuen. Auf der anderen Seite war Maria auch mir eine gute Freundin geworden und ich respektierte ihren Wunsch, nicht in der Vergangenheit zu graben.

Allerdings konnte ich meine Neugier nicht unterdrücken. Ich hatte schon die Vermutung gehabt, dass Maria keine typische Siedlerin war und eher aus einer Stadt kam. Und hier war die Bestätigung. Aber warum war eine gut bestellte Bürgerin aus Lorville in das Pyro-System aufgebrochen?

Ich stellte mich neben Becky, schaute auf das Bild und fragte.

“Warum sind die beiden nach Pyro? Aus der goldenen Stadt in die Piratenhölle. Das ergibt doch keinen Sinn.”

“Doch schon”, antwortete Becky. “Die andere Frau auf dem Bild ist Madge Hartford, wir nennen sie Dash. Sie hat die Citizens for Pyro gegründet. Eine Non Profit Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das angrenzende Verbrechersystem ein für alle Mal zu zähmen. Wir helfen ihr dabei. Maria und Richard sind deshalb nach Pyro gegangen.”

Verwundert schaute ich Becky an.

“Ihr wollt Pyro zähmen? Wie soll das funktionieren?”

“Es hat mit gelegentlichen Streifzügen nach Pyro begonnen, um Verbrecher zu jagen. Inzwischen hat es sich zu einem umfassenden Besiedlungsplan entwickelt. Die Idee ist, eine Gemeinschaft aufzubauen, die wirtschaftliche und kulturelle Anreize bietet, um das System sicher zu halten. Die Hoffnung ist, dass Unternehmen aufgrund des höheren Sicherheitsniveaus von dem System angezogen werden und dort Fuß fassen und Kredite und Einfluss einbringen, die Pyro von einer gesetzlosen Einöde in ein pulsierendes Zentrum neuen Wachstums verwandeln könnte.”

Fasziniert und zugleich ungläubig schaute ich Becky an.

“Du glaubst mir nicht?”, lachte Becky. “Ich schick Dir einen Artikel aus dem Observist. Lese ihn durch und du wirst sehen, dass es wirklich so ist. Inzwischen haben sich die Citizens for Pyro umbenannt in Citizens for Prosperity. Neben Pyro wollen sie ihre Mission auch auf weitere Systeme erweitern.”

Während ich den Artikel über die Citizens for Pyro durchlass, knuffte mir Becky mit dem Ellbogen in die Seite.

“Mensch Zero, du hilfst doch auch gerne. Im Moment läuft eine große Aktion, bei der wir Freiwillige rekrutieren, um Hilfsgüter zum Pyro-Sprungpunkt zu liefern. Von dort werden sie in das Pyro-System gebracht. Willst Du uns nicht auch helfen?”

Die Idee, Menschen zu helfen, die friedlich außerhalb der UEE Systeme leben wollten, sprach mich durchaus an. Der Gedanke, dass irgendwann große Konzerne und schließlich auch das UEE in diese unabhängigen Systeme kommen würden, gefiel mir allerdings überhaupt nicht. Doch bis es soweit war, war es ein sehr langer Weg. Wenn es überhaupt soweit kommen würde. Bis dahin konnten die freien Völker davon profitieren.

Ich beschloss zu helfen. Und zu meiner Überraschung wurde mir auch ein Raumschiff zur Verfügung gestellt. Eine MISC Starlancer MAX. Ein großes Transportschiff, das fast doppelt so viel Frachtkapazität wie meine Star Runner hatte. So begann ich, die benötigten Hilfsgüter zum Pyro-Sprungpunkt zu liefern.

*

Einige Tage nach dem Treffen mit Becky bekam ich eine Nachricht von Friedrich Winters. Er hatte auch damit begonnen, Hilfslieferungen für die Citizens for Prosperity zum Pyro-Sprungpunkt zu liefern. Allerdings hatte er Probleme beim Löschen der Ladung. Seine 890 Jump konnte beim Pyro Gateway nicht entladen werden. Jetzt stand er mit seiner Fracht in Lorville. 

Ich traf mich mit Friedrich beim Teasa Spaceport. Brubacker wollte auch kommen, hing aber noch auf der Orbitalstation fest. Er hatte irgendwelche Probleme in der Klinik dort. Während Friedrich in den Orbit flog, um Brubacker zu holen, ging ich in den Hangar, um seine 890 zu entladen. Unser Plan war, seine Fracht in meine Starlancer umzuladen und sie dann zum Pyro-Sprungpunkt zu bringen.

Während ich mit dem Traktorstrahl die großen Container aus dem Bauch der “Nordlicht Eins” holte, bemerkte ich irgendwann, wie Brubacker daneben stand und zuschaute. Das war wieder typisch für den Schreiberling. Anstatt anzupacken, stand er da, beobachtete, machte vermutlich Bilder und überlegte, welche Story er als nächstes schreiben würde. 

Ich wollte nicht zu offensiv sein und fragte beiläufig.

“Bru, alles in Ordnung?”

“Soweit. Kann leider noch nicht so richtig mitmachen.”

Ich verkniff mir jeden Kommentar. Hauptsache er stand nicht im Weg rum. 

Schließlich waren die Container ausgeladen und über den Frachtaufzug in den Hangar transportiert, in dem die Starlancer stand. Nachdem ich den beiden die Starlancer gezeigt hatte, fingen Friedrich und ich an, sie zu beladen. Brubacker stand wieder nur rum. Er wirkte wie ein kleiner Junge, dem irgendetwas auf der Seele brannte. Dann brach es aus ihm heraus.

“Leute, was zum Henker tun wir hier eigentlich?”

Verdutzt schaute ich Brubacker an und antwortete.

“Wie bitte? Wir….”

Brubacker fiel mir ins Wort.

“Ich meine: Was wissen wir genau über diese Citizens for Prosperity? Wer weiß, wer genau dahintersteckt… das stinkt doch bis zum Himmel!”

“John…”, sagte Friedrich.

“Ehrlich”, unterbrach in Bru. “Da kommt irgendein Hilferuf aus Pyro und schon rennen alle los und räumen das halbe Stanton-System leer und liefern frei Haus, was man sich dort wünscht….”

“Ich schicke dir mal den Hilferuf, den wir erhalten haben”, sagte Friedrich ruhig.

Bru las sich den Aufruf der Citizens for Prosperity durch. Es war der Aufruf zu der Hilfsaktion, von der Becky mir erzählt hatte, dem Friedrich gefolgt war und den auch ich unterstützte. Nachdem er die Nachricht gelesen hatte, sagte Brubacker.

“Okay, trotzdem. Vielleicht pampern wir hier in gutem Gewissen Piraten, damit sie für die nächsten Überfälle besser gerüstet sind.”

Vermutete Brubacker wirklich, dass wir die Slicers mit der Aktion unterstützten? Dass die Citizens for Prosperity nur eine Maske waren, die von den Piraten genutzt wurde, um an notwendige Ressourcen zu kommen? Das war doch Irrsinn. Wütend fuhr ich Bru an.

“Du bist echt schon paranoid. Die Krankenschwester in Lorville, mit der ich zusammenarbeite, kennt die Gründerin Hartford und…”

“…wer ist das nun wieder?”, fiel mir Brubacker wieder ins Wort.

“Für einen Journalisten bist du manchmal echt krass schlecht informiert. Hier, lies das, bevor du noch mehr Unsinn erzählst.”

Ich schickte Brubacker den Artikel aus dem Observist über Madge Hartford, den ich von Becky bekommen hatte. Während Friedrich und ich die Container in die Starlancer luden, beschäftigte sich Brubacker mit dem Artikel. Dann sagte er in versöhnlichem Ton.

“Okay, das liest sich anders.”

“Dann kannst du jetzt ja endlich mit anpacken”, erwiderte ich.

“Ich probier mal dieses ATLS-Dings aus.”

Brubacker ging in den Frachtraum der Starlancer und stapfte mit dem ATLS, dem Assisted Transport and Loading System, heraus. Ein Exo-Rahmen, in dem man stand, ihn mit den eigenen Beinen und Armen bewegte und damit schwere Lasten mit einem Traktorstrahl einfach bewegen konnte. Mir schwante Böses.

“Das ist ja cool. So was will ich auch”, rief Brubacker begeistert.

Er griff den ersten Container, bewegte ihn wild durch die Luft und knallte ihn gegen den Rumpf der Starlancer.

„Vorsicht, Mann”, entfuhr es mir. “Das Schiff gehört mir nicht.”

Nach einer halben Stunde war die Starlancer beladen und wir brachen auf zum Pyro-Sprungpunkt. Dort angekommen, entluden wir die Fracht. Brubacker stand voller Begeisterung im ATLS und half.

“Leute, vielleicht schule ich auf Lademeister um.”

“Lieber nicht”, antwortete ich. “Aber die Citizens werden sich freuen.”

Nachdem alles ausgeladen war, setzten wir uns in den Mannschaftsraum der Starlancer.

“Wissen wir eigentlich etwas über das Schicksal der Slicer-Idris?”, fragte Brubacker.

“Scheint geentert worden zu sein”, antwortete ich. “Und dann hat man sie aus dem Verkehr gezogen.”

“Es ist seitdem auch wieder ruhiger in Stanton”, ergänzte Friedrich. “Das war vielleicht der heilsame Schock, den die Slicer gebraucht haben, dass wir uns nicht alles gefallen lassen.”

“Schön wär’s ja”, erwiderte Brubacker. “Und was wissen wir eigentlich über die Frontier Fighters? Die wollen den Kampf gegen die Slicers wohl durch den Sprungpunkt weiter führen.”

Sorgenfalten bildeten sich auf meiner Stirn. So gut ich den Gedanken der Citizens for Prosperity fand, den friedlichen Siedlern zu helfen, so sehr hatte ich die Schnauze von Kämpfen voll. Mein Blick wanderte durch den Raum. Dann fiel mir auf, dass die Goldmünze, die im Regal lag, fehlte.

“Ey, wo ist die Goldmünze?”

“Welche Goldmünze?”, fragte Brubacker und setzte dabei eine Unschuldsmiene auf.

“Na die, die vorhin noch im Regal lag.”

“Äh ja, also die ist runter gefallen”, antwortete Brubacker. 

Er stand auf und nahm die anderen Sachen im Regal in die Hand. 

„Wollte ich mir anschauen”, fuhr er fort. “ Dann gab es einen Ruck als wir in den Quantum-Tunnel sind. Ist alles runtergeflogen. Die Münze ist in einen Schlitz im Boden gefallen.”

“Bru!”, sagte ich verärgert. ”Man schaut mit den Augen, nicht mit den Fingern. Kannst Du den Besitz von anderen einfach mal respektieren und die Finger weglassen? Wie erkläre ich das jetzt dem Besitzer des Schiffes? Das sind nicht meine Sachen.“ 

“Wird schon wieder auftauchen”, antwortete Brubacker. “Und machen wir für heute Schluss?”

“Es gibt noch mehr Anfragen der Citizens for Prosperity”, sagte Friedrich mit einem Blick auf sein Mobiglas. “Los, eine Runde drehen wir noch.”

*

Eine Woche später veröffentlichte Brubacker einen Zeitungsartikel über die Angriffe der Slicer. Wieder einmal erwies sich seine kleine, unabhängige Redaktion “Off The Record” als Sprachrohr derer, die nicht der Propaganda des Empire folgten, die sich nicht den Mund verbieten lassen wollten. Ich war froh, dass John Brubacker den Mut hatte, das anzusprechen, was sonst im Verborgenen blieb.

NEVER SILENT.

Die Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/jahr-2954#S26