Log #164 – Ein Geist an Bord

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Ein Auftrag führte mich auf eine Reclaimer der Nine Tails. Nur ein Geist konnte auf dem Schiff der Piraten bestehen.


Die dringende Nachricht hatte mich erreicht, als ich gerade eine Speziallieferung für die Arbeiter auf Hurston nach Lorville gebracht hatte. Hastig war ich aufgebrochen. Jetzt saß ich in Wally’s Bar. Melinda, einer der Gründerinnen von Marsden Analytics, saß mir gegenüber. Die Lasershow zuckte über unseren Köpfen. Der Beat der Musik hatte ungefähr die gleiche Frequenz wie mein Herzschlag. Deutlich zu hoch. Melinda erläuterte, warum sie mich so dringend nach Microtech gerufen hatte. Als sie mit ihren Ausführungen fertig war, schaute ich sie entgeistert an.

“Ich fasse nochmal zusammen. Da gibt es eine Reclaimer voller Nine Tails. An Bord sind Daten, die sie dir geklaut haben und die Du dringend brauchst. Du willst, dass ich in das Schiff einbreche, einen Kryptokey klaue und einen Server finde, in den ich den Key reinstecke, damit Du die Daten remote runter laden kannst. Richtig?”

“Ja, genau.”  Melinda grinste.

“Bist Du irre?” Mit offenem Mund starrte ich Melinda fassungslos an. Das konnte doch nicht ihr ernst sein.

“Der Server ist riesig. Den wirst Du problemlos finden.” Melindas Stimme klang fröhlich und zuversichtlich. 

Mir blieb kurz die Luft weg. Nachdem sich meine Schnappatmung gelegt hatte, versuchte ich meine Fassung wiederzufinden.

“Der Server ist das kleinste Problem. Die Nine Tails werden nicht erfreut sein, wenn ich an die Tür klopfe.”

“Zero bitte. Wir haben schon versucht uns rein zu hacken. Keine Chance. Ohne den Kryptokey kommt man nicht an die Daten ran. Und die sind wirklich wichtig.” Melindas Stimme hatte jetzt einen fordernden Tonfall. 

Schwer und laut atmete ich aus, während mein Kopf in den Nacken fiel. Durch die Glaskuppel konnte ich die Sterne sehen. Der Blick in die Unendlichkeit der glitzernden Lichtpunkte half mir, meine Gedanken zu sortieren. Marsden Analytics hatte mir schon oft geholfen, ich konnte Melinda nicht hängen lassen. Aber das war verrückt. Ich war kein Soldat, ohne Unterstützung würde ich das nicht schaffen. Ich dachte an Kjeld, Root, Hermieoth und Knecht. TYR oder Yellowhand Security wären genau die richtigen für den Job.

“Melinda, für die Mission brauche ich Hilfe. Ich werde jemanden…..”

Melinda fiel mir ins Wort. Ihre Stimme hatte plötzlich eine bittersüße Schärfe.

“Keine Zeit Zero. Die Reclaimer treibt gerade mit einem Schaden im Weltall. Sensoren und Triebwerke sind ausgefallen. Du musst sofort los. Wenn die Nine Tails den Schaden behoben haben, sind sie weg. Weg! Auf Nimmerwiedersehen. Mit den Daten.”

*

Unbemerkt flog die White-Rabbit durch das Asteroidenfeld. Riesige Gesteinsbrocken glitten am Cockpitfenster vorbei. Ein grünlicher Nebel verdeckte die Sterne. Der Lagrange Point bildete eine Blase aus Staub, Stein und Gas. Vor mir nahm ein Raumschiff in der Dunkelheit langsam Gestalt an. Die Reclaimer zu finden war kein Problem. Ihre Energiesignatur war so gigantisch wie das Bergungsschiff selbst. 

Ganz alleine war ich auf das Himmelfahrtskommando aufgebrochen. Meinen Imprint hatte ich zuvor in das Krankenhaus von New Babbage transferiert. Melinda hatte zugesagt, dass ich im Notfall die beste Regenerierung bekommen würde, die es gab. Trotzdem hatte ich kein gutes Gefühl und war extrem angespannt. Ich traute dieser Imprint Technologie nicht. Ich wollte nicht regenerieren. Ich wollte nicht zu einem Schatten meiner selbst werden. Zu einem Geist. Doch ein Geist zu werden war meine einzige Chance, diese Mission zu überstehen. Nur wenn niemand bemerkte, dass ich an Bord der Reclaimer war, konnte ich erfolgreich sein. 

Zwei Vorteile hatte ich. Die Sensoren der Reclaimer waren defekt. Die Nine Tails würden meinen Anflug nicht bemerken. Und ich hatte früher auf einer Reclaimer gearbeitet. Ich kannte mich auf diesem großen Bergungsschiff aus. Beide Vorteile wollte ich nutzen, um unsichtbar zu bleiben.

Den Anflugwinkel wählte ich so, dass niemand durch die Fenster der Reclaimer mein Kommen sehen konnte. Vor dem Ausstieg prüfte ich die Schalldämpfer auf meinen Waffen. Die Ausrüstung war bereit. War ich es auch? Die Frachtrampe meiner Star Runner öffnete sich und gab den Blick frei auf die Luftschleuse des Bergungsschiffs. Schwerelos glitt ich durch die Dunkelheit des Weltalls hinüber.  An der Schleuse verharrte ich. Hell erleuchtet prangerte der Schriftzug “Airlock” vor mir. Was zum Teufel machte ich hier? Das war eine ganz beschissene Sache. Fluchend öffnete ich die äußere Luke und betrat die Reclaimer der Nine Tails.

Das Licht war schummrig. Nebelschwaden waberten durch das Schiff. Die Wände waren ölig und dreckig. Geduckt bewegte ich mich mit der Waffe im Anschlag vorbei an den Schränken für die Raumanzüge bis zur Abzweigung zu den Quartieren. Den Kryptokey vermutete ich im Quartier des Kapitäns. Vorsichtig schaute ich um die Ecke. Vor mir lag ein langer Gang ohne Deckung. In der Mitte des Gangs waren zwei Türen. Links zum Mannschaftsquartier, rechts zum Kapitän. Am Ende des Ganges befand sich die Messe.  Niemand war zu sehen. Es war totenstill. 

Unbemerkt schlüpfte ich durch den Gang und in das Quartier des Kapitäns. Der Raum sah anders aus, als ich ihn in Erinnerung hatte. Lichter blinkten an der Stelle, an der eigentlich das Fenster war. Es war verdeckt von einem Server in der Größe eines Wandschranks. Hatte ich schon gefunden, was ich gesucht hatte? Jetzt brauchte ich nur noch den Kryptokey um meinen Auftrag zu erledigen. Ich schaute mich um. Direkt neben der Eingangstür war der Schreibtisch. Darauf stand ein Laptop und ein Modell von einer Mercury Star Runner. Was für eine Ironie. Die Star Runner war spezialisiert auf den sicheren Transport von verschlüsselten Daten, sie war ein Data Runner. Die Nine Tails hatten die Reclaimer zu einem großen Data Runner umgebaut. Und jetzt kam ich mit meiner Star Runner, um die gesicherten Daten wieder zurück zu klauen. Ich überlegte, ob ich das Modell der Star Runner auch mitnehmen sollte. Doch dann fiel mein Blick auf den Kryptokey, der neben dem Laptop lag. Nur mit Mühe konnte ich einen Freudenschrei unterdrücken. Das war leichter als gedacht. Jetzt musste ich nur noch den Kryptokey in den Server stecken und Melinda konnte die Daten herunterladen. Auftrag erledigt, schnell weg. Dachte ich. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Es gab keinen Slot, um den Key in den Server zu stecken.

Melinda meinte, der Server wäre riesig. Dieser hier war groß, aber nicht riesig. Wo würden die Nine Tails einen riesigen Server aufbauen? Der größte Raum an Bord war die Aufbereitung. Allerdings konnte ich in so einem großen Raum von mehreren Seiten attackiert werden. Es war extrem riskant dorthin zu gehen. Es sei denn, ich würde eine Besonderheit des Raumes nutzen. Leise öffnete ich die Tür vom Quartier des Kapitäns und wagte einen Blick in den Gang. Es war immer noch still. 

Der Frachtaufzug im Heck der Reclaimer führte zum Frachtraum und zur Aufbereitung. Und zu einer weiteren Ebene. Dem Balkon, der den kompletten Raum der Aufbereitung umgab. Von dort konnte ich aus erhöhter Position den ganzen Raum überblicken. Sollten Nine Tails dort sein, hätte ich einen Vorteil. 

Quietschend setzte sich der Aufzug langsam nach oben in Bewegung. Nach kurzer Fahrt stoppte er mit einem lauten Rums. Die Tür öffnete sich. Stahlplatten und ein Container lehnten am Geländer des Balkons und versperrten den Blick. Ich konnte nicht sehen, ob jemand unten im Raum war, aber ich konnte auch nicht gesehen werden. Aus der Deckung der Stahlplatten wagte ich einen Blick runter in den Raum. Er war voll mit Technik. Server, Kabel, Schreibtische, Monitore, Container. Mehrere Nine Tails waren zu sehen. Durch das Zielfernrohr sah ich einen Schreibtisch, auf dem ein Admin-Rechner mit einem Karten-Slot stand. Der Rechner stand am anderen Ende des Raumes. Und jetzt? Zwischen mir und dem Rechner waren mehrere Meter und eine Handvoll Nine Tails. Und er war eine Ebene unter mir. Wie sollte ich unbemerkt dorthin kommen? Ich sah nur einen Weg. Ein Weg, der mir nicht wirklich gefiel. 

Es machte Plop Plop. Ein Nine Tail fiel zu Boden. Die anderen reagierten nicht. Der Schalldämpfer meiner Waffe verschluckte den Knall der Schüsse fast vollständig. Im Zielfernrohr tauchte der nächste Nine Tail auf. Plop Plop. Wie von Geisterhand fiel lautlos ein Nine Tail nach dem anderen. Ich fühlte mich wie ein Todesengel. Ein Gefühl wie Bauchschmerzen. 

Nachdem alle Nine Tails ausgeschaltet waren, ging ich zum Admin-Rechner. Der Weg führte vorbei an Serverschränken und leblosen Körpern. Die Bauchschmerzen gingen nicht weg. Sie oder ich. War es so einfach? Es war eine einfache Wahrheit, machte es aber nicht einfacher. Auch das Wissen, dass die Individuen in einem neuen Körper regenerierten, war nur ein schwacher Trost. Falls sie regenerierten. Und nach er Regenerierung würden sie wieder losziehen, um zu rauben und zu morden. Die Nine Tails waren erbarmungslose Piraten. So gesehen war die Imprint Technologie echt ein Scheiß.

Ich stand vor dem Admin-Rechner. Der Kryptokey schlüpfte in den Slot. Der Rechner fing an zu arbeiten. Ein grüner Schriftzug auf dem Monitor signalisierte die erfolgreiche Übertragung der Daten. So leise wie ich gekommen war, verschwand ich wieder mit der White-Rabbit in der Dunkelheit des Weltalls. Wie ein Geist, der zu einem Schatten wurde und sich schließlich auflöste.