Ein Hinweis führte mich tief in die Vergangenheit. In eine vergessene Vergangenheit voller Rätsel und Gefahren.
Inzwischen wusste ich, dass die Siedler der Moreland Hills Flüchtlinge aus dem Pyro-System waren. Bei ihrer Ankunft im Stanton-System waren sie zuerst in der Schrott-Siedlung Zephyr gelandet. Was ich nicht wusste, war, ob es noch mehr Flüchtlinge gab und ob sie Hilfe brauchten. Von der UEE oder den Megakonzernen hatten sie nichts zu erwarten. Die Flüchtlinge waren Unabhängige, keine Citizens des UEE. Sie gehörten zu den freien Völkern, genau wie ich. Spontan flog ich nach Zephyr, um zu helfen.
In Zephyr ging ich direkt in den Shop der Siedlung. Der Besitzer hatte mir die entscheidenden Informationen über die Herkunft der Siedler aus den Moreland Hills gegeben. Er wusste bestimmt noch mehr. Stantons Stern stand bereits tief über dem Horizont und tauchte die Siedlung in ein warmes, braunes Licht. Eine leichte Brise wehte durch das rostige Raumschiffgerippe, in dem der Shop untergebracht war. Die Planen, die notdürftig Schutz boten flatterten im Wind und das O der Leuchtreklame flackerte. Aber mehr Bewegung gab es nicht. Es war niemand zu sehen, der Shop war leer.
Dann hörte ich Stimmen und Gesang. Der Lärm kam aus der Bar. Dort traf ich auf eine wilde Party. Der Raum war brechend voll, die ganze Siedlung schien versammelt zu sein, auch der Shop-Besitzer war da. Mühsam bahnte ich mir einen Weg durch die tanzenden und trinkenden Menschen, bis ich endlich vor ihm stand.
“Hey, erinnerst Du Dich an mich? Ich war vor einer Weile hier und Du hast mir Infos über eine Gruppe Flüchtlinge aus Pyro gegeben. Ich musste mich für die Infos bis auf die Unterhose ausziehen”, rief ich gegen den Partylärm an.
“Ja, ich erinnere mich”, antwortete er kopfnickend.
“Gibt es noch mehr Flüchtlinge? Brauchen die Hilfe? Oder ihr hier in der Siedlung? Ich möchte helfen.”
Der Shop-Besitzer schaute mir in die Augen und legte seine Hand auf meine Schulter.
“Sehen wir so aus als ob wir Hilfe brauchen? In unserer langen Geschichte haben wir noch nie Hilfe gebraucht. Und unsere Geschichte ist sehr lang, sehr alt. Aus Ruinen sind wir auferstanden und haben uns nicht unterkriegen lassen, auch nicht von diesen verdammten Megakonzernen. Wir brauchen keine Hilfe von Fremden.”
“Was willst Du damit sagen?”, fragte ich ihn verwirrt.
“Hast Du noch nie eine der vielen verfallenen Siedlungen in Stanton gesehen? Was meinst Du welche Geschichte die haben.”
Noch bevor ich weitere Fragen stellen konnte, legte ein anderer Partygast seinen Arm um den Shop-Besitzer, zog ihn weg und sagte.
“Hör auf Geschichten zu erzählen. Wir sind zum Feiern hier.”
Mit einem großen Fragezeichen blieb ich inmitten von vielen Menschen alleine zurück. Bewegungslos stand ich zwischen den tanzenden Leuten. Die Stimmen in meinem Kopf vermischten sich mit dem Lärm der Party. Was meinte er mit “Sie haben sich von den Megakonzernen nicht unterkriegen lassen und sind aus Ruinen auferstanden”? Ich kannte alte, verfallene Siedlungen. Auf Microtech und auf Daymar hatte ich mal welche gefunden. Gab es noch mehr? Und verbarg sich in den Ruinen ein weiterer Skandal mit den Megakonzernen? Eine weitere Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen, die in Freiheit leben wollten?
Ich spürte aufkeimenden Zorn in mir. Dem musste ich nachgehen. Doch zunächst brauchte ich Informationen über weitere Standorte verfallener Siedlungen. Und ich wusste, wer mir dabei helfen konnte. Marsden Analytics, das Start-up in New Babbage auf dem Planeten Microtech.
*
Mit den Informationen von Marsden Analytics fand ich auf dem Planeten Microtech und seinen Monden Clio und Euterpe verfallene Siedlungen. Teilweise waren sie verlassen, teilweise stieß ich auf Nine Tails. Mein rechter Arm schmerzte immer noch von einer Kugel, die ich abbekommen hatte. Bei meinen weiteren Erkundungen musste ich vorsichtiger sein.
Inzwischen war ich auf dem Crusader-Mond Daymar. Ich hatte meine White-Rabbit ein ganzes Stück entfernt gelandet und fuhr mit dem Medivac Rover bis kurz vor die Siedlung, blieb aber außer Sichtweite der Siedlung. Das letzte Stück legte ich zu Fuß zurück. Im Schutz der Dunkelheit näherte ich mich über ein Plateau. Bei jedem Schritt knirschte der Sand unter meinen Füßen. Noch konnte ich nichts sehen außer den vielen Sternen über mir. Kurz vor dem Rand des Plateaus legte ich mich auf den Bauch und kroch zu einem Felsen. Aus der Deckung heraus sah ich unten im Tal die Ruinen der alten Siedlung im hellen Licht der Scheinwerfer. Mehrere Nine Tails patrouillierten zwischen den verfallenen Mauern.
Genervt lehnte ich mich mit einem Stöhnen gegen den Felsen. Im Sand sitzend, rieb ich mit der linken Hand die Schusswunde am rechten Arm. Diese Nine Tails, sie waren wirklich eine Plage. Aber es half nichts, sie würden mich nicht willkommen heißen. Ich musste mir den Weg freischießen. Ich griff an meinen Rucksack, um mein Scharfschützengewehr zu nehmen und griff ins Leere. Auf der anderen Seite des Rucksacks ertastete ich eine Waffe, es war das P4 Sturmgewehr. Verflucht! Damit war der Kampf auf Distanz nicht so einfach. Aber ich musste es versuchen. Einfach in die Siedlung zu stürmen, war zu riskant.
Der erste Nine Tail erschien im Visier. Aus der Entfernung wirkte er trotz der Zieloptik klein. Immer wieder wanderte er im Sichtfeld hin und her, obwohl er still stand. Ich hatte Mühe, die Waffe ruhig zu halten. Langsam atmete ich ein und aus. Dann bewegte ich vorsichtig den Zeigefinger. Ein Schuss hallte durch die Nacht. Der Nine Tail taumelte, griff nach seiner Waffe und sah sich nervös um. Er hatte keine Ahnung, woher der Schuss kam. Ich schoss wieder und wieder, bis er am Boden lag.
Inzwischen rannten die anderen Wachen wie die Irren herum. Ich zielte auf einen anderen Nine Tail und schoss vorbei. Ich schoss und schoss, wechselte das Magazin und schoss weiter. Dann war das letzte Magazin leer. Ich hatte meine ganze Munition verschossen und nur zwei Nine Tails erledigt, was für eine Scheiße. Jetzt hatte ich nur noch meinen Coda-Revolver. Ich hatte keine Wahl, ich musste den Berg runter und in die Siedlung.
Halb rennend, halb rutschend schlitterte ich den sandigen Hang hinunter. In einem Bogen umging ich die Siedlung und näherte mich im Schutz von Felsen und einer hohen Steinmauer. Die Mauer bot mir Schutz, versperrte mir aber auch die Sicht. Ich hatte keine Ahnung, wo sich die Nine Tails befanden.
Als ich die Mauer erreicht hatte, kam plötzlich einer um die Mauer herum. Ich drückte ab, die Wucht des Rückstoßes hätte mich fast umgehauen. Der Nine Tail fiel zu Boden. Ein Schuss hatte gereicht. Die Coda war eine Wucht.
Geduckt rannte ich abseits der Lichtkegel an einem Container vorbei zu den verfallenen Resten einer niedrigen Mauer und ging dahinter in Deckung. Vorsichtig spähte ich über die Mauer. Ein Nine Tail entfernte sich von meiner Position, ein anderer kam direkt auf mich zu. Ich zog den Kopf ein und zählte bis drei. Blitzschnell schaute ich über die Mauer, legte die Coda an und drückte ab. Nichts passierte. Das verdammte Ding hatte Ladehemmung. So schnell wie ich aufgetaucht war, verschwand ich wieder hinter der Mauer, wechselte das Magazin, tauchte wieder auf und drückte erneut ab. Nichts. Der Nine Tail stand jetzt nur zwei Meter entfernt, genau auf der anderen Seite der Mauer. Wir sahen uns direkt an. Ich drückte erneut ab. Kein Schuss. Dann richtete der Nine Tail seine Waffe auf mich. Erst ein lauter Knall, dann ein brennender Schmerz im rechten Arm. Die Wucht der Kugel drückte mich ein Stück nach hinten. Ich konnte einen Sturz gerade noch abfangen und flüchtete taumelnd in den Schutz der Dunkelheit hinter mehrere Felsen.
Der Nine Tail schien mich aus den Augen verloren zu haben. Ziellos begann er zu suchen, blieb aber immer im Licht. Im Schutz der Dunkelheit untersuchte ich verzweifelt meine Coda. Aber sie funktionierte nicht mehr. Ich war unbewaffnet. Was nun? Mehr aus Verzweiflung als mit einem Plan warf ich einen Stein gegen die hohe Mauer in einiger Entfernung. Der Stein krachte gegen die Mauer, fiel herunter und polterte über mehrere Mauerreste. Der Nine Tail reagierte auf das Geräusch und schaute in die Richtung der Mauer. Er stand etwa 20 Meter entfernt mit dem Rücken zu mir.
Einen kurzen Moment überlegte ich. Dann lief ich schnellen Schrittes los. Aber nur so schnell, dass ich kein Geräusch machte. In wenigen Sekunden hatte ich die Distanz zum Nine Tail überwunden. Beherzt packte ich ihn von hinten mit dem Arm um den Hals und riss ihn zu Boden. Ein heftiger Schlag mit der Coda gegen seinen Helm schickte ihn ins Reich der Träume. Schwer atmend nahm ich ihm Waffe und Munition ab.
Nachdem ich den letzten Nine Tail ausgeschaltet hatte, durchsuchte ich die Siedlung. Ich nahm alles mit, was mir wertvoll oder nützlich erschien. Alles, was irgendwie helfen könnte, herauszufinden, wer die Siedlung gebaut hat, wann sie gebaut wurde und warum sie verlassen wurde.
Als ich zum Rover zurückkehrte, drehte ich mich noch einmal um und betrachtete die Bauweise. Es war anders als die bewohnten Schrott-Siedlungen wie Zephyr. Diese Siedlung war nicht aus Schrott, sondern aus Stein gebaut. Genau wie die anderen verfallenen Siedlungen, die ich bisher gefunden hatte. Sie hatten alle denselben Baustil.