Manchmal lässt man seine Vergangenheit hinter sich, geht neue Wege, findet neue Freunde und geht dann auch wieder getrennte Wege.
Es war eine lange durchzechte Nacht. War es wirklich eine Nacht? Nach der Party in den Moreland Hills hatte ich gefühlte 2 Tage geschlafen. Es war ein tolles Fest gewesen. Ich hatte zwar nichts über die geheimnisvolle Vergangenheit der Bewohner erfahren, aber wir waren uns näher gekommen und hatten Freundschaften geschlossen.
Schlaftrunken trat ich vor die Hütte. Ein steifer kühler Wind blies mir ins Gesicht. Die Pflanzen der Plantage raschelten und wogten. Mit den Fingern rieb ich mir die Müdigkeit aus den Augen. Dann blickte ich nach links zu meiner Vulture und erstarrte. Ich konnte nicht glauben, was ich sah. Meine Vulture, sie war nicht mehr gelb, sondern olivfarben und übersät mit Graffiti.
Empört stürmte ich in die Hütte zurück. Niemand war da. Durch den Hinterausgang ging ich weiter ins Gewächshaus. Maria war gerade mit ein paar Pflanzen beschäftigt. Ohne ein Wort des Grußes polterte ich los.
“Was ist mit meinem Raumschiff passiert?”
“Einen schönen guten Morgen Zero”, flötete sie in einem sanften Ton.
“Äh ja, guten Morgen”, stotterte ich heraus.
Maria verstand es, mit ihrer Ruhe jeden Ärger verschwinden zu lassen. Es war ihre Art und der Lebensstil der Menschen in den Moreland Hills, der mir so gut gefiel. Die mir in den letzten Wochen so viel Kraft gegeben hatte, mich daran erinnert hatte, was wirklich wichtig war. Das Leben hier hatte mich verändert, nicht nur äußerlich. Meine Gesichtshaut war von der Sonne und dem rauen Wind gegerbt. Und um meinen Mund war ein kleiner Bart gewachsen.
“Du wolltest doch mehr über uns erfahren”, erklärte Maria. “Der neue Look Deines Schiffes ist unsere Botschaft an Dich.”
Maria wandte den Blick von mir ab und widmete sich wieder ihren Pflanzen. Wie so oft sprach sie in Rätseln. Mit einem verwirrten Lächeln verließ ich das Gewächshaus und ging zu meiner Vulture. Eigentlich gefiel mir die Graffiti-Optik. Es wirkte rebellisch, lebendig, irgendwie fröhlich. War das die Botschaft, die Maria mir geben wollte? Als ich näher kam, entdeckte ich auf der Seite ein Logo und einen Schriftzug.
“PYROTECHNIC AMALGAMATED”
Was hatte das zu bedeuten? Hatte es etwas mit dem Pyro RYT Multitool von Greycat Industrial zu tun? Was wollte Maria mir damit sagen? Ein lautes Piepen und ein Vibrieren an meinem Handgelenk unterbrachen meine Gedanken. Es war eine Nachricht von Brubacker. Er brauchte meine Hilfe. Stöhnend kletterte ich die Leiter zum Cockpit hinauf und flog los.
*
Ich traf Brubacker, Hermieoth und Husky auf der Raumstation im Orbit des Planeten Hurston. Brubacker sah mich an und lachte.
“Zero, was ist mit dir passiert? Du siehst aus wie Dein eigener Großvater.”
“Sehr witzig”, erwiderte ich. “Hast Du mal in den Spiegel geschaut?”
Nicht nur Brubacker, sondern auch Husky und Hermieoth hatten Bärte. Mein Gott, wie lange war ich fort gewesen und hatte die anderen nicht gesehen? Oder war es den anderen wie mir ergangen? Hatten sie, nachdem ENOS vorbei war, endlich Ruhe gefunden und die Dinge einfach laufen lassen?
“Und ja”, schob ich noch hinterher. “Der Scheiß mit ENOS, Aruhso dem Hausmeister und der ganze Kram hat mich alt werden lassen. Was steht an? Ach ja, ich hab einen der neuen Medivac Rover dabei. Weiss ja wie tollpatschig Du bist Bru”.
“Wir haben noch nicht alle Siedlungen durchsucht, um das Rätsel von Aruhso zu lösen. So wie es aussieht, will er, dass wir nach Pyro kommen. Wir brauchen aber noch die letzten Buchstaben um zu erfahren wohin genau.”, erklärte Brubacker.
Wir stiegen in meine White-Rabbit und flogen gemeinsam auf den Planeten Hurston zu einer Siedlung mit dem Namen Zephyr. Sie lag auf einem Hügel in einer braunen Landschaft, umgeben von Bäumen und Felsen. Über der Siedlung, die wie die anderen aus Schrottteilen zusammengesetzt war, hingen schmutzig braune Wolken. Ich flog einige Kreise über den Hügel, fand aber keinen geeigneten Landeplatz. Schließlich landete ich etwas weiter entfernt in einem Tal. Brubacker, Husky und Hermieoth gingen zu Fuß, ich fuhr mit dem Rover zur Siedlung.
Es handelte sich um eine typische Schrottsiedlung mit Baracken, Türmen und Windrädern. Eine Besonderheit gab es allerdings. Einen Shop unter dem nackten Gerippe eines Raumschiffes. Er war nur mit Tüchern überdacht. Die Waren lagen quasi im Freien auf Tischen. Es gab Waffen, Multitools und Rüstungen. In rostigen Regalen standen Kisten und Kartons. Während die anderen Buchstaben in der Siedlung suchten, ging ich zum Shop.
“Einen coolen Shop hast Du”, begrüßte ich den Verkäufer.
“Danke. Schau Dich gerne um. Top Ware hab ich hier. Wenn Du was spezielles suchst, dann finden wir das auch”, sagte er augenzwinkernd.
Interessiert schlenderte ich an den Auslagen vorbei. Aus einem Fass, das mit Steinen gefüllt war, ragte der Oberkörper und der Kopf einer Puppe. Zumindest hoffte ich, dass es eine Puppe war. Sie trug eine schwarze Rüstung, die es auch im Shop auf der Piraten Station Grim Hex gab. Die Söldner von TYR trugen diese Rüstung. Dann fand ich in einem Regal eine Metallplakette. Sie war olivfarben. Auf ihr war ein Logo und die Aufschrift “PYROTECHNIC AMALGAMATED”. Es war das gleiche Logo und die gleiche Aufschrift wie auf meiner Vulture. Hatte Maria mir tatsächlich einen Hinweis zu ihrer Vergangenheit auf meine Vulture gemalt? Gab es einen Zusammenhang mit dieser Plakette? Neugierig zeigte ich dem Verkäufer die Plakette und fragte:
“Was ist das für eine Plakette?”
“Das? Langweiliges Zeug aus dem Pyro System. Pyrotechnic Amalgamated war ein Bergbau- und Terraforming Unternehmen, das vor allem für die Entdeckung des Pyro-Systems bekannt war. Inzwischen sind die Pleite und Gangs haben ihre Raumstationen in Pyro übernommen.”
“Wie bist Du zu der Plakette gekommen?”
“Hier kommen immer mal wieder Flüchtlinge aus Pyro durch.”
Mit einem Schlag war ich hellwach. Adrenalin strömte durch meinen Körper. Hatte ich wieder eine Spur zur Vergangenheit der Flüchtlinge in den Moreland Hills gefunden?
“Flüchtlinge sagst Du? Ist mal eine Gruppe vorbeigekommen, die von einem Richard und einer Maria angeführt wurden? Hatten mal in Weeping Cove gelebt.”
Der Verkäufer schaute mich kritisch an.
“Du stellst ganz schön viele Fragen. Wie ein Ermittler oder Kopfgeldjäger siehst Du nicht gerade aus. Du trägst das Outfit der Leute in den Schrott Siedlungen. Was hast Du vor? Ist Dir Deine Frau mit einem anderen durchgebrannt?”
Ohne ein Wort zu sagen, schaute ich dem Verkäufer in die Augen und zuckte mit den Schultern.
“Na gut”, fuhr er fort. “Aber das kostet Dich was. Deine gesamte Ausrüstung die Du am Körper trägst will ich haben:”
Zuerst wollte ich protestieren, aber dann ließ ich es und zog mich bis auf die Unterhose aus. Der Verkäufer grinste über das ganze Gesicht. Schließlich fing er an zu erzählen.
“Ja, es kam tatsächlich eine Gruppe aus Pyro, die von einer Maria und einem Richard angeführt wurden. Die Forgotten15 hatten sie aus Pyro ins Stanton System geschmuggelt. Keine Ahnung, warum das so geheimnisvoll sein musste. Ich hatte aber den Eindruck, dass sie nicht wollten, dass irgendjemand erfährt, dass sie hier sind. Zuerst hatten sie sich hier niedergelassen und unserer Gruppe angeschlossen. Aber irgendwann gab es Streß. Leute aus Lorville kommen hier manchmal vorbei. Das wollten Maria und Richard nicht. Frag mich nicht warum. Auf jeden Fall sind wir irgendwann getrennte Wege gegangen. Die Gruppe von Maria und Richard ist weitergezogen nach Weeping Cove. So wie ich mitbekommen habe, ging es dort auch nicht lange gut. Mehr weiß ich aber nicht.”
Ich bedankte mich beim Verkäufer und ging in Unterhose in die Bar. Darauf musste ich einen trinken. Es passte alles zusammen. Die Siedler von Moreland Hills waren Flüchtlinge aus Pyro. Deshalb hatte Maria den Hinweis auf Pyro auf meine Vulture gemalt. Das Drogenkartell Forgotten15 hatten früher Menschen für ENOS-Experimente von Stanton nach Pyro geschmuggelt. Sie waren auch in der Lage, auf dem Rückweg Menschen zu schmuggeln. Warum Maria und Richard nicht wollten, dass jemand erfährt, dass sie von Pyro nach Stanton gekommen waren, blieb mir ein Rätsel. Ich wusste nur, dass sie Streß mit Hurston Dynamics hatten. Wahrscheinlich wollten sie deshalb niemanden aus Lorville in der Siedlung. Es überraschte mich nicht. Jeder klar denkende Mensch lehnte die Methoden von Hurston Dynamics ab und hatte Ärger mit Hurston Security, wenn er die Klappe zu weit aufmachte. Tja und wie sie von Weeping Cove nach Microtech gekommen waren, wusste ich aus dem Tagebuch von Jeff Goldstein. Zufrieden, das Rätsel gelöst zu haben, öffnete ich eine Flasche Bier und nahm einen tiefen Schluck.
Plötzlich stürmten Brubacker, Hermieoth und Husky in die Bar.
“Hey was geht hier für eine wilde Party. Warum hast Du nichts an?”, fragte Husky.
Brubacker schaute mich geradezu lüstern an und meinte:
“Mensch bist Du durchtrainiert. Wenn ich Dich so anschaue, da…..”
Ich ließ Brubacker nicht ausreden und fiel ihm ins Wort.
“Klappe Bru. Ich geh nochmal in den Shop und kaufe mir was zum Anziehen.”
Nachdem ich wieder ein paar Kleider am Leib hatte, gingen wir gemeinsam zu einem Einsiedlerhaus in einiger Entfernung von Zephyr. Dort fanden wir den letzten Buchstaben. Alle Buchstaben zusammen ergaben das Wort “Pyro Adir”. Adir war ein kleiner Mond, der Pyro V umkreiste. Ganz weit draußen, am Rande von Pyro. Also wollte Aruhso, dass wir dorthin gingen. Keiner von uns war begeistert.
Brubacker schien besonders in Gedanken versunken zu sein. Auf dem Rückweg zur White-Rabbit stürzte er in eine Felsspalte. Die Rettungsaktion war schwierig und zum Glück hatte ich den Medivac Rover dabei. Nachdem wir Brubacker aus der Felsspalte befreit hatten, konnten wir ihn ärztlich versorgen. Kaum war er wieder auf den Beinen, plapperte er los.
“Habt Ihr eigentlich gehört, dass es auf Hurston neuerdings Vulkane geben soll? Rap…oder so ähnlich.”
Wir schüttelten die Köpfe und Brubacker schaute auf sein Mobiglas.
“Rappel. Lasst uns das doch mal ansehen. Ist mal was anderes. Und vielleicht ein schöner Abschluss für heute.”
Wir stimmten zu und flogen mit der White-Rabbit nach Rappel. Eine weitere Schrott-Siedlung, aber eine ziemlich große. Während die anderen sich mit der Lava beschäftigen, fing ich an, Schiffswaffen einzusammeln, die überall verstreut lagen. Schätze, die ich für viel Geld verkaufen konnte. Schließlich kehrten die anderen mit einem schwer verletzten und humpelnden Brubacker zur White-Rabbit zurück. Die Möglichkeiten im Medivac Rover reichten nicht aus, wir brachten ihn ins Krankenhaus auf Everus Harbor.
*
Einige Tage später erhielt ich von Brubacker eine irritierende Nachricht. Er würde seinen Job als Reporter an den Nagel hängen und sich jetzt um seinen Ziehsohn Killer kümmern. Außerdem wolle Aruhso, dass er und Husky allein nach Pyro kämen. Erbost schrieb ich zurück, was ihm denn einfalle. Er könne doch nicht einfach aufhören, es gäbe noch so viele Unterdrückte, deren Schicksal öffentlich gemacht werden müsse. Aber es half nichts. Lapidar antwortete er, dass es wohl nicht für immer sei und er sich jetzt endlich auf Killer konzentrieren müsse. Dann brach das Signal ab. Brubacker hatte sein Mobiglas offline geschaltet.
Ratlos blickte ich auf das Display von meinem Mobiglas. Die Leere des Bildschirms war fast erdrückend. In einem Anflug von Melancholie erinnerte ich mich an die erste Begegnung mit Brubacker im Covalex Hub Gundo. Gemeinsam hatten wir den Killersatelliten-Skandal und ENOS aufgedeckt und veröffentlicht. Brubacker war zwar ein nerviger Tollpatsch, aber er war auch ein guter Freund geworden.
Es schien, als würde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Brubacker machte sich mit seinem Ziehsohn Killer aus dem Staub. Hermieoth kümmerte sich um seine Firma Pentragon. Husky drehte seine Runden auf der Rennbahn und wollte von den ganzen Verschwörungen nichts mehr wissen.
Unsere Gemeinschaft löste sich auf, wir gingen getrennte Wege.
Die Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/jahr-2954#S16