Bei der Untersuchung einer verlassenen Siedlung fand ich unerwartetes. Geschichten aus der Vergangenheit kamen zurück in die Gegenwart.
Ich war umgeben von verfallenen Mauern und Gebäuden. Sie waren Bruchstücke einer vergessenen Geschichte. Zeugen aus einer vergangenen Zeit. Eine Mauer streckte sich empor wie ein mahnender Zeigefinger. Worauf wollte sie hinweisen? Was hatte sie erlebt?
Die verlassene Siedlung am Fluss musste einst ein schöner Ort zum Leben gewesen sein. Frisches Wasser, grüne Bäume und üppige Vegetation. Gebäude aus Stein und keine Metallkisten wie heutzutage. Doch der Zahn der Zeit hatte gnadenlos an der Siedlung genagt. Es war kein Ort mehr zum Leben. Aber ein Ort, um Geschichten zu entdecken. Und genau das wollte ich. Ich wollte herausfinden, welche Geheimnisse dieser Ort preisgeben würde. Nach dem Ausflug mit F.R.O.S. war ich alleine zurückgekehrt, ohne die Chaoten.
Der Wind wehte kräftig. Er brachte Tücher zum Flattern und rostige Metallplatten zum Zittern. Ab und zu war das Scheppern der Platten zu hören. Sonst war es still und friedlich. In einer Konstruktion aus Stangen und Metallplatten stöberte ich herum. Es war vermutlich ein Gewächshaus oder ein Lager gewesen. Nur das Gerippe stand noch. Das Dach und die Wände waren weg. Alte Kisten und Regale standen dort, wo einst die Wände waren. In einer Kiste fand ich einen Gegenstand, der fast wie ein Flaschenöffner aussah. Er war rostig. Doch die Schrift auf dem Gegenstand war noch deutlich zu sehen.
Tevarin War
War das ein Andenken? Oder eine Auszeichnung? Hatten Veteranen vom Tevarin Krieg hier gelebt? Und wann hatten sie hier gelebt? Der zweite Tevarin-Krieg war 2603, 57 Jahre nach dem ersten Tevarin-Krieg. Das Stanton System wurde 2851 entdeckt. Es war also unwahrscheinlich, dass Veteranen hier gelebt hatten. Trotzdem schien der Gegenstand sehr alt zu sein.
Dann fand ich etwas, das nicht so alt war. Schlafsäcke, Isomatten und Stiefel. Sie lagen neben den Überresten eines Lagerfeuers. Jemand musste vor kurzem hier übernachtet haben. Nervös schaute ich mich um. Wer immer das war. Waren sie noch in der Nähe? Würden sie zurückkommen? Wahrscheinlich. Niemand würde seinen Schlafsack zurücklassen. Aber warum waren die Stiefel noch da? Es war zu kalt, um barfuß durch die Gegend zu laufen. Selbst wenn man nur kurz zum Fluss wollte, um sich zu waschen.
Von der Oberseite eines Containers hatte ich einen guten Überblick über die Siedlung, bis zum Fluss. Es war weit und breit niemand zu sehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Container relativ modern war. Er war zwar auch schon alt und heruntergekommen. Stammte aber definitiv nicht aus der Zeit, in der die Siedlung gebaut wurde. Irgendjemand hatte die alte Siedlung als Lager genutzt. Dann entdeckte ich auf dem Container eine Kiste und darin jede Menge Dolivine.
Nachdem ich das Dolivine in meinen Rucksack gepackt hatte, suchte ich weiter. Irgendwann erregte das Aufblitzen eines metallenen Gegenstands meine Aufmerksamkeit. Der Gegenstand lag direkt neben einem Erdhügel. Es sah so aus, als ob dieser erst vor kurzem aufgeschüttet worden war. Fasziniert kniete ich vor dem Gegenstand nieder und streichelte mit der Hand über die Oberfläche aus verstärkten Stoffen. Es war eine braune Rüstung. Eine Art Gürtel ging quer über die Brust. Am oberen Ende befand sich eine metallene Schnalle. Es war eine Atzalan Rüstung vom Hersteller Tehachapi. Tehachapi war ein ganz besonderer Hersteller, der seinen Ursprung in meiner Heimat hatte. Auf Ashana im Nul System.
Ein Schmuggler namens Gadkarii kaufte damals auf dem Basar in der abgestürzten Olympus eine Rüstung. Ein einzigartiges maßgeschneidertes Stück, das wiederverwendete Schiffspanzerung mit verstärkten Polymesh-Gewebe kombinierte. Sie hatte einen coolen, unverwechselbaren Look, der den individualistischen Geist des Grenzlandes verkörperte. Auf Basis dieser Rüstung entwickelte Gadkarii die Atzalan Rüstung und gründete die Firma Tehachapi. Heute noch wurden die Rüstungen von Tehachapi vor allem von denen getragen, die den Geist des Grenzlandes verinnerlicht hatten. Auch ich hätte gerne eine gehabt. Doch es gab sie in Stanton nicht zu kaufen.
Aber warum war das ganze Equipment noch hier und sonst niemand? So langsam wurde ich doch etwas nervös. Hatten Bergleute hier Quartier bezogen und waren gerade unterwegs? Oder Piraten? Aber warum hatten sie dann die Rüstung zurückgelassen? Etwas stimmte nicht. Ich suchte weiter.
Schließlich fand ich eine Notiz.
Die Basis in unserer abgestürzten Reclaimer mussten wir aufgeben. Der Angriff der Nine Tails war zu heftig. Jetzt sind sie uns auf den Fersen. Müssen schnell weiter. Das verstorbene Crewmitglied und seine Ausrüstung lassen wir zurück. Sind schneller mit weniger Gewicht.
Und dann fand ich noch eine Notiz.
Oliver hat es nicht geschafft. Der Captain will schnell weiter. Aber wir müssen Oliver zumindest notdürftig beerdigen. Seine Rüstung werde ich an sein Grab legen. Dann hat er wenigstens etwas aus der Heimat bei sich. Ich hoffe, wir finden bald ein neues Zuhause. Die langen Märsche über diesen kalten Planeten gehen mir auf die Nerven.
Wie ein nasser Sack sackte ich zusammen. Ich saß auf dem Boden im Staub und starrte auf die Notiz. Das war Surreal. Es kam mir vor wie ein Traum. Ich hatte damals als junger Bursche im Nul-System auf einer Reclaimer gearbeitet. An Bord gab es einen Oliver. Er hatte mir unter die Arme gegriffen und mir geholfen, den richtigen Weg einzuschlagen. Oliver hatte damals eine Atzalan Rüstung. Konnte es möglich sein, dass der Oliver von damals hier begraben war? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Der Kapitän der Reclaimer war ein anständiger Kerl gewesen. Er war wie ein Vater zu seiner Crew. Er hätte in einer Notiz nicht einfach von einem Crewmitglied gesprochen. Einen Verstorbenen hätte er ordentlich beerdigt und seine Sachen mitgenommen.
In Gedanken versunken ging ich zurück zur Rüstung. Zweifel nagten in mir. Wenn es doch der Oliver von damals war? Ich musste mehr herausfinden über die Mannschaft und die abgestürzte Reclaimer. Plötzlich zuckte ein anderer Gedanke wie ein schmerzhafter Blitz durch meinen Körper. Die Nine Tails. Sie hatten die Crew angegriffen und gejagt. Würden sie jeden Moment hier auftauchen? Ich musste schnellstmöglich verschwinden. Doch die Atzalan Rüstung wollte ich noch einpacken. Sie passte perfekt zu mir, als wenn sie ein Teil meiner eigenen Geschichte gewesen wäre. Sie war ein Andenken an meine Heimat. Ein Ausdruck von Freiheit. Eine Freiheit, die es nur im Grenzland gab. Dem Grenzland in dem ich aufgewachsen war, außerhalb des UEE Gebietes. Und wenn sie wirklich dem Oliver von damals gehörte, wollte ich sie in Ehren halten.
Nachdem ich alles verpackt hatte, kehrte ich zurück nach New Babbage. Dort wollte ich nachforschen und mehr über die abgestürzte Reclaimer herausfinden. Mit etwas Glück würde ich sogar die Absturzstelle finden. Und mit ganz viel Glück würde ich die Bergungsmannschaft aus der Reclaimer finden. Und mit der Mannschaft die Wahrheit über das, was hier passierte. Diese Geschichte würde nicht vergessen werden.