Ich folgte der einzigen Spur zum Ursprung der Siedler in den Moreland Hills.
Die Siedler in den Moreland Hills hüllten ihre Vergangenheit in einen Mantel des Schweigens. Aus einem Tagebuch wusste ich, dass sie Flüchtlinge waren. Auf ihrer Flucht waren sie zuerst auf dem Planeten Hurston gewesen. Dort wurden sie gejagt und eingesperrt und kamen schließlich auf den Planeten Microtech. Ich war fasziniert von ihrem einfachen und freien Leben. Und genauso fasziniert war ich von ihrer geheimnisvollen Geschichte. Woher kamen sie? Warum waren sie auf der Flucht? Brubacker war der Meinung, dass es sinnlos sei, in der Vergangenheit der Siedler zu graben. Aber ich konnte nicht loslassen. Ich musste mehr wissen. Und ich hatte eine Spur, einen Namen: Jeff Goldstein. Den hatte ich von Richard bekommen. Dem Waffenhändler und Anführer der Gruppe, die sich von den Siedlern in den Moreland Hills abgetrennt hatte.
Ich hatte meine Freunde von Marsden Analytics auf den Namen angesetzt. Und sie hatten etwas gefunden, einen Artikel in der Frosty Gazette. Jeff Goldstein war Logistikoffizier der UEE Navy auf der Raumstation INS Jericho gewesen. Er war wegen Korruption und illegalem Waffenhandel unehrenhaft entlassen worden. Jetzt wurde mir klar, warum Richard Jeff Goldstein kannte.
*
Die White Rabbit glitt leise durch die Dunkelheit des Weltalls. In der Ferne waren die grünlichen Gaswolken des Lagrange Points zu sehen. Vor uns schälte sich langsam die Raumstation Jericho aus dem Schwarz. Eine flache Konstruktion mit Gebäuden in der Mitte. Links und rechts befanden sich krabbenartige Zangen zwischen denen Großkampfschiffe andocken konnten.
Ich war mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, unangemeldet zu einer militärischen Raumstation zu fliegen und Fragen über einen unehrenhaft entlassenen Offizier zu stellen. Die Tatsache, dass Hermieoth und Brubacker dabei waren, beruhigte mich ein wenig. Dennoch blieb ein Gefühl der Unsicherheit. Hermieoth hatte angeboten, seine gute Position bei der Civilian Defense Force zu nutzen. Ich konnte mich als Sonderermittler von Crusader Industries ausgeben. Wir hatten also Möglichkeiten, aber würde das reichen?

Die Triebwerke der White Rabbit verstummten, nachdem ich auf einem Landepad gelandet war. Begleitet von einem metallischen Schaben öffnete sich die Heckrampe. Gemeinsam gingen wir von Bord und betraten die Raumstation. Wir kamen in einen Lagerraum, in dem mehrere Soldaten mit Frachtkisten beschäftigt waren. Ein Offizier überwachte die Arbeiten. Mit einem Handzeichen bedeutete ich Hermieoth und Brubacker, sich zurückzuhalten. Ich ging direkt auf den Offizier zu und hielt ihm kurz meinen Dienstausweis von Crusader Industries unter die Nase.
“Entschuldigung. Ich bin Sonderermittler von Crusader Industries. Ich ermittle in einer Sache bezüglich illegalem Waffenhandel. Im Zentrum der Ermittlungen steht ein Jeff Goldstein. Nach meinen Informationen hatte er hier gearbeitet.”
Der Offizier antwortete ohne Verzögerung.
“Ja, Jeff Goldstein hat hier gearbeitet.”
“Und was können Sie mir über Jeff Goldstein sagen?”, hackte ich nach.
“Er war nie so richtig zufrieden mit seiner Position und wollte unbedingt zum UEE Marine Corps. Aber wie heißt es so schön:’Niemand bewirbt sich, ein Marine zu sein’. Die Rekruten werden ausgewählt. Jeff hat die Kriterien wohl nicht erfüllt. Vermute, das hat ihn gekränkt.”
“Warum wollte er ein Marine sein?”, fragte ich.
“Jeff hatte geradezu eine Obsession für Geheimoperationen”, fuhr der Offizier etwas abfällig fort. “Hat immer davon gesprochen und jede Menge Berichte gelesen. Es blieb aber ein Traum für ihn.”
“Und wo kann ich Jeff Goldstein jetzt finden?”
“Nach seiner Entlassung blieb er der Logistik sozusagen treu”, sagte der Offizier lachend. “Das letzte, was ich von ihm gehört habe, war, dass er auf dem Covalex Hub Gundo gearbeitet hat. Was nach dem Unfall dort aus ihm wurde weiß ich nicht. Eine Schande, dass ein Offizier so tief fallen kann.”
Ich bedankte mich bei dem Offizier, signalisierte Hermieoth und Brubacker mir zu folgen und ging mit beiden wieder an Bord der White Rabbit.
*
Die verlassene Raumstation Covalex Gundo Hub leuchtete im Scheinwerferlicht der White Rabbit. Große Bruchstücke und Trümmer schwebten wie Satelliten um sie herum. Im Hintergrund war der braune Wüstenmond Daymar zu sehen.
Erinnerungen ploppten in meinem Kopf hoch.
“Hey Bru. Weisst Du noch. Hier hatten wir unsere erste Begegnung.“
“Ja. An diese Raumstation habe ich noch mehr Erinnerungen”, antwortete Brubacker wenig begeistert.
“Also Leute, folgender Plan”, erläuterte ich das weitere Vorgehen. “Hier tummeln sich oft Piraten. Ich bleibe daher besser im Cockpit. Geht ihr in die Raumstation und sucht nach Hinweisen über Jeff Goldstein. Direkt am Eingang müsste ein Terminal mit einem Belegungsplan sein. Vielleicht hilft der weiter.”
“Du meinst im EVA in die zerstörte Raumstation fliegen?”
Brubacker machte nicht den Eindruck, als wäre er besonders motiviert. Hermieoth schien ihn aufmuntern zu wollen.
“Ich pass auf Dich auf. Folge mir einfach. Das bekommen wir hin.”
Kurz darauf verschwanden Brubacker und Hermieoth im Inneren der alten Raumstation. Über Funk konnte ich mithören, was die beiden fanden.
“Laut dem Belegungsplan hat Jeff im Pod 8 gewohnt”, meldete Hermieoth.
Für einige Minuten hörte ich, wie Brubacker Probleme hatte, durch die Station zu schweben. Er schien immer wieder irgendwo anzustoßen und verlor die Orientierung. Der Schreiberling gehörte einfach nicht ins Weltall. Während ich dem Funk lauschte, ließ ich das Radar nicht aus den Augen. Zu oft traf ich hier schon auf Piraten. Meine Anspannung wuchs. Jede Minute, die wir länger blieben, erhöhte das Risiko. Dann fiel mir etwas auf den Scannern auf. Genau in diesem Augenblick meldete sich Hermieoth wieder im Funk.
“Wir haben eine Kiste mit persönlichen Sachen im Pod von Jeff Goldstein gefunden.”
“Bringt sie gleich an Bord”, antwortete ich. “Ich will hier möglichst schnell weg. Ah, und wenn ihr zurückkommt; die Sensoren haben einen Frachtcontainer angezeigt. Bringt den auch an Bord. Wer weiß, vielleicht ist da etwas Wertvolles drin.”
Hermieoth und Brubacker grummelten irgendwas von ‘ich könne es nicht lassen’ oder so. Richtig verstehen konnte ich es nicht, sie sprachen zu leise.
Nachdem Hermieoth und Brubacker die Kiste und den Container mit einiger Mühe geborgen hatten, brachte ich die White Rabbit in eine sichere Entfernung zur Raumstation.

“Und was haben wir”, fragte ich, als ich den Frachtraum betrat, wo Hermieoth und Brubacker den Inhalt der Kiste untersuchten.
“So eine Art Medaille oder Orden vom 6th Platoon”, antwortete Brubacker. “Sieht alt und mitgenommen aus.”
“Und ein Datenpad. Es sind mehrere Dateien darauf. Unter anderem das Tagebuch von Jeff Goldstein”, ergänzte Hermieoth.
“Das hilft uns bestimmt weiter. Was steht drin?”,fragte ich voller Aufregung.
Hermieoth tippte auf dem Datenpad herum, dann sagte er enttäuscht.
“Keine Ahnung. Es ist durch ein Passwort geschützt. Kann es nicht öffnen.”
“Mist!” Auch ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen. “Irgendwelche Hinweise auf dem Datenpad? Manche Leute sind echt unvorsichtig mit Passwörtern. Oft wählen sie irgendetwas, das ihnen wichtig ist. Der Name der Katze, Frau, Geburtsdatum oder so.”
Brubacker stellte sich neben Hermieoth und fragte: “Was ist noch auf dem Datenpad?”
Zu dritt schauten wir auf die Dateiliste:
Brubacker schaute auf die Medaille vom 6th Platoon in seiner Hand, dann wieder auf das Datenpad und sagte nachdenklich: “Öffne mal das Portfolio vom 6th Platoon.”
Interessiert lasen wir das Portfolio durch. Das 6th Platoon war ein Teil der Spezialkräfte der UEE Marines und auch mit Geheimoperationen betraut. Sie wurden “Phantome” genannt.
“Was hat der Offizier auf der Jericho Station gesagt?”, grübelte Hermieoth. “Jeff Goldstein wollte zu den Marines und war besessen von Geheimoperationen? Ich probier mal ‘Phantome’ als Passwort.”
Hermieoth tippte auf das Datenpad. Der Bildschirm flackerte kurz, dann sahen wir die Einträge vom Tagebuch.
+++ Ältere Einträge archiviert und vom lokalen Speicher gelöscht +++
Eintrag 85
Ein weiterer Waffendeal mit den Dusters ging reibungslos über die Bühne. Ich finde es immer wieder unheimlich auf der alten rostigen Ölplattform zu landen. Irgendwann bricht das Landepad unter dem Raumschiff zusammen. Die Dusters könnten sich echt mal eine bessere Lokation suchen.Eintrag 86
Bin diesmal nicht über das Meer abgeflogen, sondern über die Insel. Auf der anderen Seite habe ich eine Farm gesehen. Sieht gemütlich aus. Muss da mal vorbeischauen.Eintrag 87
Bisher kein neuer Auftrag von den Dusters. Werde trotzdem mal zur Insel auf Hurston fliegen und mir die Farm anschauen.Eintrag 89
Bei einem gemütlichen Bier am Abend sind doch noch welche redselig geworden. Nicht über die Vergangenheit, aber über die Zukunft. Richard hieß der. Er will mit einer Gruppe weg von Hurston. Haben wohl Stress mit Hurston Dynamics. Wer hat das nicht. Hab mit ihm einen Deal. Ich bring die Gruppe nach Microtech und er steigt bei mir im illegalen Waffengeschäft ein. Kann dringend einen Gehilfen brauchen.Eintrag 90
Zurück auf Gundo. Muss den Transport der Gruppe Unabhängiger nach Microtech organisieren. Hab da schon eine Idee.Eintrag 91
Wir haben eine Überraschungsparty für Scott organisiert. Werde jetzt mal rüber gehen. Mel hat eine Flasche Esquire organisiert. Das könnte lustig werden.
“Nach oder während der Party ist Gundo explodiert”, sagte Brubacker nachdenklich.
“Auf jeden Fall wissen wir jetzt, wo die Siedler in den Moreland Hills vorher auf Hurston waren und dass Jeff sie nach Microtech gebracht hatte. Die Frage ist nur, wo genau die Farm auf Hurston ist.”
“Ich glaube, ich weiss wo das ist”, sagte Brubacker. “Ich war in einer Siedlung auf einer Insel. Auf der anderen Seite der Insel hab ich eine Ölplattform gesehen.”
“Dann lass uns da hin fliegen”, meinte Hermieoth.
“Auf jeden Fall”, sagte ich. “Aber erst müssen wir die Drogen in dem geborgenen Frachtcontainer verkaufen. Mit dem Zeug können wir nicht im Stanton System rumfliegen. Zu Riskant.”