Log #217 – Sackgasse

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Ich folgte den Spuren der Siedler aus den Moreland Hills. Doch wir versperrten uns selbst den Weg.


“Du suchst bitte was? Buchstaben?” Ungläubig starrte ich Brubacker an.

“Ja. Aruhso erpresst mich. Er verlangt, dass ich die ganzen Siedlungen auf dem Planeten Hurston abklappere. Dort soll ich  Buchstaben und Ausrüstungsteile sammeln.”

Aruhso, der nervige Typ, den wir während des Crew-Projekts als Hausmeister an Bord der Carrack hatten. Es hatte sich herausgestellt, dass er hinter dem Projekt und den Ereignissen steckte. Alles nur, um sich einen Spaß zu machen und ein paar Idioten an der Nase herumzuführen. Und jetzt schien er sich den nächsten Spaß erlauben zu wollen. Auch Husky war alles andere als begeistert. Wortkarg saß er auf dem Boden.

Kopfschüttelnd wandte ich meinen Blick von Brubacker ab und schaute wieder aus dem Cockpitfenster. Wir flogen auf eine Bucht zu, in deren Mitte eine rostbraune Ölplattform stand. Ich hatte zwar überhaupt keine Lust, die Spielchen von Aruhso mitzuspielen. Aber zum einen wollte ich Brubacker nicht im Stich lassen und zum anderen hatten wir einen gemeinsamen Weg. Er suchte an diesem Ort Buchstaben, ich folgte der Spur von Jeff Goldstein und den Flüchtlingen aus den Moreland Hills. Ein Ruck ging durch das Raumschiff. Hermieoth war auf einer freien Fläche der Ölplattform gelandet.

Als ich ausgestiegen war, offenbarte sich mir ein postapokalyptisches Bild. Fahles Licht fiel von einem mit braunen Wolken bedeckten Himmel auf die alte, verfallene Ölplattform. Der Boden bestand aus einzelnen rostigen und verbogenen Metallplatten. An einigen Stellen konnte man durch Löcher im Boden das Wasser unter der Ölplattform sehen. In der Mitte der Plattform standen mehrere Gebäude und zwei hohe Türme, zwischen denen Stahlseile gespannt waren. Aus einem dicken Rohr, das schräg in die Luft ragte, loderte eine große, schwarz qualmende Flamme. 

Die Endzeitstimmung wurde durch die Abwesenheit von Menschen noch verstärkt. Wir sahen niemanden. Kein Empfangskomitee kam auf uns zu. Also lief ich direkt zu den Gebäude. Nach ein paar Schritten erreichte ich einen überdachten Bereich. Es dauerte eine  Weile, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann sah ich sie im Schatten der Überdachung. Einige in Zivilikleidung, andere in Rüstungen und bewaffnet.

Ich trat einen Schritt zur Seite in den Schutz einer Frachtkiste und zögerte. Die Stimmung war angespannt. Der Wind wehte durch die Anlage, Metall knarzte und Windräder quietschten. Aber es passierte nichts. Von den Bewohnern ging keine Aggression aus. Vorsichtig löste ich mich aus meiner Deckung und sprach einen der Bewohner an. Die Antwort war ein mürrisches Knurren.

Da niemand mit mir reden wollte, begann ich, die Bohrinsel zu durchsuchen. Es schien niemanden zu stören. Vielleicht, weil sie mich für einen der ihren hielten. Ob es an der Rüstung lag, die ich trug? Die hatte ich in einer anderen Schrottsiedlung gefunden und sie passte zu den Rüstungen der Bewohner hier. Irgendwann fand ich auf einem Laptop Einträge über Waffengeschäfte mit Jeff Goldstein. Jeff war also tatsächlich hier gewesen. Aber ich fand keinen Hinweis über die Flüchtlinge aus den Moreland Hills. Dafür etwas anderes. Die Bewohner der Ölplattform waren nicht irgendwelche Schrottsammler. Sie gehörten zu den Dusters. Einer Bande von Kriminellen.

Nachdenklich kletterte ich auf das Rohr, aus dem die qualmende Flamme schoss. Als ich das Ende erreichte, schlug mir eine gewaltige Hitze entgegen. Schützend hielt ich mir die Hand vors Gesicht. Was hatte das alles zu bedeuten? Dass die Dusters mit einem illegalen Waffenhändler wie Jeff Goldstein Geschäfte machten, war keine Überraschung. Aber was hatten die friedlichen Bewohner der Moreland Hills mit dieser Bande zu tun? Richard hatte sich von der Gruppe getrennt und war seinen eigenen Weg als Waffenhändler gegangen. War das der Preis dafür, dass Jeff Goldstein sie nach Microtech gebracht hatte?

Meine Gedanken wurden von der Stimme Brubackers im Funk unterbrochen.

“Ich habe ein O gefunden.”

“Gut, dann können wir jetzt zur Farm auf der anderen Seite der Insel fliegen”, antwortete ich ungeduldig.

Ich machte mich auf den Weg zurück zum Landeplatz. Kurz bevor ich unser Raumschiff erreichte, hörte ich Schüsse aus einer Gatling. Ich schaute Husky an, der neben mir stand. Beide rannten wir los, in die Richtung, aus der die Schüsse kamen.

Nach einem kurzen Sprint waren wir wieder bei den Gebäuden. Unmittelbar neben einem mit Sandsäcken gesicherten Wachposten, der mit einer Gatling bewaffnet war, fanden wir Hermieoth angeschossen auf dem Boden liegend. Brubacker stand entsetzt daneben. Einer der Bewohner der Bohrinsel entfernte sich gerade. 

Ein Streit zwischen Hermieoth und Brubacker entbrannte. Brubacker hatte trotz Warnung von Hermieoth mit der Gatling herumgeballert. Einer der Dusters wollte dem ein Ende setzen. Leider traf er statt Brubacker Hermieoth. Die Stimmung zwischen den beiden war im Keller. 

Auch meine Geduld war am Ende. “Los! Wir fliegen jetzt rüber zur Farm. Ich fliege.”

Während dem Flug  zur Farm fiel mir ein Turm auf, der in der Mitte der Insel stand. Ich landete und die Gruppe teilte sich auf. Während Brubacker, Husky und Hermieoth zu Fuß weiter gingen, flog ich mit dem Raumschiff zur Siedlung. Weeping Cove war ähnlich wie Moreland Hills, nur größer. Im Zentrum der Siedlung standen die Gebäude, von denen wie Speichen eines Rades die Plantagen weg gingen. Ich wollte gerade zur Landung ansetzen, als ich im Augenwinkel Lichter sah.

Etwa einen Kilometer entfernt waren weiter unten in einer Bucht ein Turm und ein Gebäude zu sehen. Ich änderte den Kurs und konnte bei einem Überflug erkennen, dass auf dem Gebäude in großen rosa Buchstaben ‘BAR’ stand. Was hatte Jeff Goldstein in seinem Tagebuch geschrieben? Bei einem gemütlichen Bier seien die Bewohner redselig geworden? Das musste der Ort sein, an dem Jeff und Richard sich kennengelernt hatten. Der Ort, an dem die Siedler aus den Moreland Hills lebten, bevor sie nach Microtech kamen. Ich war auf der richtigen Spur. Hier konnte ich bestimmt in Erfahrung bringen, woher die Siedler ursprünglich kamen und warum sie auf Hurston verfolgt wurden. Ich fuhr das Landegestell aus und landete das Raumschiff hinter der Bar.

Die Bar war gut besucht. Diesmal wollte ich es etwas langsamer angehen lassen und die Leute nicht gleich mit Fragen überfallen. Ich nahm eine Flasche Bier aus einem Blecheimer mit Eiswürfeln. Es zischte, als ich die Flasche öffnete. Ich schaute mich um, hob die Flasche zum Gruß in Richtung der anderen Gäste und trank sie in einem Zug aus. Dann nahm ich eine zweite Flasche und trank auch die in einem Zug aus. Plötzlich fühlte sich mein Kopf etwas schwammig an. Als ich eine weitere Flasche aus dem Eimer nahm, merkte ich, dass meine Hand-Augen-Koordination beeinträchtigt war. Egal, wenn ich Informationen wollte, musste ich mit den Bewohnern trinken. Ich war gerade dabei, mich unter die Leute zu mischen, als Hermieoth, Brubacker und Husky hereinkamen.

Gemeinsam machten wir uns über die Biervorräte her. Wir fingen an, die leeren Bierflaschen in einen Eimer in einer Ecke zu werfen. Nach einigen Flaschen eskalierte Husky. Er nahm seine Med-Gun, fuchtelte erst damit herum und injizierte sich dann irgendwelche Medikamente. Einige der Gäste gingen hinter Tischen und Hockern in Deckung. Husky schien das zu provozieren. Er schrie die Gäste geradezu an.

“Hey was ist los mit Euch? Noch nie eine Med-Gun gesehen? Die ist harmlos. So sieht eine Waffe aus.”

Unvermittelt zog Husky seine Pistole und schoss mehrmals in die Luft. Schreiend rannten die meisten Gäste aus der Bar. Die wenigen, die noch da waren, suchten Deckung oder warfen sich auf den Boden. 

“Na toll”, dachte ich. So konnten wir kein Vertrauen bei den Bewohnern aufbauen. Verärgert holte ich mir die nächste Flasche Bier und noch eine und noch eine und noch eine. Es dauerte nicht lange, bis mir die Knie weich wurden. Wankend lief ich auf ein rotes Sofa zu. Doch ich verfehlte es und landete der Länge nach daneben auf dem Boden. Direkt neben dem blauen Eimer, in den wir die leeren Bierflaschen geworfen hatten. Ich stöhnte noch einmal, dann fielen mir die Augenlieder zu.

Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich dort gelegen hatte. Als ich wieder aufwachte, war die Bar so gut wie leer. Husky, Brubacker und Hermieoth waren weg. Die wenigen Gäste, die noch da waren, schauten mich abfällig an und wollten nicht mit mir reden. Das war’s dann wohl mit meiner Spur zu den Ursprüngen der Siedler aus den Moreland Hills. 

Wie aus Trotz schnappte ich mir eine Flasche Bier, verließ die Bar und ging zum Steg, der aufs Wasser hinausführte. Am Ende des Stegs ließ ich mich schwerfällig in einen wackeligen weißen Plastikstuhl fallen. Der Steg war zu Ende, meine Suche war zu Ende, ich befand mich buchstäblich in einer Sackgasse. Oder gab es noch andere Siedlungen, wo ich Informationen bekommen konnte? Im Moment konnte ich jedoch nichts anderes tun, als darauf zu warten, dass mich jemand abholte. Während ich dem Rauschen der Wellen lauschte, wurde der Himmel langsam heller. Die Wolken änderten ihre Farbe von schwarz-grau zu rot-braun.