Log #210 – Geteilte Siedlung

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In einer Siedlung stießen wir auf unerwartetes. Auf Menschen, die einen anderen Weg gingen.


Nach all den Turbulenzen um ENOS tat es gut, endlich wieder auf dem Hoverbike zu sitzen und zu entspannen. Unser Ziel war eine der Siedlungen, zu denen ich in Dunboro eine Wegbeschreibung gefunden hatte. Als wir losfuhren, versank Stantons Stern gerade hinter dem Horizont. In seinem letzten Schein färbte er den Abendhimmel und die Wolken in ein pastellfarbenes Orange. Wir glitten über eine grüne Graslandschaft mit sanften Hügeln, einzelnen Bäumen und Felsen. Am Horizont erhoben sich die Berge im fahlen Licht. Hermieoth flog mit der Carrack vor uns her und zeigte Chris, Brubacker, Husky und mir den Weg.

Die Berge, auf die wir zusteuerten, machten mir etwas Sorgen. Kjeld hatte mir erzählt, dass sich das Drogenkartell Forgotten15 in den Bergen von Microtech versteckte. Unser Ziel war eine nicht verzeichnete Siedlung in den Bergen. Es wäre ein großer Zufall, wenn wir genau dieses Versteck finden würden. Aber es war nicht auszuschließen. Ich hatte keine Ahnung, wie die Forgotten15 auf einen unangemeldeten Besuch reagieren würden. Auf jeden Fall war es besser, vorsichtig zu sein.

Inzwischen war es stockdunkel. Immer noch in Gedanken versunken, steuerte ich das Hoverbike durch die Nacht. Plötzlich gab es einen heftigen Schlag. Himmel und Boden verschmolzen zu einem sich wild drehenden dunklen etwas. Ich fühlte, wie ich durch die Luft wirbelte und dann auf dem Boden aufschlug. Einige Meter entfernt explodierte das Hoverbike in einem Feuerball.

“Zero, alles klar? Bist Du etwa ungebremst durch die Bodenwelle gefahren?”

Mühsam und stöhnend rappelte ich mich auf. 

“Oh Scheiße, das war heftig.”

“Tja und das war mein Hoverquad”, konstatierte Hermieoth. “Ein Ersatz-Bike haben wir nicht dabei. Ich lande, dann kannst in der Carrack mitfliegen.”

Wenige Minuten später starrte ich vom Copilotensitz aus in die Dunkelheit. Zusammen mit Hermieoth versuchte ich, einen geeigneten Weg für die Hoverbikes durch die Berge zu finden. Irgendwann bemerkte ich in einiger Entfernung einen roten Lichtpunkt.

“Schau mal da vorne.”

“Das ist ein Positionslicht. Vielleicht unser Ziel.”

“Links von uns noch eines. Es scheint tiefer unten zu sein. Vielleicht in einem Tal. Und da ist noch etwas. Was ist das?”

Langsam schälten sich Konturen aus der Dunkelheit. Dann erfassten die Scheinwerfer Gebäude in einem grünen Tal. Davor eine Fläche, die nicht wie Gras aussah.

“Das ist eine Plantage”, stellte Hermioth fest.

“Lande da mal. Das sieht schön aus.”

Hermieoth landete die Carrack direkt vor der Plantage. Fasziniert stieg ich aus. Durch die kleine Plantage führte ein mit Baumstämmen gesäumter Weg. Er führte direkt auf eine Art Eingang zu. Dort standen links und rechts vom Weg zwei Masten, die mit Seilen verbunden waren. An den Seilen hingen Ringe. Wir hatten die Siedlung gefunden. Sie war wie Harpers Point und Dunboro aus Schrottteilen zusammengezimmert. Aber sie war viel kleiner. Zwei Gebäude, ein Turm und mehrere Gewächshäuser, in denen alles Mögliche angebaut wurde. Es war ein wunderschöner friedlicher Ort. Ich hatte das Bedürfnis hier zu bleiben.

Die Bewohner schienen jedoch von unserer Ankunft eingeschüchtert zu sein. Sie rotteten sich zu einer Gruppe zusammen und schauten uns ängstlich an. Niemand wollte mit uns sprechen. In einem der Gebäude fand ich ein Zimmer mit einem Bett. An die Wand hatte jemand “GO TO HELL KRF” gekritzelt. KRF war die Abkürzung für Klescher Rehabilitation Facility, das Hochsicherheitsgefängnis von Hurston Dynamics. Unter dem Bett fand ich eine Art Tagebuch. Es gab nur einen Eintrag:

Wir dachten, wir wären der Tyrannei entkommen. Aber auf Hurston war es nicht besser. Wir wurden verfolgt, eingesperrt und bekämpft. Unsere spärlichen Besitztümer haben sie uns weggenommen. Auf der Suche nach einem friedlichen Leben zogen wir weiter. Doch der Terror verfolgte uns bis nach Microtech. Am Ende mussten wir auch unsere Siedlung auf Microtech verlassen und weiterziehen.

Die Moreland Hills sind jetzt unsere letzte Hoffnung auf ein Leben in Frieden. Wir wollen in Freiheit leben, für uns selbst sorgen und die Welt da draußen hinter uns lassen.

Leider ist unsere Gemeinschaft unter dem Terror zerbrochen. Die Gruppe um Richard hat den Glauben an ein friedliches Leben verloren. Sie haben sich zwei Kilometer entfernt auf der Anhöhe verschanzt. Mögen die Geister über sie wachen. Und möge Richard von dort oben über uns wachen und im Falle  der schlimmsten Befürchtungen unsere Rettung sein.

Ich hoffe wirklich, dass das Schlimmste nicht eintritt. Jetzt brauchen wir vor allem eine gute Ernte.

Ich las den Text zweimal durch und musste schlucken. Wer waren diese Leute und woher kamen sie? Irgendwie fühlte ich mit ihnen. Ich wusste genau, was einem auf Hurston widerfahren konnte und was es bedeutete, dort eingesperrt zu werden. Das Hochsicherheitsgefängnis Klescher war die Hölle. Aber wer verfolgte diese Menschen und warum waren sie auf der Flucht?

Nachdem ich den Text mit den anderen geteilt hatte meinte Brubacker:

“Komm, wir statten Richard einen Besuch ab.”

Ich schaute zu dem zwei Kilometer entfernten Berg. Er hob sich deutlich vom Nachthimmel ab. Auf seinem Gipfel schien ein Plateau zu sein. Dort leuchtete ein rotes Positionslicht. 

Als wir mit der Carrack auf dem Berg ankamen, stellten wir fest, dass es keinen Landeplatz gab. Das kleine Plateau war mit Gebäuden aus Schrott, Kisten, Stacheldraht und Baumstämmen übersät und komplett mit Metallplatten umzäunt. Zwei große Türme überragten das Plateau. An mehreren Stellen brannten große Lagerfeuer. Die Siedlung auf dem Berg war eine Festung. Zur Sicherheit zog ich wieder meine Rüstung an. Wir wussten nicht, ob Richard so friedlich war wie die Bewohner in der Siedlung im Tal. Zumindest schien er nicht an Frieden zu glauben. Wir mussten mit dem Schlimmsten rechnen.

Hermieoth hielt die Carrack im Schwebeflug. Brubacker, Husky, Chris und ich gingen von Bord. Wir teilten uns auf und durchkämmten die Siedlung. 

Chris meldete sich als erstes über Funk.

“Hier ist niemand. Der Ort ist verlassen. Vielleicht sind die gerade unterwegs und besorgen etwas.”

“Ja, auf einem Raubzug”, ergänzte Brubacker.

Dann war Husky im Funk zu hören.

“Ich hab was gefunden. Einen Aussichtspunkt. Von hier hat man einen direkten Blick auf die Siedlung im Tal. Hier steht sogar ein Stuhl.”

“Ich hab auch was gefunden”, sagte ich. “Rüstungsteile. Die liegen hier im Gras rum. Die nehm ich mal mit.”

“Zero, wirklich. Die gehören jemanden. Du kannst das Zeug doch nicht einfach mitnehmen.”

Hermieoth klang verärgert. Er schien immer noch nicht zu verstehen, dass es in meiner Kultur normal war, Dinge die rum lagen und die Ausrüstung von Toten zu bergen und weiter zu verwenden.

Die Rüstungsteile, die ich gefunden hatte, passten zur Siedlung. Sie waren aus verschiedenen Stoffen und Metallteilen zusammengebastelt. Es war eine Rüstung, die in der Not aus dem Wenigen hergestellt wurde, das man hatte. Diese Leute waren keine Nine Tails, sie gehörten nicht zu den Konzernen, aber wer waren sie? Ich hatte das Gefühl, dass sie mir nicht fremd waren. Wie ich verwerteten sie den Schrott und die Reste der anderen. Und wie ich wollten sie in Freiheit leben.

Plötzlich war ein lauter Schrei von Brubacker zu hören.

“Ha Ha. Das ist lustig. Kommt macht mit. Lasst uns Spaß haben. Wer von Euch kann am längsten durch das Feuer laufen?”

Brubacker war völlig von der Rolle. Wie ein Irrer sprang er immer wieder durch ein Feuer. Fassungslos setzte ich mich neben dem Feuer auf einen Stuhl. Was zum Teufel war in den Typen gefahren? Wir hatten noch keinen Weg gefunden, ENOS zu stoppen und waren hier an diesem Ort auf ein neues Rätsel gestoßen. Auf Menschen, die verfolgt und vertrieben wurden. Menschen, die vielleicht Hilfe benötigten. Doch der tolle Redakteur interessierte sich nicht dafür. Er spielte lieber mit dem Feuer. Als wenn Brubacker meine Gedanken gehört hätte und noch eines drauf setzen wollte, rief er voller Inbrunst.

“Los jetzt ausziehen und in Unterhosen durch das Feuer springen.”

Es endete, wie es enden musste. Mit Verbrennungen.