Auf der Suche nach dem Drogenkartell Forgotten15 folgte ich zwielichtigen Menschen, Rätseln und bedrohlichen Spuren.
Der Wind bewegte die Pflanzen der kleinen Plantage hin und her und strich sanft über mein Gesicht. Mit geschlossenen Augen schaute ich in die Sonne. Die warmen Strahlen zauberten mir eine Gänsehaut auf den Körper.
“Zero, lass die Vergangenheit und die Welt da draußen ruhen. Nur das hier und jetzt zählt.”
Ich drehte den Kopf und schaute dem Siedler in die Augen. Nickend hob ich meine Bierflasche. Es klirrte leise, als seine dagegen stieß. Der Klang des Glases erinnerte mich daran, wie zerbrechlich die Beziehung war, die ich in den letzten Tagen in der Schrott-Siedlung aufgebaut hatte. Ich beschloss, keine weiteren Fragen zu stellen.
Mit nichts als Schrott und den Ressourcen, die vor Ort zu finden waren, hatten die Siedler eine kleine Farm aufgebaut. Mitten in diesem wunderschönen grünen Tal. Sie hatten alles, was sie zum Leben brauchten. Essen, Trinken, Freiheit und Frieden. Mehr wollten sie nicht. Sie wollten nur das hinter sich lassen, wovor sie geflohen waren. Über ihre Vergangenheit wollten sie mir nichts erzählen, auch nicht, als ich sie nach dem Tagebuch fragte, das ich hier gefunden hatte.
Selbst meine mitgebrachten medizinischen und landwirtschaftlichen Produkte machten sie nicht gesprächiger. So blieb mir nichts anderes übrig, als die Ruhe und den Frieden dieses wunderschönen Ortes zu genießen. Leider konnte ich nicht länger bleiben. Die Suche nach den Forgotten15 drängte mich zum Aufbruch. Ich hatte auch schon eine Idee, wo ich meine Suche fortsetzen würde. Aber diese eine Nacht wollte ich noch hier in den Moreland Hills verbringen.
*
Meine Erinnerung hatte mich nicht getäuscht. Als ich das letzte Mal in Harpers Point war, hatte ich in einer der provisorischen Hütten Drogen gesehen. Es war viel mehr, als die Bewohner der Siedlung für ihren Eigenbedarf brauchten. So friedlich dieser Ort auch war, hinter der Fassade musste mehr stecken. Vielleicht sogar so viel mehr, dass ich hier Informationen über das Drogenkartell Forgotten15 bekommen konnte.
“Hey Zero. Bringst wieder Hilfslieferungen?”
“Diesmal nicht. Aber wenn Ihr etwas braucht, geb bescheid. Ich kann jederzeit liefern, was immer ihr benötigt. Heute brauche ich aber etwas. Informationen über die Forgotten15.”
Beim Stichwort Forgotten15 schien der Siedler zu erstarren. Eindringlich sah er mich an. Die Zeit schien still zu stehen, als befänden wir uns in einem Standbild. Selbst das Knistern des Lagerfeuers und das Rauschen der Bäume verstummte. Schließlich löste sich der Siedler aus seiner Starre. Er schien seine Worte mit Bedacht zu wählen.
“Die Forgotten15? Ja, nun. Wurden die nicht zerschlagen, als Thane McMarshall den Anführer umgebracht hatte?”
“Thane McMarshall?”, fragte ich verdutzt.
“Ja, so hatte ich das gehört.”
Nachdenklich kehrte ich zu meinem Raumschiff zurück. Die Information überraschte mich. Kjeld Stormanson hatte mir erzählt, dass sich die Forgotten15 in den Bergen von Microtech versteckt hielten. Von einer Zerschlagung und davon, dass Thane den Anführer getötet hatte, hatte er nichts erwähnt. Hatte der Siedler mir überhaupt die Wahrheit gesagt? Ich hatte das Gefühl, dass er mir etwas verschwieg. Ich brauchte mehr Informationen.
In New Babbage erhielt ich die Bestätigung. Thane hatte tatsächlich den Anführer des Drogenkartells Forgotten15 Xin Roderic Miles bei einer Razzia erschossen. Ich erfuhr auch, dass Xin Miles mit Elaine Vanil verheiratet war. Über das weitere Schicksal der Forgotten15 und von Elaine Vanil erfuhr ich nichts. Wenigstens hatte ich einen Namen, nach dem ich fragen konnte.
*
Seit Tagen war ich in verschiedenen Siedlungen unterwegs, um nach Elaine Vanil zu fragen. Ich bekam keine Auskunft, außer dass ich aufpassen solle. Einige Leute würden nach mir suchen, weil sie es nicht mögen, wenn man zu viele Fragen stellt. Ich schien auf der richtigen Spur zu sein. Es war eine gefährliche Spur.
In Dunboro kam ich endlich einen Schritt weiter. Ich traf einen zwielichtigen Kerl, der gegen ein paar Gefallen bereit war zu reden. Und wie er redete. Er erzählte mir, dass Elaine Vanil auch die “Witwe” genannt wurde und dass die Forgotten15 in Microtech immer noch die High Society mit Drogen versorgte. Außerdem habe die Witwe die BlacJac Security auf dem Planeten ArcCorp infiltriert. Wo ich Elaine Vanil finden konnte, wusste er allerdings nicht.
Waren das alles nur Gerüchte? Oder sagte der Typ die Wahrheit? Ich musste nach ArcCorp. Wenn an der Sache was dran war, dann würde Tecia “Twitch” Pacheco das wissen. Sie war eine ehemalige Mitarbeiterin von BlacJac Security, hatte dann die Seiten gewechselt und handelte jetzt mit Drogen. Ich hatte schon einmal für Twitch gearbeitet und wusste, dass mich allein meine Frage etwas kosten würde. Kein Geld, aber einen Gefallen, den sie eines Tages einlösen würde. Ein Preis, den ich zahlen musste, wenn ich die Wittwe finden wollte.
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Die schroffen grün-braunen Berge von Microtech zogen unter mir durch. Erneut befand ich mich im Anflug auf Moreland Hills. Doch diesmal steuerte ich nicht die Farm im Tal an, sondern die Festung Razor’s Edge oben auf dem Berg. Ich fragte mich, warum ich nach meinem Abflug von der Farm nicht direkt auf den Berg geflogen war? Warum ich meine Suche nach den Forgotten15 nicht dort gestartet hatte? Es hätte mir jede Menge Arbeit, Ärger, Drohungen und unangenehme Gefallen, die ich für zwielichtige Gestalten erbringen musste, ersparen können.
Von Twitch hatte ich erfahren, dass die BlacJac Security und das ArcCorp Bureau of Drugs, Firearms and Explosives einen brutalen Krieg gegen den Drogen Untergrund in ArcCorp führten. Über Elaine Vanil wusste sie anscheinend nichts, aber sie erzählte mir, dass es eine Pipeline von Waffen und Tigerclaws zwischen Grim Hex und ArcCorp gab. In Grim Hex bekam ich auch keine Informationen über Elaine. Dort verwies man mich an einen illegalen Waffenhändler in Razor’s Edge. So schloss sich der Kreis und ich war wieder dort, wo ich mit der Suche nach den Forgotten15 angefangen hatte. Na ja, fast dort.
Beim Landeanflug sah ich links unter mir die Farm Moreland Hills. Vor mir lag die Festung Razor’s Edge. Hoch oben auf einem Berg, umzäunt von rostigen Stahlplatten. Stacheldraht, Schutthaufen, Lagerfeuer und ein zentraler Wachturm prägten das Bild. Als ich mit den Free Riders of Stanton hier war, hatten wir niemanden getroffen. Deshalb war ich nach meinem Aufenthalt in Moreland Hills unten im Tal nicht auf die Idee gekommen, hier hochzufliegen.
Doch diesmal waren die Bewohner da. Sie trugen Rüstungen und Waffen. Teilweise ähnliche Rüstungen wie manche Bewohner der anderen Schrott Siedlungen. Einer hatte eine besonders auffällige Rüstung. Sie war dick gepanzert. Messer standen wie Sonnenstrahlen von seinem Kragen ab. Eine goldfarbene Maske verdeckte sein Gesicht. Das musste der Anführer sein, wahrscheinlich sogar der Waffenhändler, den ich suchte. Es musste Richard sein, der Typ, von dem im Tagebuch die Rede war, das ich unten in der Farm gefunden hatte.
“Bist Du Richard?”
“Und Du bist der Typ der die Wittwe sucht? Der Typ der überall Fragen stellt? Der zu viele Fragen stellt!”
“Und Du bist der Waffenhändler, der mit Grim Hex in Verbindung steht? Der Typ der sich von den friedlichen Menschen unten in der Farm getrennt hat?”
Ein kräftiger Windstoß fegte durch die Festung. Metall knarrte, der Umhang von Richard wehte wie eine Fahne. Obwohl sein Gesicht von der Maske verdeckt war, merkte ich, dass er mich genau musterte.
“Ich hab mich nicht getrennt. Ich gehe nur einen anderen Weg. Trotzdem habe ich noch ein wachsames Auge auf meine Freunde unten im Tal. Und ich bin Dir dankbar, dass Du meinen Freunden geholfen hast. Wenn Du ihnen weiter notwendige Dinge lieferst, will ich Dir auch helfen.”
“Das klingt gut. Ich glaube, wir haben mehr gemeinsam als Du denkst. Nicht nur das Interesse am Wohlergehen der Menschen unten im Tal. Auch ich habe gute Beziehungen nach Grim Hex. Konkret zu TYR.”
“TYR? Das ist doch das Söldnerunternehmen, das Waffen nach ArcCorp liefert. Wenn das so ist, weiss ich was wir machen. Eine Hand wäscht die andere. Du lieferst Waffen für mich nach Bloodshot Ridge. Dann wird dort Deine Suche nach der Wittwe zu einem Ende kommen.”
Verwirrt und besorgt schaute ich Richard an. Was meinte er mit “zu einem Ende kommen”? Bloodshot Ridge klang nicht gerade friedlich und vertrauenserweckend. Aber welche Wahl hatte ich? Ich musste auf den Deal eingehen. Und wieso zum Teufel lieferte TYR Waffen nach ArcCorp? Bei nächster Gelegenheit musste ich Kjeld darauf ansprechen.
*
Bloodshot Ridge war eine Festung, genau wie Razor’s Edge, nur viel größer. Es lag auch auf einem Berg und war von Metallplatten umzäunt. Mehrere Türme überragten die aus Schrott gefertigten Gebäude, eine Raketenbatterie sicherte den Luftraum. Etwas unterhalb gab es einen Landeplatz für kleine Raumschiffe. Der Landeplatz und der Weg hoch zur Festung lag im Schussfeld von mehreren Wachposten. Bloodshot Ridge war ein ganz anderes Level, hierher kam man besser nicht in feindlicher Absicht.
Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde und war froh, dass Hermieoth mich begleitete. Wie würde das Ende meiner Suche nach der Wittwe aussehen? War sie hier oder würde jemand knallhart meine Suche beenden? Nach der Landung gingen wir den Weg hoch zum Eingang der Festung. Sorgenvoll schaute ich hinauf zu den Wachen. Über uns türmten sich Befestigungen aus Metall und Holz auf. Die Wachen hatten Deckung, wir nicht. Wir waren leichte Beute.
Doch niemand schoss auf uns. Ohne Probleme erreichten wir den Eingang. Zwei bewaffnete Wachen in Rüstung standen dort. Es war die gleiche Art von Rüstung, die auch die Leute in Razor’s Edge trugen.
“Ich bringe eine Lieferung Waffen von Richard.”
“Da drüben in der Hütte. Im Laptop findest Du Deine Anweisungen”, brummte die Wache etwas undeutlich.
Ich schaute Hermieoth an, der zuckte nur mit den Schultern.
In der Hütte war es sehr unordentlich. Es sah so aus, als ob am Tisch lange Pokernächte stattfanden. In einer Nische stand ein Laptop. Auf dem Bildschirm war eine Nachricht für mich. Nachdem ich sie durchgelesen hatte sagte ich zu Hermieoth:
“Das hier sind nicht irgendwelche Siedler. Die gehören zu den Dusters. Wir sollen die Waffenkiste am Landeplatz zu den anderen Kisten stellen. Und sie warnen mich davor, weiter nach Elaine Vanil zu suchen. Hier soll irgendwo ein modifiziertes Mobiglas liegen. Das Drogenkartell würde mich darüber anpingen.”
Ich durchsuchte die Hütte und fand auf dem Pokertisch das Mobiglas. Nachdenklich nahm ich es in die Hand. War das das Ende meiner Suche nach der Witwe? Jetzt konnte ich nur noch darauf warten, dass sie Kontakt aufnahm.
Nachdem wir die Waffen ausgeladen hatten, sahen wir uns noch ein wenig in der Festung um. Auf einer der erhöhten Plattformen hatte ich einen guten Überblick über Bloodshot Ridge und das angrenzende Tal. Der Ausblick war fantastisch. Wieder war ich fasziniert von dem einfachen und freien Leben dieser Menschen. Ich sehnte mich danach, auch so ein einfaches, unbeschwertes Leben zu führen.
Plötzlich piepte ein Mobiglas. Es war meins. Eine Nachricht von Richard war eingetroffen.
Gute Arbeit Zero. Vergesse nicht, weitere Waren nach Moreland Hills zu liefern. Wenn Du mehr über unsere Vergangenheit erfahren willst, folge dem Namen Jeff Goldstein. Für diese Information werde ich einen Gefallen einfordern.