Eine mysteriöse Lieferung führte mich zum Planeten Microtech. Dort hatte ich die Gelegenheit mit den Free Riders of Stanton zu biken.
Der Anzug zwickte. Er fühlte sich an wie ein Korsett. Atmen konnte ich auch nicht richtig. Es war ungewohnt, ein Hemd und Krawatte zu tragen. Und dann noch diese feine Hose und die glänzenden schwarzen Schuhe. Aber die Krönung war das grünliche, samte Jackett mit einer goldenen Anstecknadel auf der linken Brust die das Logo von Crusader Industries zeigte. Als ich mich beim Manager beschweren wollte meinte er nur:
“Du bist jetzt kein Müllsammler mehr. Auch kein einfacher Kurier. Du bist offizieller Vertreter von Crusader Industries. Die Wichtigkeit der Lieferung kann ich gar nicht genug betonen. Um das Paket in New Babbage zu holen, bekommst Du ein angemessenes Raumschiff. Und gönn Dir ein paar freie Tage. Microtech hat einige schöne Landstriche.”
Das angemessene Raumschiff war eine luxuriöse Origin 400i. Ausgestattet mit einem Origin X1 Hoverbike und einem Greycat STV, einem sportlichen Geländefahrzeug. An Bord waren jede Menge Lebensmittel, Getränke und frisches Obst. Ich hatte keine Ahnung, was ich abholen musste, aber Crusader Industries schien auf ein repräsentatives Erscheinungsbild wert zu legen. Eine Sache machte mich jedoch stutzig. Die 400i hatte eine grau-silberne Lackierung. Sie sah genau so aus, wie die 400i, die mir X ausgeliehen hatte, um spezielle Computerplatinen zu bergen. Ging es bei meinem Auftrag auch um spezielle Technologien?
Mein Eindruck wurde bestärkt, als ich das Paket in New Babbage abholte. Die Kiste war versiegelt. Auf dem Deckel stand “Vertraulich”. Was war in der Kiste? Geheime Prototypen die Microtech für Crusader Industries herstellte? War der luxuriöse Auftritt nur Tarnung, um vom eigentlichen Inhalt abzulenken? Auf jeden Fall war die Lieferung so wichtig, dass sich die Spezialeinheit für besondere Aufgaben der Forschung, Entwicklung und Logistik-Abteilung von Crusader Industries um den Transport kümmerte.
Für den Moment war mir das jedoch egal. Die Free Riders of Stanton starteten die nächste Etappe bei der Aktion “Into the Wild”. Brubacker hatte die irrwitzige Idee, den Planeten Microtech mit Hoverbikes zu umrunden. Da ich eh auf Microtech war und ein Hoverbike dabei hatte, war es eine gute Gelegenheit, die Etappe mitzufahren.
Wir trafen uns bei einem Außenposten irgendwo in der weißen Hölle von Microtech. Als die Luftschleuse aufging, schlug mir ein eisiger Wind entgegen. Eiskristalle prasselten auf mein Gesicht. Während ich die Treppe hinunterging flatterte mein Jackett wie eine Fahne. Die frische kalte Luft war belebend. Am unteren Ende der Treppe stand Brubacker in einem weißen Raumanzug.
“Zero, wie siehst Du denn aus? Wenn ich nicht wüsste, dass Du es bist, würde ich nicht glauben, dass Du es bist.”
Es war fast ein erhabenes Gefühl in meinem Anzug die Treppe hinabzusteigen. Ein altes Sprichwort besagte: “Kleider machen Leute.” Da schien etwas Wahres dran zu sein. Und da Brubacker mich fast nicht erkannt hätte, war mein Anzug wohl eine gute Tarnung. Eine Möglichkeit, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Es war nicht das erste mal, dass ich mir Gedanken über eine Maskerade machte, um meine echte Identität zu verschleiern.
“Ich bin es tatsächlich. Bin in offizieller Mission unterwegs als Vertreter von Crusader Industries. Kommt erstmal an Bord.”
“Bist Du sicher, dass Du Deine Fracht hier stehen lassen willst, während wir mit den Bikes unterwegs sind?”, fragte Husky mit einem Blick auf die Kiste, die ich in New Babbage abgeholt hatte.
“Wird schon nichts passieren”, winkte ich ab.
Nachdem ich mich umgezogen hatte, machten wir uns auf den Weg. Ella, Brubacker und ich starteten mit den Hoverbikes. Husky flog seine Carrack. Es war ein unglaubliches Gefühl der Freiheit zwischen den verschneiten Bäumen zu fahren und im Slalom über die weiße Landschaft zu gleiten.
Die X1 war ein ziemlich schnelles Hoverbike. Ella und Brubacker fielen bald zurück. Allerdings musste man aufpassen, dass man nicht mit der unteren Finne am Boden hängen blieb. Es ging über Hügel und vereinzelte kleine zugefrorene Seen. Mit der Zeit wurde ich immer schneller. Vor mir lag nur noch ein Hügel, dann kam der große gefrorene See, auf dem wir richtig Gas geben konnten.
Die X1 schoss den schneebedeckten Hang hinauf. Sie zog eine Wolke aus zerstäubten Schnee hinter sich her. Kurz vor der Kante bremste ich. So schnell das Bike war, so langsam war sein Bremsweg. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit flog ich über den Kamm des Hügels. Auf der anderen Seite fiel der Hügel steil in den gefrorenen See hinab. Wie eine Rakete hob die X1 ab, gewann an Höhe und wurde dann unsanft von der Gravitation zurückgeholt. Das Hoverbike überschlug sich mehrmals und kam nach einer langen Schlittenfahrt über das Eis zum Stehen.
Es war still. Außer dem Wind war nichts zu hören, kein Motorengeräusch. Die Bildschirme im Cockpit waren dunkel. Die X1 war tot. Noch etwas benommen stand ich neben dem Hoverbike und schaute mir den Schaden an. An mehreren Stellen war nicht nur der Lack ab, sondern ganze Teile von der Verkleidung herausgerissen. Vereinzelt kamen Funken aus dem Inneren des Bikes.
“Zero, alles klar bei Dir?”, es war Husky über Funk.
“Bei mir schon, aber die X1 ist Schrott. Ende der Fahrt.”
“Wir haben noch ein Hoverquad in der Carrack. Wenn Du willst kannst Du das nehmen.”
Nachdem ich auf das Quad umgestiegen war, fuhr ich sofort los. Husky stieg ebenfalls auf ein Hoverbike und nahm die Verfolgung auf. Der irre Rennfahrer hatte den Ehrgeiz, mich einzuholen. Ich holte alles aus dem Quad heraus, was ging. Je tiefer ich flog, desto schneller wurde das Bike. Mit atemberaubender Geschwindigkeit schoss ich über die Eisfläche. Es war ein Balanceakt zwischen tiefgehen, aber nicht zu tief, um nicht an den vereinzelten Schneehaufen auf dem Eis hängen zu bleiben. Mein Blick verengte sich. Ich befand mich in einem Tunnel und konnte das wunderschöne, schneebedeckte Bergpanorama am Seeufer kaum sehen.
Schließlich erreichten wir das andere Ufer des langgezogenen Sees. Das Ziel der Etappe. Husky hatte mich fast eingeholt, aber nur fast. Nachdem wir noch auf die Rückkehr der White Rabbit angestoßen hatten, flog ich mit der 400i direkt zurück zum Planeten Crusader.
*
Die geheimnisvolle Kiste aus New Babbage musste ich an einem Ort abgeben, der ein krasser Gegensatz zum noblen Erscheinungsbild der 400i und meinem Anzug war: Cousins Crow’s Custom Craft auf der Providence Platform in Orison. Ein Unternehmen, das auf die Anpassung von Raumschiffen spezialisiert war. Cousins Crow’s passte nicht nur Schiffe von Crusader Industries an Kundenbedürfnisse an, sondern hatte auch schon Hand an Schiffe von Drake Interplanetary angelegt.
Ich war froh, dass ich keinen Anzug trug. Damit wäre ich total overdressed gewesen. Cousins Crow’s war ein industrieller Ort. Nackte Stahltreppen, Flaschenzüge, Lärm und Graffiti an den Wänden. Eines kam mir bekannt vor, ein stilisierter Vogel. Irgendwo hatte ich den schonmal gesehen.
Am Counter nahm ein Angestellter die Kiste mit einem Lächeln schweigend entgegen. Ich erfuhr nicht, was sich darin befand.