Ich bekam Hinweise über den Verbleib meiner White Rabbit. In einer riskanten Aktion versuchte ich, sie zurückzubekommen.
Zero, wir haben Deine White Rabbit lokalisiert. Sie wird gerade aufbereitet und soll in zwei Tagen an einen Schnösel in Lorville verkauft werden. Abends vor der Übergabe wird sie an einem zugänglichen Ort stehen. Allerdings wirst Du unter dem Radar bleiben müssen, um an den Ort zu kommen. Ich hoffe, du hast keine Scheu davor, tief in den Schluchten der Stadt zu fliegen. Die exakten Koordinaten bekommst Du noch.
Die Nachricht der Aktivisten kam überraschend und sie ließ mein Herz höher schlagen. Bis in den Kopf spürte ich das Pochen. Mir war aber auch klar, dass ich für die Aktion Hilfe benötigte. Jemand musste mich dorthin fliegen. Jemand, der gut fliegen konnte, der sehr gut fliegen konnte. Husky. Er war Rennpilot und war es gewohnt, in Schluchten zu fliegen. Und ein Mechaniker wäre auch von Vorteil, falls irgendetwas an dem Schiff nicht in Ordnung sein würde. Mir fiel sofort Hermieoth ein. Und Brubacker sollte auch dabei sein. Hier zeichnete sich schon wieder ein Skandal ab. Hurston Dynamics sperrte Menschen in den Knast, konfiszierte deren Raumschiffe und verkaufte sie dann. Das musste Brubacker an die Öffentlichkeit bringen.
Alle drei kamen und nicht mit leeren Händen. Husky hatte eine Piscis Medical dabei. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon gewusst hätte, wie gut diese Wahl war. In dem Augenblick war ich allerdings überrascht. Überrascht war ich auch über Hermieoth. Er hatte Rüstungen von Hurston Security und für Brubacker ein Arbeiter-Outfit mitgebracht. Ich fragte besser nicht, woher er sie hatte. Und Hermieoth hatte einen Plan, wie wir sicher aus Lorville abfliegen konnten. Ja und Brubacker. Er hatte seinen Stift in der Tasche, um sich Notizen zu machen, hoffte ich.
Fertig ausgerüstet und verkleidet machten wir uns auf den Weg zum Planeten Hurston. Husky landete die Piscis zunächst ganz offiziell vor dem City Gate 3 der Megametropole Lorville. Hermieoth wollte zusammen mit Brubacker in den Central Business District fahren. Dort befand sich das Büro von Constantin Hurston. Brubacker sollte Constantin Hurston mit einem theatralischen Auftritt ablenken, damit Hermieoth dessen Abflug Codes klauen konnte.
Die Heckklappe der Piscis öffnete sich. Dreckpartikel tanzten durch die Luft und leuchteten im Schein von Stantons Stern. Erst stieg Hermieoth in seiner Hurston Security Rüstung aus, dann folgte Brubacker. Nach nur zwei Schritten fing Brubacker an zu straucheln. Wie ein Besoffener wankte er hin und her. Hermieoth war schon die Treppen zum Gate hoch gelaufen, während Brubacker noch versuchte, unfallfrei eine Stufe nach der anderen zu nehmen.
“Brubacker, alles klar mit Dir?”
“Keine Ahnung. Es ist alles so komisch. Die Welt ist eine Diashow. Mir ist so…..”
In diesem Moment fiel Brubacker auf die Knie. Die Wachen am Stadttor waren bereits aufmerksam geworden. Sie machten einen Schritt auf Brubacker zu. Verdammt, die Aufmerksamkeit der Behörden war genau das, was wir nicht gebrauchen konnten. Schnell rannte ich zu Brubacker. Mit einem Blick und einem Daumen nach oben signalisierte ich den Wachen, dass alles unter Kontrolle war. Ob sie meiner Verkleidung als Huston Security Soldat glaubten? Die Wachen blieben stehen, beobachteten aber weiterhin das Geschehen auf der Treppe. Eine der Wachen hielt ihre Waffe fest vor der Brust, bereit, auf jede Überraschung zu reagieren.
Irgendwie schaffte es Brubacker weiter zu gehen. Torkelnd verschwand er im Stadttor. Als ich zur Piscis zurückkam, stand Husky mit einem Messgerät neben der Rampe.
“Es sind lauter Giftstoffe in der Luft. Keine gute Idee ohne Helm rum zu laufen. Hoffentlich ist es in der Stadt besser und Brubacker erholt sich schnell.”
Husky hatte kaum ausgesprochen als sich Brubacker über Funk meldete:
“Leute, mir geht es gar nicht gut. Ihr müsst das ohne mich durchziehen.”
Schlangenlinie laufend kam Brubacker zurück. Er brauchte mehrere Versuche, um den Eingang der Piscis zu treffen. Schließlich schaffte er es auf das Krankenbett der Piscis. Totalausfall, mit ihm konnten wir nicht mehr rechnen. Dann begann das große Warten. Würde es Hermieoth alleine schaffen, die Codes zu klauen?
Es war bereits dunkel, als Hermieoth zurückkam. Mit den Codes. Sofort startete Husky die Piscis und steuerte im Tiefflug City Gate 6 an. Von meinem Sitz aus konnte ich nichts sehen, aber ich spürte, wie das Schiff plötzlich nach oben zog, um kurz darauf wieder nach unten zu stürzen. Husky musste das Gate überflogen haben und jetzt im Stadt Canyon sein. Ich konnte meine Ungeduld nicht länger unterdrücken, öffnete den Sicherungsbügel des Sitzes und stand auf.
Über die Schulter von Husky konnte ich sehen, wie er mit hoher Geschwindigkeit tief durch einen künstlichen Canyon flog. Er unterflog Containerbrücken und Schienen der Metro. Plötzlich schlug Husky einen wilden Hacken. Ich schaffte es nicht, mich festzuhalten und lag zu Füßen von Hermieoth. Er stand wie ein Felsen. Fluchend rappelte ich mich hoch. Kaum stand ich wieder hinter dem Pilotensitz, gab es erneut eine plötzliche Richtungsänderung. Wieder lag ich auf dem Boden und schaute hoch zu Hermieoth der nach wie vor sicher stand.
“Wie zum Teufel machst Du das?”
“Sicherer Stand. Muskeln anspannen. Hab ich bei meiner Militärausbildung gelernt.”
Ich musste einsehen, dass ich das nicht konnte und schnallte mich wieder auf den Sitz.
Wenig später landete Husky die Piscis in einem Tunnel, der durch ein Hochhaus führte. Dort stand sie, neben einem Kran, meine Mercury Star Runner.
Hermieoth und ich sprangen aus der Piscis. Meine Freude schlug um in Entsetzen. Meine White Rabbit, sie war eine Black Rabbit.
“Was zur Hölle haben die aus meinem Schiff gemacht. Sieht aus wie die Häuser in Lorville. Schwarz und Gold, das kann doch nicht wahr sein.”
Hermieoth schien gefallen an der Lackierung gefunden zu haben.
“Hey sieht doch cool aus. Sehr elegant. Kannst Du die Frachtrampe öffnen?”
Das Schloss akzeptierte meinen persönlichen Code, die Rampe öffnete sich und innerhalb weniger Sekunden standen wir im dunklen, leeren Frachtraum. Doch eine Sache war komisch. Der Fahrstuhl zum oberen Teil des Schiffes war in der oberen Position.
“Scheiße. Kann es sein, dass jemand an Bord ist? Hermieoth, check Du die Systeme im Maschinenraum, ich gehe durch die Wartungstunnel in den Schlafbereich.”
Mehr kriechend als gehend bewegte ich mich langsam durch den rot beleuchteten Schacht. An einer Abzweigung musste ich kurz überlegen, in welche Richtung ich gehen musste. Anscheinend war ich zu lange nicht mehr in diesem Schiff gewesen. Ich entschied mich für rechts und kniete kurz darauf unter einer Luke. Darauf stand “Habitation”. Der Moment der Wahrheit.
Mit einem Zischen öffnete sich die Luke. Vorsichtig hob ich den Kopf. Wie eine junge Pflanze ragte mein Helm aus dem Boden. Der metallene Boden befand sich genau auf Augenhöhe. Aus der Nähe sah ich, wie blitzsauber er war. So sauber war es noch nie an Bord gewesen. Der Boden glänzte, obwohl es im Schlafbereich dunkel war.
Und das war nicht alles. Der Raum war für die neuen Besitzer hergerichtet worden. Auf den Schreibtischen standen ein Sextant, Pokale, Münzen und anderer Kram. Im Kleiderschrank fand ich meine Rüstung und meine Klamotten. Die Idioten wollten also meine Sachen mitverkaufen. Voller Wut stand ich vor der offenen Schranktür, als ich plötzlich eine Stimme hinter mir hörte.
“Was machst Du da. Wir müssen hier weg. Ich hab das ganze Schiff überprüft. Es ist leer. Los beeil Dich.”
Es war Hermieoth. Ich schüttelte meine Gedanken ab und ging mit ihm ins Cockpit. Auf dem Weg kamen wir an den Waffen Racks vorbei. Darin waren allerlei Waffen aufgehängt. Bunte Waffen in fröhlichen Farben. Sie sahen aus wie Spielzeugwaffen, doch sie waren tödlich. Mein Gott, was war das für eine Zusatzausstattung, mit der meine White Rabbit verkauft werden sollte. Alles zum Vergnügen der reichen Leute in dieser niederträchtigen Stadt.
Schließlich saßen Hermieoth und ich in den Pilotensitzen. Es war ein ergreifendes Gefühl, endlich wieder am Steuer meiner White Rabbit zu sitzen. Mit einem Klack legte ich einen Schalter um. Das Schiff erwachte zum Leben. Das Licht ging an, die Triebwerke fingen an zu dröhnen. Langsam drückte ich auf das Fußpedal, um abzuheben.
Doch nichts passierte. Wie angewurzelt stand die Mercury Star Runner da. Fragend ging mein Blick zu Hermieoth. Der antwortete ganz gelassen:
“Schalt die Triebwerke aus und wieder an.”
Ich legte einen Hebel um, die Triebwerke verstummten. Dann betätigte ich den Hebel erneut und die Triebwerke dröhnten wieder. Sanft drückte ich meinen Fuß nach unten. Eine Sekunde der Anspannung verging, eine Sekunde, in der nichts passierte. Dann erhob sich die White Rabbit. Vorsichtig driftete ich zur Mitte des Tunnels und drehte das Schiff gleichzeitig um 180 Grad. Offensichtlich nicht vorsichtig genug. Plötzlich ertönte die Stimme von Husky im Funk.
“Pass auf. Du hast mich fast gerammt.”
“Äh sorry. War nicht meine Absicht. Aber jetzt nichts wie weg hier.”
Ich gab Schub. Die White Rabbit schoss aus dem Tunnel und tauchte ein in die Häuserschluchten von Lorville. In der Dunkelheit der Nacht verschmolz ihre schwarz-goldene Lackierung mit der schwarz-goldenen Skyline. Unbemerkt verließen wir die Stadt.
Bevor wir an Höhe gewannen, gab Husky über Funk den geklauten Code von Constantin Hurston an die Flugsicherung durch. Unbehelligt verließen wir den Planeten Hurston. Ich hatte meine White Rabbit wieder, zurück geklaut aus den Fängen der gierigen Hurston Familie. Ich konnte mein Glück kaum fassen.