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Ich konnte es kaum glauben. Die ganze Crew war gekommen, obwohl das Crew-Projekt beerdigt war. Nur der Hausmeister fehlte. Aber das war auch kein Wunder, denn Anvil hatte nach der Zerstörung der Carrack die Unterstützung eingestellt. Es tat gut zu wissen, dass ich nicht alleine war. Ich hatte Freunde, auf die ich mich verlassen konnte. Und genau die brauchte ich jetzt.

Nachdem mein Versuch schmerzlich gescheitert war, mit Hilfe der Schrottler an Informationen über meine White-Rabbit zu kommen, wollte ich einer anderen Spur folgen. Der Wächter des Schrottplatzes hatte mir erzählt, dass der Verkäufer des Computerkerns von einem Ort namens Whistlers Crypt gekommen sei. Und er hatte mich vor den unfreundlichen Bewohnern gewarnt. Diesmal wollte ich nicht allein ins Ungewisse laufen. Diesmal wollte ich jemanden dabei haben, auf den ich mich verlassen konnte. Deshalb hatte ich die Crew kontaktiert.

Im Schutz der Dunkelheit rückten Ella, Brubacker, Hermieoth und ich entlang eines Dünenkams vor. Große Felsen, die einsam im Sand lagen, boten uns immer wieder Deckung. Husky sicherte die Aktion mit seinem Raumschiff aus der Luft. Die Siedlung Whistlers Crypt war durch eine weitere Düne verdeckt. Wir mussten höher hinauf, um uns einen Überblick zu verschaffen. 

Das Vorankommen im weichen Sand war mühsam. Mit jedem Meter, den wir die Düne hinaufkletterten, rutschten wir mit dem Sand wieder einen halben Meter hinunter. Brubacker fiel schimpfend immer weiter zurück. Schließlich erreichte ich eine Position, von der aus Whistlers Crypt komplett überblickt werden konnte. Durch das Zielfernrohr des Scharfschützengewehrs schaute ich, wie die Lage in der Siedlung war. In der Dunkelheit konnte ich kaum etwas erkennen. Trotzdem kam mir der Ort seltsam bekannt vor.

“Leute, hier liegt eine zerstörte Star Runner im Sand.” 

Es war Husky, der auf der anderen Seite der Siedlung die Gegend erkundete. Ganz schwach konnte ich die Silhouette seines Raumschiffes gegen den Sternenhimmel ausmachen. Und tatsächlich, direkt unter ihm war das Wrack einer Mercury Star Runner zu erkennen. Es lag ein Stück entfernt von der Siedlung. Ungläubig senkte ich das Scharfschützengewehr. Als ich die komplette Szenerie vor mir sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Das war der Ort, an dem mich Hurston Security zum Sterben ausgesetzt hatte. Das Wrack musste meine White-Rabbit sein.

Eine Gänsehaut überzog meinen Körper. Erneut legte ich das Gewehr an. Dann entdeckte ich Personen in der Siedlung. Es waren Nine Tails. Plötzlich flutete Adrenalin in meine Adern. Eine unbändige Wut packte mich. Ich zielte und drückte ab. Ein Nine Tail fiel zu Boden. Ich nahm den nächsten ins Visier und drückte ab. Ein weiterer Nine Tail fiel.

“Da schießt jemand”, rief Hermieoth.

“Das bin ich”, antwortete ich mit wütender Stimme.

“Du kannst doch nicht einfach Leute abknallen”, beschwerte sich Brubacker.

“Doch. Das sind Nine Tails. Und das da unten ist der Ort, an dem ich ausgesetzt wurde. Der Ort, an dem meine White-Rabbit verschrottet wurde. Wer auch immer da unten ist, hat sich schuldig gemacht.”

Meine Stimme bebte vor Zorn. Die Wut verdrängte die Vernunft, ließ keinen klaren Gedanken zu. Wie eine Maschine schaltete ich einen Nine Tail nach dem anderen aus.

“Ich geh runter”, rief ich, während ich schon auf dem Weg in die Siedlung war.

Ella und Hermieoth folgten mir mit gezogener Waffe. Brubacker stolperte etwas unbeholfen die Düne herunter.

Die Siedlung bestand aus Bruchstücken alter Raumschiffe. Überall lagen traurige Reste von einst stolzen Sternen-Wanderern. Ein Turm überragte den ganzen Ort. Gerade als ich aus der Deckung eines großen Wrackteils kam, hörte ich Schüsse. Hektisch sprang ich hinter einen Metallzaun.

“Ein Nine Tail down”, meldete Hermieoth.

Gerade als ich durchgeatmet hatte, tauchte plötzlich jemand hinter mir auf. In Schockstarre verharrte ich an Ort und Stelle.

“Ich geb Dir Deckung.” Es war Husky. 

Zum zweiten Mal in kürzester Zeit entwich ein erleichterter Luft-Schwall meinen Lungen. 

Neben dem Zaun befand sich der Eingang zu einer Unterkunft. Vorsichtig ging ich hinein. Im Inneren sah es für Nine Tails Verhältnisse ziemlich ordentlich aus. Zumindest soweit, wie eine aus Schrottteilen zusammen gedengelte Behausung ordentlich aussehen konnte. Im hinteren Bereich waren drei Betten, Schränke, Schubladen und ein Regal. Sogar Teppiche lagen auf dem Boden. Im vorderen Bereich waren eine Kochstelle und ein Tisch. Darauf stand ein Laptop. Neugierig stöberte ich durch die Dateien.

“Wie hieß euer durchgeknallter Radio-Redakteur nochmal?”, fragte ich Brubacker über Funk.

“Schuppke, warum?”

“Hier ist eine Nachricht von ihm: Die Sache ist aufgeflogen, der Deal damit geplatzt. Alles weitere über den Boss.”

“Sonst nichts? Mh. Lass uns mal rüber zur Star Runner und checken, ob es sich wirklich um deine White-Rabbit handelt.”

“Ja, Moment. Ich will vorher noch was anderes checken.”

Auf dem Laptop war noch ein interessanter Eintrag. Eine Notiz über einen speziellen Deal mit einem Schrotthändler, der mit einer Star Runner vorbeigekommen war. Genau wie bei der Nachricht von Schuppke gab es keine Details. Aber ich hatte eine Vermutung.

In der Hoffnung mehr zu erfahren, kletterte ich die rostige Leiter des Turms hoch. Es ging über mehrere Plattformen und teils zerbrochenen Sprossen nach oben. Auf der höchsten Plattform fand ich einen weiteren Laptop und die Bestätigung meiner Vermutung. Der Turm fungierte als Tower. Im Laptop waren Flugbewegungen verzeichnet. Ein Eintrag hatte das gleiche Datum wie die Notiz in der Unterkunft. Eine Star Runner war in der Siedlung gelandet und dann nach Grim Hex weiter geflogen. Es sollte doch mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht die Star Runner war, die ich suchte. Die Star Runner, die auf dem Schrottplatz den Computerkern verkauft hatte. Ich musste also nach…..

Plötzlich peitschten Schüsse durch die Nacht. Instinktiv schmiss ich mich auf den Boden.

“Husky ist getroffen.”

“Woher kommen die Schüsse?”

“Keine Ahnung. Ich glaube, die haben sich im Sand vergraben. Oder irgendwo sind automatische Schussanlagen. Wir müssen hier weg.”

Die hektische Kommunikation zwischen Hermieoth und Brubacker ließ nichts Gutes ahnen. Eilig kletterte ich den Turm hinunter. In der Zwischenzeit hatte Ella Husky notdürftig verarztet. Als ich bei den anderen war, verließen wir sofort die Siedlung und machten uns auf den Weg zur Star Runner.

Nach einem Fußmarsch über eine Sandebene stand ich fröstelnd vor dem Wrack. Die Star Runner hatte sich beim Absturz in den Sand eingegraben. Eine Furche zog sich hinter dem Schiff durch den Sand. Das war definitiv das Schiff, in dem mich Hurston Security ausgesetzt hatte. Um mich zu vergewissern, ging ich über die herausgebrochene Heckrampe in den schwach beleuchteten Frachtraum. Es gab keinen Zweifel, hier hatte ich auf dem Boden gelegen. Schatten der Vergangenheit geisterten durch den Raum und durch meine Gedanken. “Verrecken sollst du hier mit deiner White-Rabbit”, hatten die Söldner damals gesagt. Aber war dies auch meine White-Rabbit?

Aufgeregt lief ich um das Wrack und suchte nach dem Namen auf dem Rumpf. Doch dort, wo White-Rabbit stehen sollte, war nichts zu sehen. Der Lack war abgeblättert. Rost überwucherte die Stelle.

“Das ist nicht die White-Rabbit”, sagte Brubacker schließlich. “Außerdem liegt das Schiff hier schon viel länger. Ist ja fast schon ganz begraben vom Sand. Die haben dich übel verarscht.”

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.

“Aber dann bedeutet das ja…”

“…dass dein Schiff keineswegs Schrott ist. Nur finden müssen wir es. Aber es ist irgendwo da draußen.”

Aus einem Hoffnungsschimmer wurde plötzlich ein loderndes Feuer der Hoffnung. Doch ohne Bestätigung konnte das Feuer schnell verpuffen. Brubacker hatte recht. Wir mussten die White-Rabbit finden. Vorher würde ich keine Ruhe finden.

Inzwischen war ich auf die oberste Stelle des Wracks geklettert und schaute mich um. Die ersten Lichtstrahlen von Stantons Stern erreichten die Siedlung, die in einiger Entfernung friedlich vor einem Berg lag. Mein Blick schweifte nach links. Dort sah ich ein Felsmassiv mit einem Loch. Darin steckte ein Raumschiff, ein ziemlich großes Raumschiff. Es war eine Origin 600i.

Neugierig liefen wir zu dem Wrack. Als wir näher kamen, sahen wir das ganze Ausmaß. Die 600i musste ungebremst in die Höhle gekracht sein. Durch die Wucht des Aufpralls war sie in zwei Hälften zerbrochen. Plötzlich spürte ich einen heftigen Aufprall im Oberkörper. Erst dann hörte ich den Schuß. Wir hatten keine Ahnung, woher der Beschuss kam. Geistesgegenwärtig lotste uns Hermieoth in die Deckung der Höhle.

Dort erwartete uns eine bizarre Szenerie. Das abgebrochene vordere Brückenteil der 600i war mit Stahlseilen an den Höhlenwänden befestigt. Sie hing mit der Nase nach unten und schien frei in der Höhle zu schweben. Schmale Stege führten hinab. 

Ella, Brubacker, Hermieoth und Husky wagten die gefährliche Kletterpartie nach unten. Ich blieb oben und sicherte. Schwer atmend versuchte ich mein Gewehr zu halten. Von Minute zu Minute schien es immer schwerer zu werden. Auch meine Lungen fühlten sich an wie Blei. Die Schußverletzung forderte ihren Tribut. 

Schwach und leise hörte ich die anderen im Funk. Sie berichten von Totenköpfen und einem Escape-Pod auf der Brücke. Und sie fanden eine Nachricht von Schuppke:
“Muss untertauchen. Melde mich. A.S.”

Schließlich machten wir uns auf den Rückweg. 

“Und nun, ist die Crew damit Geschichte?”, fragte Ella in die Stille hinein.

“Hängt von uns ab”, antwortete Brubacker. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: “Wir sind doch eine ganz lustige Truppe – ich für meinen Teil will jedenfalls wissen, was hinter all dem steckt…”

“Ich auch”, warf Hermieoth ein. “Wenn ich den in die Finger kriege…”

Leise röchelte ich vor mich hin. Das Atmen und das Reden fiel mir schwer. Meine Gedanken kreisten um die White-Rabbit, die irgendwo da draußen war. Ich musste sie finden, am besten zusammen mit der Crew. 

Aber dazu musste ich aus der Deckung kommen. Ich konnte mich nicht länger in der Wüste von Daymar verstecken und meine Existenz geheim halten. Ich musste nach Grim Hex. Und ich musste ins Krankenhaus, um diese verdammte Schusswunde behandeln zu lassen.

Die Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/jahr-2953#S12