Log #193 – Rückkehr nach Grim Hex

with Keine Kommentare

Die Spuren meiner White-Rabbit führten mich nach Grim Hex. Einen Ort an den ich nicht nur gute Erinnerungen hatte.


Grim Hex, diese alte, heruntergekommene und vermüllte Raumstation im Asteroidengürtel des Mondes Yela. Errichtet in einem ausgehöhlten Asteroiden. Kontrolliert von den Nine Tails. Bewohnt von allen möglichen zwielichtigen Gestalten, die einen sicheren Hafen vor dem Gesetz suchten. Die Bewohner, sie nannten sich selbst die GrimNecks. Ich war zurück an diesem verruchten Ort. Die Spuren meiner White-Rabbit hatten mich hierher geführt

Es sah schlimmer aus denn je. Überall lag Müll. Flaschen, Müllsäcke, leere Magazine. Die düstere Beleuchtung und die dunkelroten Farben taten ihr Übriges, um zu unterstreichen, was für ein düsterer Ort dies war. Nachdem ich meine Schussverletzung im Krankenhaus hatte behandeln lassen, wollte ich meine alten Kontakte aufsuchen.

Quietschend brachte mich der Lastenaufzug zur unteren Ebene. Laut ächzend öffneten sich die großen Tore. Ich trat in die zentrale Halle, die wie ausgestorben war. Verwundert schaute ich mich um. Es war seltsam. Niemand war zu sehen. Die Tür zur old38 Bar stand offen. Keine Türsteher bewachten den Eingang. Wo waren die Wachen von TYR? Auch in der Bar war es menschenleer. Noch nicht einmal der Barkeeper war da. Normalerweise war hier immer etwas los. Es wurden Geschäfte gemacht, Informationen ausgetauscht und Aufträge vergeben. Doch jetzt, nichts. Das einzige Lebenszeichen war das Flackern eines Neon-Schriftzuges.

Was ging hier vor? Wallace. Wallace Klim. Der zugedröhnt Drogendealer wusste immer was los war. Er konnte mir bestimmt weiterhelfen. Ein teils eingestürzter und gesperrter Gang führte zum Labor von Wallace. Über mehrere, krumme Treppenstufen ging ich in den Untergrund der Raumstation. Dann stand ich perplex in dem zugemüllten dunklen Raum vor dem Labor. Er sah genau so aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Links war die alte Packstation. Rechts das verratzte Sofa. An der Decke zerschnitt ein Ventilator das schwache Licht und erzeugte einen Schatten Kreisel am Boden. Vor mir war der Tresen, hinter dem Wallace immer stand. Nur heute nicht. Wallace war nicht da.

Mit einem unguten Gefühl ging ich die wackeligen Stufen wieder nach oben. Was jetzt? Scutter! Vielleicht würde ich jemanden im Waffenladen antreffen. Auf dem Weg zu Scutters fiel mir auf, dass alle Türen zu den Schlafbereichen offen standen. Auch die beiden Schiebetüren, die die Haupthalle von der Wett- und Racing-Ebene trennten, standen offen. Das war mehr als ungewöhnlich. 

Als ich Scutters Laden betrat, stolperte ich erstmal über mehrere Kartons und leere Flaschen.

“Hey Scutter. Was ist denn hier los? Alle Türen offen, die Bar leer. Hab ich was verpasst?”

“Kauf was ein oder verschwinde. Aber geh mir nicht auf die Nerven.”

OK, Scutter war noch ganz der Alte. Unfreundlich und genervt. Von ihm würde ich nichts erfahren. Als nächstes versuchte ich es in Dumpers Depot. Die Dame hinter dem Tresen begrüßte mich freundlich.

“Willkommen bei Dumpers Depot. Wir haben neue Ware. Sie werden bestimmt finden, was sie suchen.”

Vermeintlich interessiert streifte ich an den Regalen vorbei. Der Laden war voll mit Schiffskomponenten. Kraftwerke, Kühler, Schildgeneratoren. Ganz neu sahen die Sachen nicht aus. Plötzlich blieb ich abrupt stehen. In einem Regal lag ein Aspis Schildgenerator. Die Macken und Gebrauchsspuren waren unverkennbar. Das war verdammt nochmal der Schildgenerator aus meiner White-Rabbit. Wild nach Luft schnappend stürzte ich zum Tresen.

“Woher ist der Aspis Schildgenerator da hinten im Regal?”

Vermutlich hatte ich mich im Ton vergriffen. Die Freundlichkeit der Dame war abrupt verschwunden.

“Das geht Sie überhaupt nichts an. Meine Lieferanten können sich auf meine Verschwiegenheit verlassen.”

Frustriert verließ ich Dumpers Depot. OK, ich war auf der richtigen Spur. Teile meiner White-Rabbit waren nach Grim Hex gelangt. Aber wo war mein Schiff? Wo war der Verkäufer der Teile? Irgendwie musste ich an Informationen kommen. Doch es war niemand da, den ich kannte. Keiner meiner früheren Kontakte war aufzufinden.

Wenigstens war der Hot Dog Verkäufer auf der Wett- und Racing-Ebene da. Allerdings hatte ich ihn nicht als jemanden in Erinnerung, der gut informiert war. Aber Kjeld holte sich gerne etwas von dort, wenn er zu Besprechungen im VIP-Bereich ging. Wenn jemand gut über die Geschehnisse in Grim Hex informiert war, dann war es Kjeld Stormarnson, der Kommandant der Söldnertruppe TYR. Ich hinterließ beim Hot Dog Verkäufer eine Nachricht für Kjeld.

Und jetzt? In Grim Hex wollte ich nicht auf eine Antwort von Kjeld warten. Der Ort erschien mir nicht sicher genug. Die alte Station war irgendwie wie immer, nur schlimmer. Und weniger vertraut. Plötzlich erinnerte mich ein leichtes Stechen in der Brust an meine Schussverletzung. Mit einer schweren Rüstung wäre die Schießerei in der Schrottsiedlung wohl glimpflicher ausgegangen. Aber die war weg. Geklaut von den Idioten auf dem Schrottplatz. Ich brauchte eine neue Rüstung. Allerdings wollte ich keine kaufen. Zu groß war die Angst, dass ich durch die finanzielle Transaktion auffallen würde. Ich musste zurück in die verfallene Siedlung, wo ich die letzte Rüstung gefunden hatte. Dort gab es bestimmt noch mehr.

*

Beim Landeanflug auf die Siedlung sah ich eine Origin 300 bei den verfallenen Gebäuden auf dem Plateau. Unten im Tal, bei der Hauptsiedlung, war kein Raumschiff zu sehen. Wegen der Origin machte ich mir zwar keine Sorgen, trotzdem landete ich sicherheitshalber auf der anderen Seite des Tals, auf der schmalen Anhöhe mit den eingestürzten Mauern.

Rudi der Ball lag kopfüber auf dem Bett und schaute mich kritisch an. 

“Rudi, schau mich nicht so an. Die Siedlung ist sicher. Als wir mit der Crew hier waren, haben wir keine Menschenseele getroffen. Alles gut.”

Zur Stärkung aß ich noch eine Blue Bilva, dann nahm ich die Waffen aus dem Schrank und ging los. Nachdem ich die Mauerreste gesichert hatte, checkte ich durch das Zielfernrohr des Scharfschützengewehrs die Lage bei den Gebäuden auf dem Plateau. Die Entfernung betrug zwar über 200 Meter, doch dank der guten Sicht war jedes Detail zu erkennen. Eine Badewanne stand hinter einer Feuerstelle. Kisten lagen zwischen eingestürzten Mauern und in einem offenen Container. Auf dem Wachturm war niemand zu sehen. Auch bei der gelandeten Origin war keine Bewegung auszumachen. Alles war ruhig. Wo war der Pilot der Origin?

Ich richtete das Zielfernrohr auf die Hauptsiedlung im Tal. Ein leises “Scheiße” kam über meine Lippen. Durch die Optik war in scheinbar greifbarer Nähe ein Nine Tail zu sehen. Und er war nicht alleine. Mehrere Outlaws bewachten die verfallene Siedlung. Jetzt war guter Rat teuer. War’s das schon mit meiner Suche nach einer Rüstung? Sollte ich die Crew um Hilfe bitten? Mehrere Minuten verharrte ich nachdenklich in der Hocke. 

Schließlich war das Gefühl der Wut, das ich in der Schrottsiedlung empfunden hatte, zurück. Mein Blick verengte sich zu einem Tunnel. Warum sollte ich Hilfe holen? Entschlossen drückte ich den Gewehrkolben gegen meine Schulter. Mehrmals hallte ein lauter Knall durch das Tal.

Kurz darauf landete ich die Vulture unten bei der Hauptsiedlung. Vorsichtig streifte ich durch die Ruinen. Ich war mir nicht sicher, ob ich alle Nine Tails ausgeschaltet hatte. Mit einem unbehaglichen Gefühl durchsuchte ich Kisten und Lagerstellen. Immer wieder schaute ich über die Schultern. Bei jedem Geräusch schreckte ich hoch. War es der Wind? Oder war noch jemand hier?

Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte ich alles durchsucht. Dummerweise fand ich nicht, was ich suchte. Lediglich einen schweren Helm konnte ich ergattern. Ansonsten befanden sich nur leichte Rüstungsteile in den Kisten. Mir blieb nichts anderes übrig, als die mittelschweren Rüstungen der Nine Tails mitzunehmen. 

Dann hatte ich eine Idee. Scutter war immer an Waffen und Rüstungen interessiert. Er polierte mit gebrauchten Sachen seinen Lagerbestand auf. Vielleicht konnte ich ihn mit einer großen Lieferung gesprächig machen. Nachdem ich die ganze Ausrüstung der Nine Tails eingesammelt hatte, schlachtete ich die Origin aus. Schiffswaffen waren bestimmt wertvoller als Handfeuerwaffen.

*

“Was ist das für ein scheiß Zeug?”

Das war die genervte Art von Scutter sich über etwas zu freuen. Sofern man es Freude nennen konnte. Mit einem Datenpad stand ich vor seinem Tresen und zeigte ihm Bilder aus dem Frachtraum der Vulture.

“Gewehre, mit Zielfernrohre. Und Nine Tails Rüstungen. Die kannst Du auf Grim Hex bestimmt gut verkaufen.”

“Und der große Mist da?”

“Schiffswaffen, Raketen. Großes Kaliber. Hier der Rhino Repeater hat viel Bums.”

“Siehst Du irgendwelche Schiffswaffen hier im Laden?”

Etwas sprachlos schaute ich mich um. Er hatte recht. Scutters führte nur Handfeuerwaffen und Rüstungen. Trotzdem war ich mir sicher, dass Scutter mit mehr handelte, als nur mit dem ausgestellte Zeug in seinen Regalen.

“Nicht interessiert? Soll ich die Sachen wieder mitnehmen?”

“Willst Du mich verarschen? Natürlich will ich den Scheiß.”

“Pass auf. Ich überlass dir alles. Kostenlos. Wenn Du mir dafür erzählst, wie gebrauchte Sachen nach Grim Hex kommen und verhökert werden. Du weisst schon. Sachen wie die hier, die vorher jemand anderem gehört haben. Besonders interessiert bin ich an Schiffskomponenten, wie z.B. einem Schildgenerator, der vor nicht allzu langer Zeit seinen Weg nach Grim Hex gefunden hat.”

Scutter schaute mich eindringlich an und stemmte dabei seine Hände in die Hüften. Es sah fast bedrohlich aus, wie er hinter seinem Tresen stand.

“Verdammt nochmal. Spinnst Du? Dafür musst Du mehr als einen Rhino Repeater springen lassen. So ungefähr das ganze Arsenal einer Hammerhead.”

“Äh, Stopp, Auszeit. Wie soll das gehen? Soll ich ein Kriegsschiff ausschalten und Plündern?”

“Bist ein Weichei oder was? Na. Ich weiss wo ein Wrack liegt. Bring mir die Waffen, dann könnte ich Dir vielleicht was erzählen. Und falls es in dem Schiff noch mehr interessantes Zeug gibt, bring das auch mit. Grim Hex nimmt alles. Und jetzt verpiss Dich aus meinem Laden.”

Meine Gefühle schwankten zwischen Zuversicht und Frust. Auf der einen Seite war ich einen Schritt weiter. Auf der anderen Seite fragte ich mich, wie ich die Unmengen an Waffen einer Hammerhead in der kleinen Vulture unterbringen sollte. Das war unmöglich.

“Zero, Du bist nicht alleine”, sagte eine innere Stimme.

Die Stimme hatte Recht. Aber warum fiel es mir so schwer, mir helfen zu lassen? Hatte ich Angst um meine Unabhängigkeit? Das war doch Unsinn. Ich gab mir einen Ruck und schickte der Crew eine Nachricht. Jetzt hieß es warten und hoffen, dass jemand aus der Crew ein Schiff mit großem Frachtraum hatte.