Mit Salvage wollte ich mich in die Welt der Schrottler einkaufen.
Ein tiefer Canyon lag zu meinen Füßen. Er war schmal, vielleicht 50 Meter breit. Ein Fluss rauschte durch den tiefen Riss in der Landschaft. Weiß schäumend brach das Wasser auf der einen Seite von Felsen in zwei Hälften, um dann auf der anderen Seite wieder zusammenzufinden. Ein einzelner Baum stand am Ufer des Flusses, etwas erhoben auf einem kleinen Hügel mit Gras.
Die Szenerie war malerisch, geradezu idyllisch. Sie strahlte Ruhe und Frieden aus. Doch plötzlich störte ein grelles weißes Licht den Frieden. Es übertönte alles, wurde immer stärker, bis nur noch weiß zu sehen war.
Ich öffnete die Augen. Die Lampe über dem Bett der Vulture leuchtete mir direkt ins Gesicht. Der Bordcomputer hatte die Beleuchtung eingeschaltet. Es war Zeit aufzustehen. Rudi, der Ball lag an meinen Füßen. Er rührte sich nicht. Er hatte nicht mal Frühstück gemacht. Ein toller Gefährte war er.
Noch etwas schlaftrunken setzte ich mich auf die Bettkante. Bekam ich den Weltraumkoller? Oder warum träumte ich von grünen Flusslandschaften? OK, ich hatte lange nichts gesehen außer Sand. Die Wüste auf dem Mond Daymar war seit meiner Flucht aus dem Gefängnis mein zu Hause. Und jetzt war ich seit Tagen im Weltall unterwegs.
Im Cockpit schaute ich hinaus auf die grünlichen Gaswolken des Lagrange Points, an dem ich mich befand. Es war kein Gras, aber doch etwas grün. Grinsend setzte ich mich auf den Pilotensitz, der vom Zentralstern angestrahlt wurde. Die Strahlen von Stantons Stern erwärmten mein Gesicht, doch die Müdigkeit vermochten sie mir nicht auszutreiben.
Ich brauchte noch ein Wrack, dann würde mein Frachtraum voll sein. Voll mit RMC, dem Material, das die Vulture von der Hülle der Wracks mit den beiden Lasern abtrug. RMC, mein Ticket zum Vertrauen der Schrottler. Von ihnen erhoffte ich mir Hinweise über den Verkäufer des Computerkerns, der vermutlich aus meiner White-Rabbit war.
Langsam näherte ich mich einem Wrack. Dunkel und ruhig schwebte es vor dem grünlichen Hintergrund des Weltalls. Immer noch müde rieb ich mir die Augen. Plötzlich tat es einen lauten Schlag. Ein Ruck ging durch das ganze Schiff. Das Wrack vor mir taumelte unkontrolliert um mehrere Achsen. Einer meiner Laser entfernte sich von meiner Vulture und verschwand in den Tiefen des Weltalls.
Vor lauter Müdigkeit hatte ich die Entfernung falsch eingeschätzt und das Wrack gerammt. Dabei war einer meiner Laser abgerissen. Na toll. Mit nur einem Laser würde das Abtragen der Hülle deutlich länger dauern. Doch das war nicht mein einziges Problem. Es war nahezu unmöglich, die Hülle von einem Wrack abzutragen, das in ständiger unkontrollierter Bewegung war. Nach mehreren erfolglosen Minuten gab ich entnervt auf.

Nachdem ich ein weiteres Wrack gefunden hatte, machte ich mich an die langwierige Arbeit mit nur einem Laser die Hülle abzutragen. Der Vorteil war, es dauerte länger, bis ich aufstehen und die Leiter in den Frachtraum herunterklettern musste, um dort die Kisten umzustellen. Wenn man das als Vorteil sehen konnte.
So entspannt die Arbeit beim Abtragen der Hülle auch war, die Vulture hielt einen doch auf Trab. Sobald ein Container voll war mit RMC, wurde er vom Dispenser im Frachtraum ausgeworfen. Der stand dann direkt vor dem Dispenser und blockierte die Ausgabe des nächsten Containers. Dann musste man die Laser abschalten, aufstehen, die Leiter in den Frachtraum herunterklettern und den Container vor dem Dispenser wegräumen. Anschließend konnte man den blockierten Container manuell auswerfen und wegstellen, damit der Auswurf frei war. Dann ging es wieder die Leiter hoch, zurück ins Cockpit, Laser an und weiter mit dem Abtragen der Hülle. Solange bis wieder zwei Container voll waren und der Dispenser blockiert war. Auf Dauer war das ein ganz schön heftiges Training.
Ich hätte nicht gedacht, dass das ständige hoch und runterklettern einer Leiter so anstrengend sein konnte.
Irgendwann hatte ich den letzten freien Platz im Frachtraum zugestellt mit Containern. Nichts ging mehr. Es waren deutlich mehr Container im Frachtraum gestapelt, als offiziell vorgesehen war. Die Sache war nicht ganz ungefährlich. Nur die Container auf dem Cargo Grid waren gesichert. Alle anderen standen ungesichert herum und wackelten teils bedenklich. Es schien, als hätten die Container ein Eigenleben. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn ein Container auf mich drauf fiel oder durch die Außenwand brach.
“Mal den Teufel nicht an die Wand”, sagte ich zu mir selbst und ging zurück zum Cockpit.
Auf dem Weg kam ich am Bett vorbei. Rudi lag in der Ecke und schaute mich kritisch an.
“Schau mich nicht so an. Wird schon schief gehen. Wir brauchen so viel RMC wie möglich. Wie sollen wir sonst das Vertrauen der Schottler gewinnen?”

Mit einer abschätzigen Handbewegung ging ich ins Cockpit und setzte Kurs zum Schrottplatz auf dem Mond Daymar.
Die Anspannung in mir wuchs, je näher ich dem Schrottplatz kam. Würden die Schrottler mich als ihresgleichen anerkennen, wenn ich genug RMC mitbrachte? Und würden sie mir Hinweise geben, die mich zum Verkäufer des Computerkerns führten? Ich war mir ziemlich sicher, dass dies der Computerkern aus meiner White-Rabbit war. Und tief in mir gab es einen kleinen Hoffnungsschimmer, der glaubte, dass mein Raumschiff nicht zerstört war. Doch sicher konnte ich nicht sein. Ich brauchte den Kontakt zum Verkäufer. Nur er konnte mir sagen, woher er den Computerkern hatte und ob meine White-Rabbit noch intakt war.
Auf dem Schrottplatz schien alles ruhig. Eine Caterpillar mit Piratenabzeichen war am Rand abgestellt. Auch als ich zum Hauptgebäude ging, konnte ich niemanden sehen. Als ich das Gebäude betrat, standen plötzlich zwei Typen vor mir. Einer hatte einen Helm auf, der aussah wie der Schädel von einer Kuh. Es waren sogar zwei Hörner an dem Schädel. Verdutzt blieb ich stehen und schaute die zwei an. Das nächste, was ich sah, war eine Faust, die sich mit unglaublicher Geschwindigkeit meinem Gesicht näherte. Dann wurde es dunkel um mich herum. Schwärze hüllte mich ein.
*
Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Frachtraum meiner Vulture. Der Frachtraum war leer. Alle Container mit dem RMC waren weg. Ich schaute auf nackte Wände und auf meine nackte Haut. Die Rüstung, die ich getragen hatte, war auch weg. Ich hatte nur eine Unterhose an. Auch das ganze Equipment, das ich in der Vulture hatte, war weg. Das konnte doch nicht wahr sein. Die Idioten hatten mich niedergeschlagen und ausgeraubt. Wenigstens hatten sie meinen Reserve-Raumanzug und Rudi den Ball da gelassen.
Aber es war nicht nur mein Equipment, das weg war. Auch die Hoffnung auf Hinweise über meine White-Rabbit waren dahin. Und mein Ego war gewaltig angekratzt. Wie sollte es jetzt weitergehen? Weiter auf die Schrottler zu setzen war eine Scheiß Idee. Sollte ich die Crew kontaktieren? Hatte ich die Möglichkeiten alleine zurechtzukommen überschätzt?
Meine Kopfschmerzen machten es unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein neuer Plan musste her. Zurück auf Los sozusagen. Zurück zum Wolf Point Aid Shelter. Mein Ausgangspunkt nach meiner Flucht aus Klescher. Mein Stützpunkt auf Daymar. Dort hatte ich einiges an Equipment gelagert und es gab hoffentlich etwas gegen Kopfschmerzen.