Log #190 – Menschliche Abgründe

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Ich schaute in menschliche Abgründe und sah einen Hoffnungsschimmer.


Mir dröhnte immer noch der Kopf von der Explosion der Carrack. Zunächst dachte ich, dass ich der einzige Überlebende wäre. Doch dann bekam ich Nachrichten von Ella, Brubacker, Husky und Hermieoth. Bei allen hatte der Imprint funktioniert. Sie waren in verschiedenen Kliniken im Stanton System regeneriet. Zwar litten sie noch unter den Folgen des Regenerationsprozesses, waren aber ansonsten wohlauf. Ich musste mir eingestehen, dass diese Imprint Technologie ihre Vorteile hatte, trotzdem blieb sie mir unheimlich. Es war einfach nicht normal, von den Toten aufzustehen.

Unheimlich waren auch die Geschehnisse auf der Carrack gewesen. Traurig machte es mich nicht, dass das Schiff nur noch ein Trümmerfeld war. Das Crew-Projekt hatte sich von einem Hoffnungsträger auf ein neues Leben zu einer Gefahr für mein Leben entwickelt. Durch die ganze Aufmerksamkeit und Überwachung an Bord war das Risiko zu groß, dass Hurston Dynamics von meiner Existenz erfuhr. Diesem skrupellosen Konzern wollte ich keine zweite Chance geben, mich zu beseitigen. Es war schlimm genug, dass sie meine White-Rabbit beseitigt hatten

Für einen kurzen Augenblick hatte ich einen Hoffnungsschimmer, dass dies nicht stimmte. War mein Raumschiff noch irgendwo da draußen? Der Computerkern, den ich auf dem Schrottplatz gefunden hatte, war genau der gleiche, wie der, den ich in der White-Rabbit eingebaut hatte. Oder war es sogar meiner? Um das herauszufinden, musste ich den Typen finden, der den Computerkern an den Schrottplatz verkauft hatte. “Folge dem Schrott”, hatte der Schrottplatz Wächter gesagt. Und genau das hatte ich vor. Alleine. Die Crew konnte mir dabei nicht helfen.

Um dem Schrott zu folgen, musste ich in die Welt der Schrottler eintauchen. Zum Glück war die Vulture, die auf dem Schrottplatz abgestellt war, noch flugtauglich. Das kleine Bergungsschiff brauchte nur ein paar kleinere Reparaturen. Mit einer Liste, wo ich Wracks finden konnte, brach ich auf in die Tiefen des Weltalls. Mit fetter Beute wollte ich zum Schrottplatz zurückkehren und zeigen, dass ich dazu gehörte. Dann würden die Schrottler mir bestimmt Hinweise geben, wohin ich dem Schrott folgen musste. So war zumindest meine Hoffnung.

*

Es tat gut, wieder einzutauchen, in das Meer der Millionen Lichtpunkte, der Schwärze des Weltalls zum Greifen nahe zu sein. Oft schaute ich verträumt aus dem Cockpit und verlor mich im Lichtspiel der Sterne und Gaswolken. Die Vulture war ein einfaches Schiff. Sie tat ihren Job und bot dabei keinen Komfort. Es gab ein Bett und eine Dusch- / Klo-Kabine, aber keine Küche. Typisch für den Hersteller Drake Interplanetary. Das Abtragen der Hülle von den Wracks war eine entspannte Arbeit. Im Gegensatz zum Mining musste man keinen Laser regulieren und auf eine grüne Energiezone achten. Ideal, um bei der Arbeit vor sich hin zu sinnieren.

Zum Nachdenken brachte mich die Nachricht von Brubacker. Paul Mason, der Chef von Radio Infinity, war über die Ereignisse an Bord der Carrack genauso schockiert wie wir. Anscheinend wusste er nicht, was uns widerfahren war. Dass man uns vorgeführt und dann in die Luft gesprengt hatte. Dass seine Radio Show völlig aus den Fugen geraten war. Es sah so aus, als ob der Redakteur für besondere Shows hinter den Ereignissen steckte. Warum auch immer. Seine Beweggründe waren unklar. Fragen konnte ihn auch niemand. Der Vollidiot war auf der Flucht. 

Warum taten Menschen sowas? Warum waren sie raffgierig. Warum bereicherten sie sich auf Kosten anderer? Warum zerstörten Menschen ganze Planeten, ihre eigene Lebensgrundlage? Man sollte meinen, die Menschheit wäre nach tausenden Jahren Entwicklung weiter. Wie man sich doch täuschen konnte. Die menschlichen Abgründe waren bodenlos.

Das Geräusch des Leerlaufs der Abbaulaser brachte mich zurück in die Realität. Die Hülle des Wracks war abgetragen. Nach mehreren Tagen im Weltall war mein Frachtraum fast voll. Die Container mit dem abgetragenen Material stapelten sich bis unter die Decke. Ein wenig Platz hatte es noch. Ein weiteres Wrack konnte ich noch bearbeiten. Ich fuhr die Laser ein und sprang zum nächsten Wrack.

*

Es schien, als ob ich mich mit dem Platz verschätzt hätte. Der Frachtbereich war voll und das Wrack hatte noch jede Menge Material auf der Hülle. Notgedrungen fing ich an, die Container neben dem Frachtbereich auf dem Durchgang zur Heckrampe zu stapeln. Ich wollte so viel Material mitnehmen, wie es nur ging.

Beim weiteren Abtragen der Hülle träumte ich wieder vor mich hin. Dabei bemerkte ich den Punkt auf dem Radar nicht, der sich meiner Position näherte. Plötzlich tauchte eine Vanguard, ein schwerer Raumjäger, vor meinem Cockpit  auf. Der Jäger war alleine. Erst dachte ich mir nichts dabei. Doch dann kam der Funkspruch.

“Ich will von deiner Ladung profitieren. Ich möchte, dass du Container von deinem Frachtraum umlädst in meinen.”

Mir blieb der Mund offen stehen. Ein Piratenüberfall. Was für eine verdammte Scheiße. Noch einer, der sich auf Kosten anderer bereicherte. Warum musste ich in noch mehr menschliche Abgründe blicken. Hatte ich nicht schon genug Probleme am Hals? An Flucht oder Kampf dachte ich in keinster Weise. Aber meinen Pilotensitz zu verlassen und Container umzuladen kam auch nicht in Frage. Ich versuchte es mit Kooperationsbereitschaft.

“Ich öffne die Heckrampe. Dann kannst du dich bedienen.”

Die Antwort kam prompt. “Nein. Ich will dass du die Container in mein Schiff bringst.”

Mist. So einfach war es dann wohl doch nicht. Ich suchte einen Grund, warum ich die Container nicht umladen konnte.

“Äh das geht nicht. Die Container im Frachtraum versperren den Weg zur Heckrampe. Ich kann nicht raus.”

Oh man. Was dümmeres hätte mir nicht einfallen können. Im Prinzip hatte ich ja recht. Aber es gab ja noch die Tür im Cockpit. Raus konnte ich also. Wusste der Pirat das auch? Bange Sekunden vergingen bis zur Antwort.

“Ich bestehe darauf!”

Scheiße. Ich wägte meine Optionen ab. Nein, meinen Pilotensitz zu verlassen war keine Option. Also setzte ich alles auf eine Karte und öffnete vom Cockpit aus die Heckrampe. Was dann passierte, hatte ich nicht erwartet.

Die Container, die neben dem Frachtbereich standen, waren durch die Bodenmagnete nicht gesichert. Sie schwebten durch das geöffnete Heck in den Weltall. Langsam trieben sie davon. Perplex beobachtete ich durch die Außenkamera die Container. Nach einigen Sekunden fand ich wieder meine Sprache.

“Ich hab einige Container abgeworfen. Du musst also nicht in mein Schiff. Kannst sie direkt einsammeln.”

In einem nutzlosen, verzweifelten Versuch, mich zu schützen, zog ich den Kopf ein. Es blieb still im Funk. Die Vanguard veränderte ihre Position. Panik stieg in mir auf. In einer weiteren sinnlosen Aktion legte ich alle Energie auf die Schilde. Es fühlte sich an,als ob jemand einen Countdown runter zählte.

Dann knackte es im Funk. “OK.”

Meine Muskeln entspannten und ich sackte im Pilotensitz zusammen. Nach mehreren Minuten knackte es wieder im Funk. Erschrocken zuckte ich zusammen.

“So ein verdammter Mist.” Der Pirat klang alles andere als erfreut. “Die Container sind zu groß. Ich bekomme die nicht in mein Schiff.”

Eine böse Vorahnung keimte in mir auf. Der Pirat hatte jetzt nur eine Option, um sich an meiner Ladung zu bereichern. Die Details wollte ich mir nicht ausmalen. Dann sagte er:

“Also ich bin entweder zu blöd als Pirat oder du bist zu freundlich. Weißt du was. Scheiß auf die Ladung. Ich bleibe jetzt hier und beschütze dich, bis du fertig bist mit deiner Arbeit. Mein Name ist übrigens Captain Whiskey.”

Das Grinsen in meinem Gesicht ging von einem Ohr bis zum anderen. Diesen Namen musste ich mir merken und Captain Whiskey irgendwann auf eine Whiskey-Cola einladen. Es war unglaublich. Und es zeigte mir, dass es noch Hoffnung für die Menschheit gab.