Log #168 – Der Kapitän

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Ich folgte den Spuren der Crew aus einer abgestürzten Reclaimer. Was ich finden sollte, hatte ich nicht erwartet.


Auf dem Planeten Microtech hatte ich das Wrack einer abgestürzten Reclaimer gefunden. Es war nicht irgendeine Reclaimer. Es war genau das Bergungsschiff, auf dem ich vor vielen Jahren im Null-System gearbeitet hatte. Das Schiff stand unter dem Kommando von Kapitän Knox. Er war ein guter Kapitän gewesen. Er und einige Besatzungsmitglieder hatten den Absturz überlebt. Allerdings waren sie auf der Flucht vor den Nine Tails. Ich war auf der Suche nach den Überlebenden und wollte Kapitän Knox wieder sehen. Die Spuren hatten mich bis zum Planeten ArcCorp geführt.

Mit mehr Fragen als Antworten stand ich an der Panoramascheibe der Orbital Station Bajini Point. Wie eine unnatürliche Metallkugel lag der Stadtplanet ArcCorp unter mir. Ein Planet, der komplett von einer Stadt bedeckt war. Einige Wolken zogen über das endlose Meer aus Gebäuden und Industrieanlagen. Es war keine Wasseroberfläche zu sehen, keine Wüste, kein Wald, keine Graslandschaften. Nichts Natürliches. Es war mir unbegreiflich, wie Menschen einem Planeten so etwas antun konnten. Genauso unbegreiflich war mir der Name der Reclaimer, die vor einigen Tagen auf ArcCorp verkauft worden war. Gekauft und registriert auf Kapitän Knox. Der Name der Reclaimer war ‘Pride of Arliss’. Arliss war der Sohn von Kapitän Knox. Ein windiger Typ, der ständig krumme Geschäfte machte und andere über den Tisch zog. Arliss war so ziemlich das Gegenteil von seinem Vater. Wieso hatte Kapitän Knox sein neues Schiff nach seinem Sohn benannt? Und warum wurden sie auf Microtech von Nine Tails verfolgt? Na ja, eines nach dem anderen. Erstmal musste ich Knox finden, dann würde ich Antworten bekommen.

Das Piepsen meines Mobiglases riss mich aus meinen Gedanken. Es war die Nachricht, auf die ich gewartet hatte. Die Nachricht mit der letzten bekannten Position der ‘Pride of Arliss’. Eine angespannte Vorfreude entfachte in mir wie ein Feuer. Die Vorfreude darauf, Kapitän Knox wiederzusehen.

15 Minuten nachdem ich die Nachricht erhalten hatte, befand ich mich mit meiner ‘White-Rabbit’ in der Nähe des Mondes Wala. Die türkisen Kristallfelder auf dem sonst grauen Mond waren selbst aus dieser großen Entfernung gut zu sehen. Doch dafür hatte ich keine Augen. Meine Konzentration galt voll und ganz den Scannern. Mit einer Rastersuche hoffte ich, die Reclaimer von Kapitän Knox zu finden. Schneller als erwartet erfassten die Scanner eine hohe Energiesignatur. Es war die ‘Pride of Arliss’. Noch während der Annäherung versuchte ich Funkkontakt aufzunehmen. Niemand antwortete. Schließlich erreichte ich das gigantische Bergungsschiff. Meine Star Runner wirkte im Vergleich fast wie ein Beiboot. Die Reclaimer war von außen unbeschädigt und lag ruhig im Weltall. Nach wie vor reagierte niemand auf meine Funkrufe. Ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich Antworten finden wollte, wenn ich Kapitän Knox treffen wollte, musste ich an Bord der ‘Pride of Arliss’. 

Im EVA schwebte ich zur linken Luftschleuse der Reclaimer. Zu meiner Überraschung war sie nicht verriegelt. Ohne Probleme konnte ich an Bord gehen. Im Schiff war Licht, es gab Atmosphäre und Gravitation. Alles schien ruhig und normal. Doch dann erfasste mich das Grauen. Eine Gänsehaut überzog meinen ganzen Körper. An den Wänden und auf dem Boden war Blut. Kugeln hatten die Schotts penetriert. Sollte ich den Rückzug antreten? Besser wäre es. Ich hatte keine Rückendeckung. Doch meine Neugierde überwog meine Vernunft. Mit gezogener Waffe bewegte ich mich durch den Gang zu den Quartieren. 

Als ich durch die Tür in das Mannschaftsquartier ging, war die Helligkeit der Gang-Beleuchtung schlagartig weg. Nur der Stern von Stanton warf ein fahles Licht durch das Fenster. Nebelschwaden zogen durch den Raum, sie leuchteten im Licht des Sterns. Es war eine gespenstige Atmosphäre. Alles war in schwarz und weiss gehalten, als wenn jemand die Farben geklaut hätte. Nur der rote Strahl meines Laserpointers durchschnitt die farblose Szenerie. Das einzig lebendig wirkende war mein schwarzer Schatten, der über die weiße Wand tanzte. Er bewegte sich geisterhaft. Ich selbst verschwamm im Dunst zu einer schemenhaften Figur. Etwas stimmte nicht mit diesem Schiff. Etwas Unnatürliches war an Bord zugange. 

Nachdem ich in der Schattenwelt der Quartiere niemanden finden konnte, ging ich zurück in den hell erleuchteten Gang, weiter durch die Messe und vorbei am Drohnen-Raum. Am Ende des Gangs hatte ich einen direkten Blick in den Raum mit dem Gravitationsgenerator. Ungläubig blieb ich stehen. Das konnte doch nicht sein. Das war unnatürlich. Im Generatorraum schwebte jemand kopfüber einen Meter über dem Boden. Direkt vor der Kugel, die für künstliche Schwerkraft sorgte. Doch die Schwerkraft schien keine Wirkung auf diese Person zu haben. Wie von Geisterhand getragen, lag sie frei in der Luft. Welche Teufelei war hier am Werk? 

Vorsichtig ging ich einen Schritt nach vorne. Plötzlich verlor ich den Halt unter den Füßen. Mein Magen drehte sich. Mein Gleichgewichtssinn spielte verrückt. Ich ruderte wild mit den Armen und versuchte Halt zu finden. Nach einigen Sekunden hatte ich meine Bewegungen wieder unter Kontrolle. Es war kein Spuk. Nur ein technisches Problem. In diesem Bereich des Schiffs gab es keine Schwerkraft. Irgendetwas musste mit dem Gravitationsgenerator nicht stimmen. Vorsichtig schwebte ich weiter.

Im Fahrstuhl zum Cockpit konnte ich wieder normal stehen. Die künstliche Schwerkraft funktionierte hier wieder. Vom Ausfall war nur das Areal direkt vor dem Gravitationsgenerator betroffen. Eine Ebene tiefer, im Kontrollraum, fand ich ein totes Crewmitglied und ein Datenpad. Darauf war eine Nachricht von einem Crewmitglied an ein anderes.

“….

Du musst dich beruhigen. Wir haben also die Nine Tails über den Tisch gezogen? Wen kümmert das schon? Wie sollen die uns denn finden? Es ist ja nicht so, als könnten sie ihre Fracht auf magische Weise verfolgen.

….”

Langsam ließ ich das Datenpad zu Boden sinken. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Verdammte Scheiße. Das war nicht gut. Gar nicht gut. Niemand verarschte ungestraft die Nine Tails. Aber warum sollte Kapitän Knox so etwas tun? Das sah ihm nicht ähnlich. Und wo war der Rest der Crew? Sekunden verstrichen. Sekunden der angespannten Ruhe. Dann lief mir erneut ein kalter Schauer über den Rücken. Die Haare stellten sich mir zu Berge. Ich hatte eine Ahnung, eine üble Ahnung. Beim Betreten des Schiffs war mir eine Blutspur aufgefallen. Sie sah aus, als ob jemand in den Frachtaufzug geschleift worden war.

Eine Minute später trat ich aus dem Frachtaufzug und stand auf dem Balkon der Restwert-Aufbereitung. Der große Raum sah aus wie eine Lagerhalle in der Piratenstation  Grim Hex. Chaos und Unordnung prägten den Raum. Überall standen Container. Sie waren verschmiert mit Sprüchen und Kritzeleien. Auf dem Boden lagen mehrere Tote. Sie hatten alle die gleichen Overalls an. Es war die Crew. Ein Container hing an der Decke. Er war offen. An der Seitenwand war eine stilisierte Neun aufgemalt. Das Zeichen der Nine Tails. Im Container lag ein Toter. Er hatte etwas anderes an als die Crew. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich bei ihm die Antworten finden würde. Doch der Container hing zu hoch. Es gab keinen Weg, um an den Toten ran zu kommen. Dann fiel mir der defekte Gravitationsgenerator ein. Ich hatte eine Idee.

Nachdem ich im Maschinenraum die künstliche Schwerkraft im ganzen Schiff abgeschaltet hatte, kehrte ich zurück zur Restwert-Aufbereitung. Schwerelos schwebte ich zum Container unter der Decke mit dem Toten. Er lag in seiner eigenen Blutlache. Sein Bein war an eine Kette gefesselt. Sein Gesicht kam mir bekannt vor, nur älter als in meinen Erinnerungen. In seiner Rüstung fand ich ein Datenpad mit seinem persönlichen Logbuch. Das persönliche Datenpad von Kapitän Arliss Knox. Der Tote war Arliss, der Sohn von Kapitän Knox, unter dem ich früher gearbeitet hatte. Arliss war jetzt Kapitän. Es war also Arliss, der die Reclaimer auf ArcCorp  gekauft hatte. Er hatte die Notiz in der verlassenen Siedlung geschrieben. Seinen Spuren war ich gefolgt. Nicht denen seines Vaters, wie ich geglaubt hatte. Und Arliss hatte wie früher krumme Geschäfte gemacht. Nur diesmal mit den Falschen. Dieses Geschäft war sein letztes gewesen. Das sollte auch mir eine Lehre sein. Leg Dich nicht mit den falschen Personen an. Und bleib unter dem Radar.

Und der Vater von Arliss? Der ehrenwerte Kapitän Knox, unter dessen Kommando ich damals im Null-System stand? Zu seinem Schicksal fand ich keine Antworten.