Eine gefährliche Suche durch geheime Gänge, die Überraschungen parat hatte.
Es war still. Ein angenehmer Duft von Kräutern, die in Tonkrügen verdampft wurden, durchzog den Raum. Die Bücher standen in den Regalen, die Stühle und Sessel ordentlich an ihren Plätzen, der Boden war gewischt. Das Gemeinschaftshaus war wieder aufgeräumt und hatte sich vom Angriff der Frontier Fighters erholt. Dennoch lag eine gewisse Spannung in der Luft. Viele bewaffnete Wachen patrouillierten.
Tief in das Polster eines Sessels versunken, dachte ich über das Geschehene nach. Der Konflikt mit den Frontier Fighters war noch nicht beendet. Wahrscheinlich waren sie immer noch auf der Suche nach dem Datenstick, mit dem Virus das Sicherheitssystem umgehen konnte. Auch die anderen Fraktionen in Pyro wollten den Stick haben. Agenten durchsuchten jeden Winkel des Systems. Von Brubacker und Husky hatte ich noch nichts gehört. Wo waren sie? Ging es ihnen gut? Waren sie wegen des hinterhältigen, intriganten Piraten Aruhso nach Pyro gekommen? Wurden sie von ihm kontrolliert? Lauter Fragen, die meinen Geist quälten und mich aus der Balance brachten.
Das laute metallische Kratzen und das dumpfe Geräusch der Eingangstür, die sich öffnete und wieder schloss, hallten durch das Gemeinschaftshaus. Zwei Typen kamen herein. Der eine trug nur einen Raumanzug, der andere eine provisorisch zusammengeflickte Rüstung aus Stoff, wie sie für das Pyro-System typisch war. Auf seinem Arm prangte ein Totenkopf. Scheinbar ziellos liefen sie umher, schienen etwas zu suchen. Ich zog meine Kapuze tiefer ins Gesicht und sagte.

“Ihr Fremden, so sagt. Auf welchen Wegen wandelt Ihr?”
“Wenn wir das nur wüssten.”
“Seit Ihr im Namen von Aruhso hergekommen?”, hackte ich nach.
“Nein, naja, nein, also ja”, stotterte der eine.
“Nein!”, intervenierte der andere.
“Äh nein, Ja”, stotterte der eine weiter.
“Ihr scheint aus der Balance zu sein. Einigt Euch”, antwortete ich.
“Die Stimme kommt mir doch bekannt vor”, stellte der eine fest.
“Ihr beiden habt wirklich eure Mitte verloren”, sagte ich, während ich aufstand und meine Kapuze abzog.
“Zero, das gibt es doch nicht”, rief Brubacker volle Freude.
Vor mir standen tatsächlich Husky und Brubacker. Es war kaum zu glauben. Sie waren den Brotkrumen gefolgt und hatten mit Hilfe der Zeichnung, die ich in Sunset Mesa hinterlegt hatte, das Gemeinschaftshaus gefunden. Wir gingen auf das Dach, blickten in die Unendlichkeit der nächtlichen Wüste und brachten uns gegenseitig auf den aktuellen Stand.
Husky und Brubacker berichteten, dass sie nach Pyro gekommen waren um Aruhso die Sachen zu bringen, die er wollte. Allerdings hatten sie ihn tot aufgefunden. Sie erzählten, dass sie erpresst, gejagt und entführt worden waren. Eine wilde Odyssee hatte sie durch das ganze Pyro-System geführt.
“Das Problem war”, berichtete Husky, “nachdem Aruhso tot war, wollten wir wissen, was auf dem Datenstick war, den wir ihm bringen sollten. Nachdem ich den in die Zeus von Bru gesteckt hatte, installierte sich eine Software und versuchte eine Verbindung nach Stanton aufzubauen. Und dann hatte der Quantum-Antrieb verrückt gespielt. Die Zeus sprang überall hin, nur nicht dorthin, wo wir wollten.”
“Also wenn das der Datenstick ist, den ich vermute, dann habt Ihr ein echtes Problem am Hals”, sagte ich nachdenklich.
Ich erzählte von dem Datenstick, mit dem Virus das die Sicherheitssysteme umging und damit Zugang zu gesicherten Bereichen hatte und hinter dem das gesamte Pyrosystem her war. Husky erzählte, dass sich der Stick immer noch auf der Zeus von Bru befand, aber sie wussten nicht, wo sich das Schiff befand. Als sie von den Xenothreat entführt und zur Ruin Station gebracht wurden, wurde ihnen das Schiff weggenommen.
“Ich kenne einen Ort, an dem wir vermutlich Euer Schiff orten können. Um den Virus aber vollständig aus Eurem Schiff zu entfernen, brauche ich noch Equipment, das ich nur auf der Ruin Station bekomme.”
Mein Vorschlag stieß auf wenig Begeisterung. Bru und Husky wollten nicht dorthin zurück, wo sie gefangen gehalten und verhört worden waren. Aber es war die einzige Möglichkeit, die sie hatten, wenn sie Brubackers Zeus zurückhaben wollten. Als ich ihnen sagte, dass wir unbemerkt auf die Station kommen würden, waren sie einverstanden.

Für mich eröffnete sich eine ungeahnte Möglichkeit. Dieser Datenstick war auch für mich als Hacker interessant. Aber das sagte ich nicht. Ich ließ Bru und Husky im Glauben, dass ich ihnen aus reiner Freundschaft half. Und das war auch nicht ganz falsch, aber es gab noch eine andere Motivation.
Mit der Zeus, die ich von den Citizens for Prosperity bekommen hatte, flogen wir zur Ruin Station. Auf dem Weg erzählte Brubacker, dass er und Husky Stiefbrüder seien. Ungläubig schaute ich die beiden an. Das war nicht möglich. Brubacker hatte immer erzählt, dass er 700 Jahre alt sei und eine lange Zeit in einer Kryokapsel verbracht hatte. Aber vielleicht glaubten die beiden das wirklich. Sie hatten zusammen viele stressige und lebensbedrohliche Situationen in Pyro erlebt. So eine psychische Belastung, die man mit jemandem teilte, konnte zu einer besonderen Verbindung führen. Ich beschloss die Sache für den Moment zu ignorieren. Die beiden waren wirklich aus der Balance und benötigten vermutlich Hilfe, um ihre Mitte wiederzufinden.
Als wir Ruin Station erreichten, steuerte ich einen der Wartungsschächte an. Über meine Kontakte in Pyro hatte ich erfahren, dass man darüber an den Wachen vorbei in die Station kommen könnte. Im EVA schwebten wir zur Luftschleuse und betraten die Eingeweide der Raumstation. Wir schlichen durch alte, verwinkelte und dunkle Gänge voller Kabel und Leitungen, bis wir schließlich einen Fahrstuhl erreichten. Dieser sollte uns in den Hauptbereich der Station bringen. Der Blick auf das Steuerdisplay des Aufzuges dämpfte meinen Optimismus, unbemerkt in die Station zu kommen. Es gab nur die Option, in einen anderen Wartungsschacht zu fahren.
“Mist. Die haben den Zugang dicht gemacht”, sagte ich mit gedämpfter Stimme. “Wir brauchen Plan B.”
Nachdem wir die Zeus auf einem der äußeren Landepads gelandet hatten, fuhren wir mit dem Fahrstuhl in den Terminalbereich der Raumstation. Von hier aus ging es zum Markt und schließlich zum Waffenladen, wo ich die benötigten Teile bekommen würde. Das Problem war, auf dem Weg gab es eine Kontrollstelle mit schwer bewaffneten Wachen. Diese mussten wir umgehen.
Zum Glück kannte ich einen geheimen Weg, der uns an den Wachen vorbei führte. Doch dieser war schwierig und gefährlich. Anstatt die Treppe nach oben zu nehmen, gingen wir an einer Absperrung vorbei in einen dunklen Bereich der Station. Wir kletterten über Berge von Müll und Unrat, balancierten über schmale Holzplanken bis wir eine Stelle direkt unterhalb der Wachen erreichten.
“Seid leise, der Wachposten ist direkt über uns”, flüsterte ich den beiden zu. “Wir müssen hier durch kriechen und auf der anderen Seite hoch klettern. Ist nicht ganz einfach. Ihr müsst etwas schräg springen und Euch dann hochziehen.“
Der erste Versuch schlug fehl, Brubacker stürzte ab und verstaute sich den Knöchel. Nach mehreren Versuchen waren wir endlich oben und erschienen wie Geister hinter dem Wachposten. Und dann erreichten wir den Marktplatz. Eine große Halle voller Marktstände, die provisorisch aus rostigen Metallplatten zusammengebaut waren und bunte Beleuchtungen hatten. Es gab Nudeln, Ratten am Spieß, Maden in Soße, destilliertes Wasser und Rust. Lautstark priesen die Standbesitzer ihre Waren an und versuchten die umherlaufenden Leute zum Kauf zu bewegen. Es war ein Ort, der mich an den Grand Barter Bazaar auf Levski erinnerte. Eine Gänsehaut lief über meinen Körper.

“Wir müssen auf die obere Ebene”, sagte ich leise zu Husky und Brubacker. “Allerdings wird an den Treppen gelegentlich kontrolliert. Besser wir nehmen einen alternativen Weg.”
Ich führte beide hinter einen Marktstand und deutete mit dem Fuß auf ein Loch in der rostigen Metallwand. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass uns niemand beobachtete, kroch ich durch das Loch in eine schmutzige Kammer. Es stank nach Abfall und Fäkalien. Durch das Ausschalten eines Ventilators öffnete sich ein Durchgang, durch den wir in einen dunklen Raum krochen. Nachdem wir eine Leiter hochgeklettert waren, befanden wir uns in einem engen Lüftungsschacht, in dem wir nur auf allen Vieren hintereinander kriechen konnten. Nach einigen Metern erreichten wir Lüftungsschlitze, durch die wir von oben auf den Marktplatz schauten. Noch hatte uns niemand bemerkt. Aber das Schwierigste kam noch. Ich war mir nicht sicher, ob wir es wirklich unbemerkt nach oben schaffen würden. Denn jetzt mussten wir unsere Deckung verlassen.
“Rechts geht es weiter. Durch den Ventilator rausklettern auf das Vordach. Seid vorsichtig, dass ihr nicht abrutscht und runterfallt.”
Nachdem wir über das Vordach geklettert waren, hatten wir hinter einem Verschlag wieder Sichtschutz. Niemand hatte uns bemerkt. Aber würde das so bleiben? Am Ende des Verschlags erreichten wir wieder ein Vordach.
“Direkt über uns ist eine Plattform der oberen Ebene. Über das Vordach müssen wir hochklettern und über das Geländer der Plattform steigen. Dann haben wir es geschafft.”
Vorsichtig schaute ich aus dem Verschlag nach oben und zuckte sofort zurück.
“Da steht jemand. Wir müssen warten bis der weg ist.”
Nervenaufreibende Sekunden vergingen. Der Typ stand da oben, stützte sich lässig auf das Geländer und beobachtete den Marktplatz. Endlich drehte er sich um und lief weg.
“Jetzt los. Einer nach dem anderen. Beeilt euch.”
Schnell kletterten wir über das Geländer. Wir hatten es geschafft, vorerst. Unauffällig mischten wir uns unter die Leute und schlenderten an den Läden der oberen Ebene vorbei. Brubacker und Husky nörgelten, dass sie so schnell wie möglich wieder weg wollten. Doch sie mussten sich gedulden und Ruhe bewahren. Mit schnellen hektischen Bewegungen würden wir nur die Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Nach einer Weile erreichten wir den Waffenladen. Hinter der Theke bekam ich vom Verkäufer das benötigte Spezialequipment. Er war froh, Geschäfte zu machen und stellte keine Fragen.
Als ob wir dazu gehören würden, gingen wir langsam aus dem Laden, die Treppe hinunter und zurück zu den Fahrstühlen. Doch kurz bevor wir die Fahrstühle erreichten, stoppte Brubacker abrupt und flüsterte.
“Das gibt’s doch nicht.”
Erst wusste ich nicht, was er meinte, doch dann sah ich es. Auf einer Wand waren die Gesichter von Husky und Brubacker projiziert. Gesucht wegen dem Mord an Aruhso mit einem Kopfgeld von einer Millionen Credits. Ich fand, dass sie auf der Projektion nur schwer zu erkennen waren, doch bei beiden brach Panik aus.
“Nichts wie weg hier”, sagte Husky panisch und stürmte los.
“Langsam, nicht so auffällig”, mahnte ich.
Zum Glück nahm niemand Notiz von uns, wir erreichten die Zeus und konnten ohne Zwischenfälle nach Terminus fliegen. Der äußerste Planet von Pyro, in dessen Orbit sich Ruin Station befand, war eine unwirkliche, kalte und abstoßende Welt. Dort befand sich Canard View, ein Außenposten der Citizens for Prosperity, der als Operationsbasis fungierte. Die grauen Gebäude verschmolzen mit der grauen Umgebung und waren im fahlen Licht des weit entfernten Sterns nur schwer zu sehen.

Canard View war technisch sehr gut ausgestattet und hatte ein eigenes Rechenzentrum. Im Kommandoraum befanden sich jede Menge Computer und eine Projektionswand für Planungen. Es war zwar alles alt und heruntergekommen, erfüllte aber seinen Zweck. Und es gab die Möglichkeit, Signale und Raumschiffe zu orten. Tatsächlich schaffte ich es, die ‘Shack One’, die Zeus von Brubacker, zu orten. Zu meiner Überraschung war sie nur 10 Kilometer von Canard View entfernt.

Nach einem kurzen Flug erreichten wir die Position des Signals. Vorsichtig näherten wir uns mit gezogenen Waffen der am Boden stehenden Zeus.
“Hoffentlich ist sie das auch”, sagte Husky.
“Und hoffentlich wird sie nicht bewacht”, ergänzte Brubacker.
Über die geöffnete Heckrampe betraten wir das Schiff. Brubacker schaute sich um und sagte erst erleichtert.
“Sie ist es…”.
Dann stutzte er und ergänzte mit einer fast panischen Stimme.
“Verdammt, der Stick ist weg.”
“Killen wir erstmal den Virus. Dann leuchtet das Schiff nicht mehr wie ein Weihnachtsbaum.”
Mit der Hilfe von Husky entfernte ich alle Sicherungen im Schiff. Dann installierte ich das Spezialequipment. Zeitgleich setzten wir an den beiden Sicherungskästen die Sicherungen wieder ein. Im gesamten Schiff flackerte das Licht. Die ‘Shack One’ schüttelte sich und entledigte sich in einem Fieberstoß des Viruses.
“Das war’s”, sagte ich. “Zurück nach Monox, bevor noch jemand auftaucht.”

Ohne weitere Verzögerung startete ich mit meiner Zeus. Erst als ich im Quantum-Tunnel war, entspannte sich mein Körper. Luft strömte aus meiner Lunge, als ich mich tief in den Pilotensitz zurückfallen ließ. Doch plötzlich fiel ich ohne Vorwarnung aus dem Quantum-Tunnel. Die Zeus schwebte bewegungslos tief im Weltall, weit entfernt von allen Planeten und Raumstationen. Wurde ich von Piraten abgefangen? Das Radar zeigte nichts an. Dann sah ich es. Ich verdrehte die Augen, das konnte doch nicht war sein. Kleinlaut funkte ich Brubacker und Husky an.
„Leute, mein Sprit ist alle. Könnt ihr mich abholen?”
“Klar, kein Problem”, antwortete Brubacker. Sein Grinsen konnte ich in seiner Stimme hören.
Nachdem die beiden mich aufgesammelt hatten, erreichten wir Monox und landeten beim Gemeinschaftshaus. Auf dem Dach tranken wir noch ein Rust, dann fielen Brubacker und Husky in einen tiefen Schlaf. Den Datenstick hatte ich zwar nicht gefunden, aber meine Freunde. Das war das Wichtigste. Über die Kommunikationsanlage im Gemeinschaftshaus informierte ich Friedrich, dass sein Enkel und Brubacker bei mir waren. Dann setzte ich mich entspannt in einen Sessel und schlief ein.
Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/jahr-2955#S13
Perspektive von Husky: https://youtu.be/QNjjrmNkAoc?si=JbfhUR3I5yAy9rzX