Ein neuer Kontakt zur Rust Society veranlasste mich, aufzubrechen und eine gefährliche Reise anzutreten.
Als ich die Brücke betrat, fiel ein Lichtstrahl aus dem linken Seitenfenster quer durch den Raum. Stille und gedimmtes Licht lagen wie ein sanftes Tuch über der Brücke. Nur die Lüftung und die Kühler surrten. Es war die typische Morgenstille vor einem Arbeitstag. Ich genoss die Situation, atmete tief durch und ging mit meinem Kaffee in der Hand ein paar Schritte nach vorne zu den Pilotenstühlen. Durch die Frontscheibe sah ich den Gasnebel des Pyro-Sprunktes, der aus der großen Entfernung wie ein abstraktes Ölgemälde schimmerte.

Seit einigen Wochen lieferte ich für die Citizens for Prosperity Waren zum Pyro-Gateway, die sie für den Aufbau ihrer Gesellschaft im Pyro-System benötigten. Und es begann mir zu gefallen. Auch das Leben an Bord der mir zur Verfügung gestellten Starlancers Max gefiel mir. Abgesehen von der geringen Höchstgeschwindigkeit und dem schmalen Sehschlitz im Cockpit war es ein tolles Schiff. Es fühlte sich an wie ein Zuhause. Seit ich das Schiff benutzte, hatte ich nicht mehr auf einer Raumstation geschlafen. Alles, was ich brauchte, war an Bord. Außerdem war die Starlancer sehr vielseitig. Ich konnte einen Rover mitnehmen und immer noch mehr Fracht, als in meinen Star Runner passte.
Zufrieden mit mir und der Situation nahm ich einen Schluck von meinem Kaffee. Eine kalte, saure Flüssigkeit ergoss sich über meine Zunge und in meinen Rachen. Angewidert schaute ich auf den Behälter in meiner Hand. Es war ein Dosenkaffee. Wo zum Teufel war die Tasse mit dem frischen Kaffee, den ich mir gemacht hatte? Dann fiel es mir wieder ein. Ich hatte die Tasse auf dem Tisch im Aufenthaltsraum stehen lassen. Schlaftrunken wie ich war, hatte ich mir eine Dose aus der Vorratskiste genommen und war auf die Brücke gegangen.
“Was soll’s”, dachte ich mir, kippte den restlichen Kaffee aus der Dose hinunter, nahm auf dem Pilotensitz platz und stellte die leere Dose neben mich auf die Konsole. Nachdem ich einige Schalter umgelegt hatte, erwachte das Schiff zum Leben. Das Brummen der Aggregate wurde lauter, der Bordcomputer berechnete den Quantum-Sprung zum Pyro-Gateway und wartete auf mein Go. Mit einem Fingertipp zogen sich die Lichtpunkte der Sterne in die Länge, ich tauchte in den Quantum-Tunnel ein und der orange-blaue Nebel des Pyro-Sprungpunktes wurde rasch größer.
Obwohl ich schon mehrere Male am Pyro-Gateway war, beeindruckte mich der Anblick immer noch. Ein Stück entfernt von der Raumstation war der Sprung-Punkt. Er war geschlossen und sah aus wie eine Anomalie, wie eine Lichterscheinung im Nebel.

Nach der Landung in der Raumstation lud ich meine Fracht aus. Ich hatte keine Ahnung, wer die Fracht aufnehmen und in das Pyro-System bringen würde. Mein Auftrag war nur, alles beim Pyro-Gateway abzuladen. Wegen den Gefahren im Pyro-System kümmerten sich die Citizens for Prosperity selbst um den Weitertransport.
Nachdem alles entladen war, stand ich mit einer Flasche Wasser auf dem Aussichtsdeck der Raumstation. Fasziniert schaute ich auf den Sprung-Punkt. Er hatte eine magische Anziehungskraft, etwas mystisches. Er war das Tor in eine andere Welt. Genau in diesem Augenblick öffnete sich das Wurmloch. Aus der Lichterscheinung wurde ein Strudel, ein rotierender schwarzer Kreis mit einem hell leuchtenden bläulichen Rand, der immer größer wurde und Wellen von Blitzen und Verzerrungen aussendete.

„Faszinierend. Nicht wahr?“
Ohne dass ich es gemerkt hatte, hatte sich jemand neben mich gestellt.
“Allerdings”, antwortete ich. “Es sieht aus wie ein Loch im Raum-Zeit-Gefüge.”
“Mach Dir nichts daraus”, lachte er. “Fast jeder steht vor seinem ersten Sprung mit weichen Knien an dieser Scheibe und fragt sich, ob er wirklich den Sprung wagen sollte.”
“Äh nein. Heute springe ich nicht nach Pyro. Ich hab nur Waren hierher zum Gateway gebracht.”
“Für die Citizens for Prosperity?”
“Ja. Woher weisst Du das?”
“Ich bringe das Zeug nach Pyro. Mein Name ist Gerald. Ich bin von der Rust Society.”
“Mein Name ist Zero. Früher bin ich öfters durch Pyro geflogen, als ich noch zwischen Levski im Nyx-System und Stanton gependelt bin. Ist aber eine Weile her. Rust Society? Davon hab ich schon gehört. Und was für Typen seid ihr?”
“Die Rust Society ist eine Organisation von Transport- und Bergungsunternehmern, die Informationen teilen und Neulinge in beiden Bereichen anleiten. Wir bedienen auch die Frachtrouten, die gefährlich sind. Wie ich gerade für die Citizens for Prosperity.”
“Wegen Eurem Namen dachte ich, ihr macht nur auf Schrottverwertung.”
“Nein, der Name kommt von einem Getränk, das Rust heißt. Ok, damit kann man wahrscheinlich auch den Rost vom Schiff entfernen. Aber wir trinken es gerne. Hat viel Alkohol. Wenn Du mal wieder auf dem Weg nach Levski bist, komm mich doch mal besuchen, dann geb ich Dir einen aus. Ich komme von der Ortsgruppe auf dem Planeten Monox.”
Gerald schien ein lustiger Kerl zu sein. Umgänglich, freiheitsliebend, einer aus den Grenzgebieten. Er war mir spontan sympathisch. Er erzählte mir noch einiges über die Geschichte und Hintergründe der Rust Society und über sein Leben in Pyro, dann musste er aufbrechen.
*
Noch Tage später beschäftigte mich das Gespräch mit Gerald. Mir gefiel, was er mir über die Rust Society erzählt hatte und über das Leben, das sie in Pyro führten. Ok, die andauernde Gewalt in Pyro war nicht einladend, dafür um so mehr die Freiheit und das Leben ohne den Einfluss des UEE und der Megakonzerne. Es waren wirklich freie Völker, die in Pyro lebten und die Citizens for Prosperity wollten eine friedliche Gesellschaft etablieren.
Dann musste ich an meinen letzten Aufenthalt in der Wüste denken, an das, was mir wichtig war und schließlich an die Skandale, die wir in Stanton aufgedeckt hatten. Und was hatte sich dadurch geändert? Nichts, absolut nichts. Die Megakonzerne bestimmten weiterhin das Leben der Menschen. Wirkliche Freiheit gab es nicht.
Ich war neugierig auf das Leben, das Gerald führte. Neugierig auf das, was die Citizens for Prosperity in Pyro aufbauten. Und Monox war ein Wüstenplanet. Keine Sandwüste wie auf dem Mond Daymar, aber doch eine Wüste. Außerdem sollen auf Monox Sandwürmer gesichtet worden sein.
Lauter gute Gründe, Gerald einen Besuch abzustatten. Gute Gründe mir genauer anzuschauen, was das Leben in den Grenzgebieten zu bieten hatte. Aber Gerald hatte mich gewarnt, dass die Gewalt in Pyro völlig außer Kontrolle geraten konnte. Es sei das Beste, nicht entdeckt zu werden und im Zweifel ganz schnell zu verschwinden.
In Cousins Crow’s optimierte ich die Stealth Eigenschaften meiner White Rabbit, dann verließ ich Orison und machte mich auf den Weg zum Pyro-Sprungpunkt. Es war ein gutes Gefühl, wieder in meiner Star Runner zu sitzen und ins Unbekannte aufzubrechen. Auf eine Reise, bei der ich nicht wusste, was mich erwarten würde.
Nachdem ich das Pyro-Gateway passiert hatte, näherte ich mich dem Sprungpunkt. Die Anomalie waberte geschlossen vor sich hin. Eine Lichterscheinung, die nicht nach einem Tor aussah. Je näher ich kam, desto imposanter wirkte sie. Als ich die letzten Warnschilder passierte, die darauf aufmerksam machten, dass man das sichere Gebiet des UEE verließ, aktivierte sich der Sprungantrieb der Star Runner. Er kalibrierte sich mit dem Wurmloch, meine Displays fingen an zu flackern. Die White Rabbit war im Einflussbereich der Anomalie, sie hatte sich ihr hingegeben und wartete auf die Aktivierung.

Ich drückte auf den Knopf. Eine Energiewelle schwappte über die Hülle der Star Runner und raste als gebündelter Strahl in die Anomalie.

Das Wurmloch erwachte. Wie ein Valakkar riss es sein gigantisches Maul auf. Dann verschluckte es mich mit einem Gebrüll, das nicht von dieser Welt war.

Ich tauchte ein in den Schlund, in die Eingeweide des Wurmlochs. Durch einen gewundenen Tunnel raste ich in eine unbekannte Welt. In Grenzgebiete die mir fremd waren.

Nach einer kurzen Pause gehen die Geschichten Mitte / Ende Februar weiter.