Log #229 – Skandal mit den ersten Siedlern

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Mit dem Wissenschaftler und dem Journalist ging ich auf eine gefährliche Expedition. Würden die Erkenntnisse reichen für die Veröffentlichung des Skandals?


Meine Vermutung hatte sich bestätigt. Das Zeichen mit den drei Kreisen. Ich fand es auch in einigen Schrott-Siedlungen auf dem Planeten Microtech. In Astor’s Clearing, Dunboro und sogar in der Siedlung meiner Freunde in den Moreland Hills. Und nicht nur das. Genau wie in den Schrott-Siedlungen auf dem Planeten Hurston, waren über dem Eingang der Siedlungen von Microtech Stahlseile gespannt, an denen Ringe hingen. 

Über die Bedeutung der Ringe und des Zeichens erfuhr ich nichts. Wie immer war Maria mit Informationen sehr zurückhaltend. Sie meinte, ich würde schon genug wissen und ich solle in der Gegenwart leben anstatt in der Vergangenheit zu wühlen. 

Gerade als ich es mir in den Moreland Hills gemütlich machen wollte, empfing ich ein Lebenszeichen von Alaska. Meine Erleichterung war groß. Ich hatte schon befürchtet, dass Alaska wegen seiner Recherchen zu den ursprünglichen Siedlern von Stanton in Schwierigkeiten geraten war und sich deshalb so lange nicht gemeldet hatte. Sofort vereinbarte ich ein Treffen mit Brubacker. Der Schreiberling war noch nicht überzeugt von der Sache. Er wollte mehr Beweise, bevor er den Skandal mit den ersten Siedlern von Stanton in seiner Zeitung veröffentlichte. Vielleicht konnte ihn der Wissenschaftler Alaska überzeugen.

*

Wegen der Brisanz der Geschichte trafen wir uns in einem geheimen Versteck. Es war ein muffiger Raum voller Kartons, Elektroschrott und Bierflaschen hinter Frachtcontainern auf dem Cargo Deck der Raumstation Baijini Point. Brubacker und Alaska tauschten sich über Fakten, Indizien und Vermutungen aus.

“Professor Hyperion will mit der Sache nicht an die Öffentlichkeit”, erklärte Alaska. “Er befürchtet negative Konsequenzen für die Scientific Union. Es ist zwar Common Sense, dass es Siedler in Stanton vor der offiziellen Entdeckung gab, allerdings wird darüber nicht offen gesprochen.”

“Und was ist mit Dir?”, fragte Brubacker. “Glaubst Du daran, dass die Siedler gewaltsam vom UEE vertrieben wurden? Willst Du der Sache nachgehen und das öffentlich machen?”

“Es sind zwar meist nur Indizien, aber meine Recherchen weisen eindeutig darauf hin. Wichtig ist nur, dass die Scientific Union in dem Zusammenhang nicht erwähnt wird.”

“Wir müssen uns noch einmal so eine alte Siedlung ansehen”, sagte Brubacker schließlich.

“Du weisst wie unser letzter Ausflug zu so einer Siedlung ausgegangen ist. Dein Raumanzug war von Kugeln durchlöchert”, erinnerte ich Brubacker.

“Du wirst schon für Sicherheit sorgen.”

“Ich habe keine Waffen dabei. Am besten gehen wir zur Siedlung auf dem Mond Wala. Als Alaska und  ich dort waren, waren keine Nine Tails in der Siedlung. Vielleicht haben wir Glück. Sonst wird das ein verdammt kurzer Ausflug.”

Während wir das Versteck verließen, fragte Alaska. “Was war das für ein Raum? Gehört der zur Gewerkschaft der Arbeiter auf dem Cargo Deck?”

Ich musste lachen. 

Nachdem Brubacker sich noch einen Helm gekauft hatte, brachen wir mit der Zeus von Alaska auf. Ich war ja froh, dass Brubacker diesmal einen eigenen Raumanzug dabei hatte, aber komplett ausgerüstet zu sein, das schien er nicht zu schaffen. Brubacker faselte irgendetwas davon, dass sein Helm geklaut worden sei. Vielleicht hatte der alte Chaot ihn aber auch nur verlegt. Doch diesmal hielt ich besser die Klappe. Ich hatte selber nichts dabei, außer die Klamotten, die ich trug. Ich war auf die Ausrüstung angewiesen, die Alaska in seiner Zeus hatte.

Nach einem kurzen Flug landeten wir direkt bei der verfallenen Siedlung. Wir hatten Glück, es war Tag. Allerdings hüllte das Licht den Mond nur in ein aschgraues, fahles Licht. Die Sicht war eingeschränkt. Auf der grauen Mondoberfläche standen verstreut verfallene Mauern und Ruinen alter Gebäude, an die Metallkonstruktionen angebaut waren. Dazwischen lagen verrostete Silos und Container. Die Siedlung schien ruhig und verlassen zu sein. Doch gerade als ich aus dem Copiloten-Sitz aufstand, sah ich einen Nine Tail.

“Verflucht, wir sind nicht alleine.”

“Im Schrank habe ich eine Pistole”, sagte Alaska.

“Die habe ich schon an mich genommen”, antwortete ich.

“Dann kannst Du die Nine Tails ja ausschalten”, forderte Brubacker mich auf.

“Ich bin kein Söldner. Für sowas habe ich sonst jemanden von TYR dabei. Vielleicht schaffen wir es, uns an denen vorbei zu schleichen. Wenn die uns bemerken, müssen wir uns zurückziehen.”

An der Luftschleuse der Zeus gingen wir in die Hocke. Mit einem Zischen öffnete sich das Schott. Staub und Sand prasselten gegen das Visier meines Helms. Instinktiv schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, bemerkte ich einen URSA Rover, der 50 Meter entfernt vor einigen alten Silos stand.

“Der Rover könnte hilfreich sein. Wenn wir den unbemerkt erreichen, haben wir eine Chance.”

Mit einem kurzen Satz sprang ich von der Luftschleuse runter und landete dumpf auf dem steinigen Boden. Geduckt rannte ich zu den Silos und ging dahinter in Deckung. Neben den Silos führte eine eingestürzte Mauer näher an den Rover heran. Auf allen vieren kroch ich hinter der Mauer entlang. Es waren nur noch 15 Meter bis zum Rover. Vorsichtig schaute ich über die Mauer und direkt auf einen Nine Tail. Er lief auf den Rover zu, hinter ihm waren zwei weitere. Schlagartig ließ ich mich auf den Boden fallen und hoffte, dass er mich nicht gesehen hatte. 

Zusammengekauert lag ich mehrere Sekunden zwischen Steinen auf dem Boden. Nichts passierte. Nur der graue Staub wurde vom Wind über die Mondoberfläche getrieben. Dann riskierte ich einen weiteren Blick. Die Nine Tails entfernten sich wieder vom Rover. Schnell sprang ich in wenigen Schritten zum Heck des Rovers und drückte auf den Knopf zum Öffnen der Heckrampe. Sie bewegte sich nicht. Erneut hämmerte meine Hand auf den Knopf. Dann fuhr die Klappe quietschend herunter. Als ich in den Rover stieg, hörte ich Alaska im Funk.

“Lass die Rampe unten. Ich komme.”

Ohne weiter auf die offene Heckrampe zu achten, stieg ich im Cockpit auf den Fahrersitz. Ich hörte noch, wie sich die Rampe quietschend schloss, war aber darauf konzentriert, das Fahrzeug kurz zu schließen. Dann stieg jemand neben mir auf den Beifahrersitz. Es war Alaska. Kaum saß er, fingen die Laser Repeater auf dem Dach des Rovers an zu donnern.

“Habe zwei erwischt. Setze ein Stück zurück. Dann habe ich einen besseren Blick.”

Nachdem der Rover einige Meter rückwärts fuhr, fingen die Geschütze wieder an zu donnern. Ein weiterer Nine Tail verschwand in einer grauen Wolke aus Staub und Funken.

“Bei Euch alles ok?”, fragte Brubacker über Funk.

“Der Archäologe macht archäologische Ausgrabungen”, antwortete ich. ”Er gräbt den ganzen Boden um.”

Fast etwas peinlich berührt, sagte Alaska. “Ich bin von mir selber überrascht.” 

Nachdem wir einmal durch die ganze Siedlung gefahren waren und alles gesichert war, stieß Brubacker zu uns. Er schaute mich seltsam an.

“Was ist?!”, fragte ich in einem genervten Ton.

“Zero, ehrlich, das passt überhaupt nicht zu dir, so brutal zu sein. Bei der letzten Siedlung hast du einen Piraten sogar frontal überfahren.”

“Das sind Nine Tails!”

“Das sind auch Menschen!”

“Aber Menschen, die meine Freunde niedergeschossen haben. Soll ich das nächste Mal mit dem Nine Tail über deinem niedergeschossenen Körper mit einem Whiskey anstoßen?”

Brubacker sagte nichts mehr. Gemeinsam fingen wir an, die Siedlung zu durchsuchen. Wie die anderen bestand sie aus Ruinen alter Betongebäuden, an denen nachträglich mit Brettern und Stahl rostige Konstruktionen angebaut wurden. Schließlich fand Brubacker einen runden Schacht, in dem technisches Gerät lag. Eine alte, zerstörte Geothermieanlage. Eine Weile schaute er sich um und sagte dann.

“Verflucht, das sieht echt nach einer klassischen Bombardierung aus.”

Brubacker hatte recht. Überall lag Gestein herum, das geschmolzen und dann wieder erstarrt war. Große und kleine rabenschwarze Felsbrocken, die einer großen Hitze ausgesetzt waren.

“Da hast Du den Beweis”, sagte ich.

“Passt alles genau zu meiner Theorie”, ergänzte Alaska.

Plötzlich sprang Brubacker in den Schacht und kroch in irgendwelche Löcher. Alaska und ich standen am Rand und schauten fassungslos zu.

“Äh Bru. Ich habe keinen Medivac Rover dabei.”

Brubacker ließ sich nicht beirren und kroch weiter in dem Loch herum. Als er wieder herauskam, sagte er.

“Lasst uns noch einmal die Siedlung selbst ansehen.”

Wir stapften durch die alten verfallenen Mauern, fanden Kisten mit Diebesgut und Verpflegung. Auch das Zeichen mit den drei Kreisen fanden wir wieder. Die Farbe war blass und tief in den Stahlbeton eingedrungen. Sie war so alt wie die Mauer selbst. Ein klarer Beweis, dass das Zeichen nicht nachträglich aufgemalt wurde, sondern aus der Zeit der ersten Siedler stammte. Dann fanden wir erneut Artefakte und eine Medaille des sechsten Platoons. Schließlich sagte Brubacker.

“Wir können jetzt noch lange rumsuchen. Aber ich denke, klüger werden wir nicht mehr und haben auch alles, was wir brauchen.”

“Heißt, Du wirst einen Artikel über den Skandal mit den ersten Siedlern von Stanton veröffentlichen?”, fragte ich Brubacker.

“Es ist viel Spekulation, aber ein wenig Risiko bleibt immer. Und mein journalistischer Riecher hat mich selten getrügt. Es wird ein durch Indizien getragener Artikel, aber ja, ich werde ihn veröffentlichen.”

Zurück an Bord schauten sich Bru und Alaska das Artefakt noch einmal genauer an. Mir ging das Zeichen mit den drei Kreisen nicht aus dem Kopf. Alt und verwaschen in den Ruinen der ersten Siedler und frisch aufgetragen in den Schrott-Siedlungen. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass die Bewohner der Schrott-Siedlungen die Nachfahren der ersten Siedler waren.

*

Einige Tage später veröffentlichte Brubacker den Zeitungsartikel über die skandalöse, gewaltsame Vertreibung der ersten Siedler von Stanton. Siedler, die in Freiheit und unabhängig vom UEE leben wollten, dem Machtstreben des UEE aber im Weg standen. Die Katze war aus dem Sack. Was nun passieren würde, war unklar. Wahrscheinlich nichts. Aber das spielte für mich keine Rolle. Es war nicht an mir zu richten. Für mich war es wichtig, nicht wegzuschauen, nicht zu schweigen und solche Ungerechtigkeiten öffentlich zu machen, damit sich jeder sein eigenes Urteil bilden konnte. NEVER SILENT! 

Die Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/jahr-2954#S24