Meine Bemühungen, den Skandal mit den ersten Siedlern bekannt zu machen, waren schwierig und fast tödlich.
Brubacker, Friedrich Winters und ich standen im Aufenthaltsraum meiner ‘White Rabbit’ um den Schachtisch herum. Darauf lagen immer noch die Artefakte, die ich gefunden hatte. Aufgeregt erzählte ich von den Erkenntnissen von Alaska und mir über die ersten Siedler von Stanton. Über die verfallenen Siedlungen, die gewaltsame Vertreibung der ersten Siedler durch das UEE und die damit unrechtmäßige Veräußerung der Planeten Stantons an die Megakonzerne. Ich wollte, dass Brubacker die Story über seine Redaktion veröffentlichte. Eine hitzige Debatte entbrannte. Bru warf mir vor, ein verblendeter Aktivist zu sein, der sich seine Welt so hin drehte, wie es ihm ins Bild passte. Er dagegen sei ein neutraler Journalist.
“Ich kann nicht einfach wegen ein paar Steinen dem UEE vorwerfen, es sei gewaltsam gegen Siedler vorgegangen und der Verkauf der Planeten sei illegal. Wir brauchen mehr Beweise, um etwas zu veröffentlichen”, empörte sich Brubacker.
“Leute, ihr seht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr”, rief ich laut. “Das ist kein Einzelfall. Der Angriff des Empire auf mein Volk auf dem Planeten Ashana, das gewaltsame Vorgehen gegen die Siedler von Stanton, der Flysaa Vorfall. Das hat Methode. Und wir reden nicht mehr über das Messer-Regime. Das ist das glorifizierte UEE. Es ist nicht so makellos, wie behauptet wird.”
“Das UEE ist notwendig”, entgegnete Brubacker. “Es braucht einen Ordnungsrahmen, sonst herrscht Anarchie.”
“Die People’s Alliance im Nyx System haben auch Recht und Ordnung. Und das ganz ohne UEE”, hielt ich dagegen.
Ein angespanntes Schweigen legte sich wie eine Nebelschwade über uns. Nur die Lüftung brummte im Hintergrund. Schließlich durchbrach Friedrich die Sille.
“Könnt Ihr euch noch an Yao Kirov erinnern, den Gründer der Biker von Hurston? Der wollte doch eine Gedenkfahrt und Mahnwache für die ursprünglichen Siedler machen und wurde dann von Hurston Security unter fadenscheinigen Gründen verhaftet … vielleicht, weil man nicht wollte, dass das Thema wieder an die große Glocke gehängt wird.”
“Seht Ihr. Passt ins Bild”, rief ich.
Wieder brach Stille aus. Auf der Stirn von Brubacker waren nachdenkliche Falten zu sehen. Schweigsam schaute er in sein Mobiglas und überprüfte irgendetwas. Schließlich sagte er nachdenklich.
“Okay, alles gut und schön. Aber wir brauchen trotzdem handfeste Beweise. Es muss halbwegs wasserdicht sein, bevor wir solche schwerwiegenden Anklagen erheben. Lasst uns doch mal zu so einer alten Siedlung fliegen.”
“Das können wir machen. Aber seid gewarnt. Nine Tails nutzen die alten Siedlungen als Unterschlupf. Die werden uns nicht mit offenen Armen empfangen.”
Trotz meiner Warnung beschlossen wir, eine Siedlung aufzusuchen und flogen zum Crusader Mond Daymar. Nach der Landung stand Brubacker etwas ratlos in meinem Frachtraum.
“Hast Du einen Raumanzug für mich? Ich habe nur diese Klamotten hier dabei.”
Etwas genervt antwortete ich. “Wie immer super vorbereitet, der Herr Reporter.”
Aus der Kiste mit den Sachen, die ich irgendwo gefunden hatte, kramte ich einen Raumanzug und einen Helm. Brubacker schaute mich alles andere als begeistert an, zog sich dann aber doch um. Plötzlich stöhnte er.
“Zero, hier stimmt was nicht.”
Dann fiel er bewusstlos um. Noch im Fallen kotze er in den Helm und auf den Anzug. Etwas angeekelt von der Sauerei, hievten Friedrich und ich ihn auf das Medi-Bett des Rovers. Als Brubacker wieder wach war, schien er doch etwas peinlich berührt zu sein. Ich dachte mir nur meinen Teil über den Schreiberling. Brubacker nahm sich einen weiteren Anzug und Helm aus meiner Kiste. Ausgerechnet den Kitty Katzen Helm. Einen anderen gab es nicht mehr. Brubacker sah zum Schreien aus. Die dummen Sprüche folgten auf den Fuß.
Schließlich fuhren wir mit dem Medivac Rover auf eine Anhöhe in der Nähe der Siedlung, die unten im Tal lag. Wir lagen auf dem Bauch im Sand und beobachteten von oben, wie Nine Tails zwischen den alten verfallenen Mauern patrouillierten. Es dauerte nicht lange, dann war von Brubacker wieder ein jämmerliches Stöhnen zu hören. Und wieder wurde er ohnmächtig. Mühsam zerrten wir seinen schlaffen Körper durch den weichen Sand. Als wir ihn endlich im Rover hatten, meinte Friedrich.
“Die Möglichkeiten des Rovers sind zu eingeschränkt. Wir bringen ihn auf die Krankenstation der 890.”
Eine Wolke aus Sand hinter uns her ziehend, donnerten wir im Rover so schnell es ging zurück zum Landeplatz. Der Frachtaufzug brachte uns mitsamt Rover in den sicheren Bauch der ‘Nordlicht Eins’, der großen Origin 890 Jump Luxusyacht von Friedrich Winters. Hier konnte Brubacker ordentlich behandelt werden.
Es war bereits dunkel, als Brubacker endlich auf der Krankenstation versorgt und mit einem nagelneuen Raumanzug ausgestattet war. Wieder machten wir uns mit dem Rover auf den Weg zur Siedlung.
“Da kannst Du mal sehen, was du von toten Körpern abziehst. Ich würde das alles wegwerfen”, fuhr Brubacker mich an.
Unbeeindruckt von dem Kommentar sagte ich. “Wir fahren direkt zur Siedlung. Dann können wir uns den langen Weg den sandigen Hang hinunter sparen. Vermutlich wissen die Nine Tails eh schon, dass wir in der Nähe sind.”
“Zumindest werden sie das Licht der Scheinwerfer sehen. Aber lasst uns trotzdem versuchen, ohne Waffengewalt an zu schleichen”, mahnte Friedrich.
Etwas außerhalb der Siedlung hielt ich den Rover an. Im Schutz einiger Felsen schlichen wir leise durch den Sand. Unsere Fußspuren wurden sofort von einem starken Wind verweht. Nach einem kurzen Marsch saß jeder von uns zehn Meter vor den ersten Mauern hinter einem anderen Felsen. Ein Nine Tail stand genau zwischen uns und einem Turm. Die anderen standen gut 100 Meter entfernt bei einigen Containern. Die Siedlung war nur schwach von einigen Scheinwerfern beleuchtet. Die Dunkelheit spielte uns in die Hände. Als der Nine Tail in die andere Richtung schaute, verließ ich meine Deckung, glitt leise durch die Nacht und überwältigte ihn lautlos.
Für einen Moment stand ich schwer atmend über dem bewusstlosen Körper, als plötzlich Friedrich neben mir stand.
“Hältst einen kleinen Plausch?”
So gespenstig leise wie Friedrich neben mir auftauchte, verschwand er wieder in der Dunkelheit. Hinter dem alten Kerl steckte mehr als nur der CEO von Nordlicht Aviation.
Ich schaute noch in die Richtung, in die Friedrich verschwunden war, als plötzlich Schüsse durch die Nacht peitschten. Eine Kugel traf mich in den Arm und schleuderte mich nach hinten. Geduckt und fast auf allen Vieren rettete ich mich im Kugelhagel hinter einen Felsen.
Wild taumelnd stolperte Brubacker auf mich zu und ging hinter demselben Felsen in Deckung. Etwas panisch sah ich ihn an, während ich meine Wunde mit der Medgun versorgte. Gerade als ich Brubackers Wunden versorgen wollte, wurde sein Raumanzug von mehreren Kugeln durchlöchert. Er sackte zusammen und lag reglos im Sand. Da hörte ich Friedrich über Funk.
“Die haben mich festgenagelt. In dem Kugelhagel kann ich Euch nicht helfen.”
Meine Panik verwandelte sich plötzlich in Wut. Ein brennender Hass durchdrang meine Brust. Hass auf diejenigen, die meine Freunde niedergeschossen hatten. Mein logischer Verstand schaltete ab und wich animalischem Überlebensinstinkt. Wie ferngesteuert rannte ich zum Rover, kletterte auf den Fahrersitz und raste in blinder Wut direkt auf die Nine Tails zu. Über den ersten donnerte ich einfach hinweg. Dann aktivierte ich den Geschützturm und feuerte eine wütende Salve roter Laserblitze auf den zweiten.
Die Stimme von Friedrich holte mich aus meinem Rausch.
“50 Meter hinter dem Felsen, bei dem Bru liegt, ist noch einer. Siehst Du seine Helmlampe?”
Ich sah sie. Ein kleiner weißer Punkt in der Dunkelheit. Die roten Blitze des Bulldog Repeaters auf dem Rover erreichten den weißen Punkt. Dann erlosch das Licht.
In der Zwischenzeit hatte Friedrich Brubacker behandelt. Er war wieder auf den Beinen. Gemeinsam streiften wir durch die verfallene Siedlung und schauten uns im Licht des aufgehenden Gasriesen Crusader alles an. An einer Wand fand ich wieder das verblichene Zeichen mit den drei Kreisen, die in einem Dreieck angeordnet waren. Genau wie in der verfallenen Siedlung bei Lorville und in den Schrott-Siedlungen auf dem Planeten Hurston.
“Die Mauern aus Stahlbeton scheinen wirklich sehr alt zu sein. Die Metallgerüste hat vermutlich später jemand dazu gebaut”, analysierte Friedrich.
Brubacker brabbelte leise vor sich hin.
“Vielleicht ist wirklich was dran an der Sache. Wir müssen aber mehr Beweise finden. Und selbst wenn, was würde das ändern? Das UEE würde kaum ‘mea culpa’ sagen und den Verkauf der Planeten rückgängig machen.”
“Darum geht es mir auch nicht”, sagte ich nachdenklich. “Mir geht es nur darum, dass solche Vorfälle nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern dass die Öffentlichkeit das erfährt. Dann kann sich jeder selbst ein Bild machen und seine eigenen Rückschlüsse ziehen.”
“Lasst uns zurückfahren”, antwortete Brubacker. “Ich muss das alles erstmal sacken lassen. Und außerdem geht’s mir immer noch beschissen. Ich würde gern mal das nächstbeste Krankenhaus aufsuchen.”
Nachdem ich Brubacker auf der Seraphim Station abgesetzt hatte, flog ich weiter zum Planeten Microtech. Ich wollte dort noch etwas wegen dem Zeichen mit den Kreisen nachschauen.
Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/jahr-2954#S22