Log #221 – Ein neuer Kunde

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Der Kontakt mit einem neuen Kunden war nicht ohne Risiko. Erfolg und Misserfolg standen auf Messers Schneide.


ArcCorp, ein Planet, der vollständig von einer Stadt bedeckt war. Es gab kein Grün, nur Stahl und Beton. Das Epizentrum dieser Monstrosität war Area18. Die Wolkenkratzer ragten so hoch in den wolkenverhangenen Himmel, dass nur wenig Tageslicht die engen Gassen erreichte. Überall leuchteten Reklametafeln und Hologramme. Es war schrill und laut. Die monumentale kugelförmige Installation in der Mitte der ArcCorp Plaza spendete mehr Licht als der Stanton-Stern. Langsam ging ich über den zentralen Platz von Area18 und schaute immer wieder über meine Schulter.

Ich war hier, um jemanden zu treffen, den ich nicht kannte, von dem ich nicht einschätzen konnte, ob er gefährlich war. Und ich war hier, um diese Person jemandem vorzustellen, der im Gegenzug einen gefährlichen Gefallen einfordern würde. Und als ob das noch nicht genug wäre, schwebte über allem ein dunkler Schatten: Ray Keaton.

Alles begann vor ein paar Wochen mit einer Anzeige auf dem CommRelay-Marktplatz, die ein gewisser Xine aufgegeben hatte. Er suchte jemanden, der ihm einen unregistrierten Stealth-Quantum-Antrieb liefern konnte, ohne Fragen zu stellen. Er bot einen sehr guten Preis. Ich antwortete auf seine Anzeige, aber dann kam Ray Keaton ins Spiel. Er warnte davor, mit mir Geschäfte zu machen. Ray Keaton, dieser rachsüchtige Kerl, der meine Freunde zusammengeschlagen hatte und auch mir an den Kragen wollte. 

Die Sache wurde mir zu heiß und eine persönliche Übergabe erschien mir zu gefährlich. Ich einigte mich mit Xine darauf, den Quantum-Antrieb über einen Mittelsmann zu übergeben. Ich heuerte Dethilion von der PMC TYR an. Dethilion war genau der Richtige für den Fall, dass Ray sich einmischen würde. Er wartete nur auf eine Gelegenheit, sich Ray vorzuknöpfen. Aber das Geschäft lief ohne Zwischenfälle und ich war bereit für einen weiteren Deal mit Xine. 

Dazu musste ich ihn persönlich in Area18 treffen. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, was für ein Typ Xine war. Wer einen unregistrierten Stealth-Antrieb brauchte, hatte etwas zu verbergen. Aber war er auch gefährlich?  Und würde er Ray im Schlepptau haben? Langsam zweifelte ich daran, ob es eine gute Idee war, ohne Rückendeckung hierher zu kommen.

Inzwischen hatte ich die ArcCorp Plaza hinter mir gelassen und die G-Loc Bar erreicht. Sie war gut besucht. Ein Stimmengewirr lag in der Luft. Ich schob mich zwischen die dicht gedrängten Gäste am Tresen und bestellte ein Bier. Damit setzte ich mich ganz hinten in eine Ecke. Von meinem Platz aus hatte ich den Eingang der Bar im Blick und durch das Fenster sah ich die Haltestelle des City Flight.  Falls Ray Keaton auftauchen sollte oder sonst jemand, der mir bedrohlich vorkam, konnte ich rechtzeitig das Weite suchen.

Schließlich kam Xine in die Bar und setzte sich mir gegenüber an den Tisch. Ein bärtiger Typ mit roten Haaren, die an den Seiten kurz rasiert waren. Sein Gesicht war kantig, es wirkte fast militärisch. Über seinem Shirt trug er eine Weste, ich vermutete, sie war kugelsicher. Nach einem kurzen Smalltalk kamen wir schnell zum Geschäft.

“Du suchst also eine Wohnung in Area18. Und über offizielle Kanäle willst Du das nicht machen”, fasste ich knapp sein Anliegen zusammen.

“Und Du kennst jemanden, der mir dabei helfen kann?”, fragte er knapp.

“Ja genau. Allerdings wird die Dame dafür einen Gefallen einfordern. Halte Dich im Hintergrund und überlasse mir das Reden.”

“OK. Dann lass uns hören, was die Dame verlangt”, antwortete Xine.

Wir verließen die Bar und gingen durch dunkle Gassen zu einer alten Bekannten von mir, zur Herrin der Unterwelt von ArcCorp. Tecia „Twitch“ Pacheco. 

Twitch war bereit zu helfen, allerdings wollte sie, dass wir dafür ein Paket holten, dass ihr abhandengekommen war. Und zu meiner Überraschung erzählte sie, dass Xine schonmal bei ihr gewesen sei. Auf dem Weg zum Spaceport sprach ich Xine darauf an. Aber er hielt sich bedeckt und verriet nicht, warum er bei Twitch war. Was hatte der Typ zu verbergen? Welche Mission hatte er? 

Mit Xines Raumschiff, einer Drake Cutlass Black namens Limping Owl, machten wir uns auf den Weg. Ich schwelgte in Erinnerungen und erzählte, dass ich auch eine Cutlass Black hatte. Wir kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass Xine aus Levski stammte. Dem unabhängigen Ort im Nyx-System, in dem auch ich einmal gelebt hatte und den ich sehr vermisste. Und genau wie ich, war Xine der Meinung, dass Recht und Unrecht eine Frage der Perspektive sei. Es käme immer darauf an, wer die Gesetze machte. Der Typ fing an, mir sympathisch zu werden.

Nach einem kurzen Flug erreichten wir den Mond Wala. Im hellen Grau der Mondoberfläche war das Wrack der Starfarer kaum zu erkennen. Erst als sich das Sonnenlicht auf der silbernen Hülle spiegelte, wurden wir darauf aufmerksam. Ausgerechnet in einer verwinkelten Starfarer befand sich das Paket von Twitch. Ein idealer Ort für einen Hinterhalt. Ray Keaton, Nine Tails, alle möglichen Gefahren konnten dort lauern. Meine Nervosität stieg.

“Hast Du ein Problem damit, wenn geschossen wird?”, fragte Xine, als wir die letzten Meter zu Fuß zum Wrack gingen.

“Nicht wenn ich hinten in der zweiten Reihe stehe.”

“OK. Dann gehe ich voraus.”

Xine zog seine Waffe und kletterte über den abgebrochenen Ausleger auf die obere Ebene des Laderaums. Ich folgte in einigen Metern Abstand, meinen Revolver im Anschlag. Es fühlte sich deutlich besser an hinten zu sein. Nicht jemanden im Rücken zu haben, den ich immer noch nicht einschätzen konnte. Wir gingen durch das offene Schot in das Innere des Wracks. Dunkelheit verschluckte uns. Mein Puls fing an zu rasen.

“Warst Du schonmal in einer Starfarer und hast eine Idee, wo wir suchen sollen?”, fragte Xine.

Ich wollte gerade antworten und vorausgehen, als ich plötzlich zurück zuckte. War das ein Versuch mich nach vorne zu locken, um mir dann in den Rücken fallen zu können? Zögerlich antwortete ich.

“Ja war ich. Ich denke das Quartier des Kapitäns ist ein guter Start für die Suche.”

“Willst Du vorausgehen, oder lieber hinten bleiben und mir sagen, wo es lang geht?”, fragte Xine in einem absolut ruhigen Ton.

“Ich lasse Dir gerne den Vortritt. Da vorne links und dann die Treppe hoch.”

Xine ging voraus. Vorsichtig schlichen wir die dunklen Stufen zum Oberdeck hinauf. Es war totenstill. Kein Knarzen, nicht mal unsere Schritte waren zu hören. Am Ende der Treppe drehte er sich um und sagte:

“Es wäre mir Recht, wenn Du mit Deiner Waffe nicht direkt in meine Richtung ziehlst.”

Etwas verlegen richtete ich die Mündung meines Coda Revolvers in eine andere Richtung. Mich beschlich das Gefühl, dass meine Angst vor einem Hinterhalt unbegründet war, dass Xine wirklich nur ein Geschäft abwickeln wollte. 

Nachdem wir über einige Hindernisse geklettert waren, erreichten wir das Quartier des Kapitäns. Es hatte keine Fenster. Das einzige Licht kam von unseren Helmlampen. Im kreisrunden Lichtkegel untersuchte ich den Schreibtisch mit dem eingelassenen Terminal. Ich drückte Knöpfe, strich über das Display, aber nichts tat sich. Die Anzeige war tot. Ohne Energie gab es keine Möglichkeit, an die Informationen in den digitalen Eingeweihten zu kommen. Wir tappten buchstäblich im Dunkeln. Dann fiel mir in einer Ecke ein kleines blinkendes Licht auf.

“Ein Datentresor mit einer autarken Energieversorgung. Mal schauen, ob ich mich rein hacken kann.”

“Dann zeig Mal was Du drauf hast”, antwortete Xine.

Kniend machte ich mich im Dunkeln an dem Kasten zu schaffen. Es dauerte nur eine Minute, dann sagte ich triumphierend:

“Bin drin. Da sind Informationen über einen kleinen Gasbehälter von Twitch. Er hat einen Peilsender. Ich aktiviere ihn.”

“Ich sehe das Signal”, antwortete Xine. “Eine Ebene unter uns.”

Kaum hatten wir die untere Ebene erreicht sagte Xine:

“Das Signal ist weg. Siehst Du es noch?”

“Nein, ich sehe es auch nicht mehr. Zuletzt kam es aus der Ecke da vorne. Da steht ein Gasbehälter. Den nehmen wir einfach mit. Zur Sicherheit nehmen wir auch die anderen Gasbehälter mit, die ich gesehen habe. Einer davon wird schon der richtige sein. Die anderen können wir zu Geld machen.”

Mit drei blauen Gasbehältern kehrten wir zur Limping Owl zurück und flogen zum Schrottplatz auf Wala. Dort sollten wir die Fracht von Twitch abliefern. Ein mulmiges Gefühl kehrte kurz zurück. Die Schrottplätze waren ein Hotspot für Schmuggler und Piraten. Regelmäßig gab es Kämpfe. Aber irgendwie fühlte ich mich in Xines Gesellschaft sicher. Das mulmige Gefühl verschwand. 

Nachdem wir die Gasbehälter im Hauptgebäude deponiert hatten, entdeckte ich zwischen den Schrottbergen einen großen, verlassenen Frachtcontainer. Darin befand sich SLAM, eine sehr teure Droge. Ohne lange zu überlegen, bugsierte ich den Frachtcontainer mit dem Traktorstrahl durch die seitliche Schiebetür in Xines Cutlass. Es war Millimeterarbeit. Der Container passte gerade so durch die Öffnung. 

“Moment Mal”, protestierte Xine. “Bringst Du gerade Drogen in mein Raumschiff?”

“Das sind nicht einfach nur Drogen”, antwortete ich. “Das ist ein Wertgegenstand, den Du für sehr viel Geld verkaufen kannst.”

Die Skepsis von Xine verflog, als er am Verkaufsterminal des Schrottplatzes sah, wie viel Geld er dafür bekam.

Auf dem Rückflug nach ArcCorp sprachen wir über ENOS. Xine hatte davon gehört, glaubte aber nicht, dass an der Geschichte mit den Bio-Bots etwas dran sei. Ich versuchte ihn zu überzeugen, aber eigentlich war es mir egal. ENOS war für mich abgeschlossen. Dann erzählte mir Xine, dass er eine Agentur habe, die heikle Aufträge ohne großes Aufsehen erledige. Er suchte Leute, die für ihn arbeiten wollten, und bot mir an, Teil seines Netzwerks zu werden. Mir war nicht ganz klar, um was für eine Art von Agentur es sich handelte und um welche Art von Aufträgen. Xine erklärte es mir anhand eines Beispiels.

“Wenn zum Beispiel der CEO eines Unternehmens wissen will, was ihm seine Ehefrau verheimlicht und nicht möchte, dass die Sache an die Öffentlichkeit gerät, dann kümmert sich meine Agentur darum. Wenn nötig nutze ich frei Schaffende Ressourcen.”

“Verstehe”, antwortete ich. “Also als Freelancer kann ich gerne Aufträge übernehmen. Unter dem Radar zu bleiben ist meine Spezialität. Vor allem kann ich Informationen beschaffen, Hacking eingeschlossen. Kampfaufträge mache ich nicht.”

“Sehr gut. Freut mich, dass wir da zueinander finden können. Agenten halte ich inoffiziell.  Wenn ich einen passenden Auftrag habe, melde ich mich bei Dir. Und ich überweise Dir noch einen Teil des Geldes von den Drogen.”

Nachdem wir in Area18 gelandet waren, verabschiedete ich mich von Xine. Ich hatte einen neuen Kunden. Aber einen, den ich noch nicht richtig einschätzen konnte. Er kam aus Levski, war also in Freiheit geboren, ohne das Diktat der UEE. Andererseits war er froh, aus Levski raus zu sein, und fand, dass dieses schrille Morloch Area18 das Leben war. War Xine ein Schnösel aus der feinen Gesellschaft? Jemand der den Mächtigen half heimlich Probleme und Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu räumen? Warum heuerte er dann Leute wie mich an? Andererseits war auch Cäcilia Abendroth aus der feinen Gesellschaft und umgab sich mit Leuten wie Ray und Valentin. War die feine Gesellschaft gar nicht so fein? Das passte zu Stanton, nur Abschaum und Machtgier. Alles auf Kosten der freien Völker.

Am nächsten Tag bekam ich eine interessante Nachricht.

//Weitergeleitete Nachricht von Area18 Apartments an User:Xine
//Nachricht entschlüsselt
Sehr geehrter Kunde,
vielen Dank, dass Sie unser Apartment in Area18 besucht haben. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten während Ihres Besuchs. 
Für die entstandenden Kosten und Aufwände, erstatten wir Ihnen einen entsprechenden Betrag und drücken damit unsere Wertschätzung für Sie als Gast unseres Hauses aus.
Bitte bewerten Sie uns positiv und empfehlen uns weiter.
Ihr Area18 Kundenservice

Es sah so aus, als ob Xine die Wohnung bekommen hatte.