Log #199 – Hacking-Software

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Der gefährliche Versuch, eine Hacking-Software zu entwickeln, eröffnete Einblicke in bisher unbekannte Verhaltensweisen. Freundschaften wurden auf die Probe gestellt.


Nach dem gescheiterten Versuch von Chris Kross und mir an einen Rechner der Konstruktionsabteilung von Crusader Industries zu kommen, hatten Husky und Hermieoth einen Plan ausgearbeitet. Die Einsatzbesprechung fand an Bord der Carrack von Husky statt. Brubacker, Husky, Hermieoth und ich standen in der Messe, draußen vor dem Fenster zogen die Asteroiden des Mondes Yela vorbei. Husky erläuterte den Plan. Er redete von einer Sperrzone, dem Unterdrücken von Lebenszeichen, Flugabwehrgeschützen und keine Ahnung von was noch allem.

Nachdem Husky fertig war, schaute ich in die Runde und sagte stoisch: “Ich hab kein Wort verstanden, aber genau so machen wir es.”

Ich konnte nur hoffen, dass der Plan funktionierte. Ich brauchte diesen Rechner, um die Software für den Hacking-Chip entwickeln zu können, den Chris bestellt hatte. Den Chip, mit dem auch ich meine Einträge bei Hurston Dynamics löschen konnte. Mein Ticket in ein freies Leben.

Nur einen kurzen Quantum-Sprung später tauchten wir ein in die Wolken des Gasriesen Crusader. Tief unter uns lag im Halbdunkeln die Wolkenstadt Orison. Wir ließen die Stadt hinter uns und flogen weiter in Richtung Sonnenaufgang. Langsam schob sich Stantons Stern über den Horizont. Immer mehr durchfluteten seine Strahlen die Wolken und verwandelten die dunkle Wolkenmasse in ein helles strahlendes Rosa. In einem tranceartigen Zustand saß ich auf dem Copiloten Sitz und ließ mich von dem Anblick hypnotisieren. Huskys Stimme holte mich zurück in die Gegenwart.

“Es ist soweit. Wir sind gleich an der Grenze zur Sperrzone. Ihr müsst Euch jetzt die Spritze geben, um Eure Lebenszeichen zu unterdrücken. Und keine Panik wegen der Wirkung. Es kann nichts passieren.”

Ich wünschte, Ella würde uns mit ihrer professionellen Hand die Spritze geben. Doch sie war nicht da und so haute sich einer nach dem anderen selbst die Nadel in den Arm. Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. Plötzlich sah ich nur noch rosa Wolken um mich herum. Ich hatte das Gefühl, in eine bodenlose Unendlichkeit zu fallen. Ein Sturz, der nicht enden wollte, bis ich Huskys Stimme hörte. Ich öffnete die Augen und fand mich wieder auf dem Bett der Krankenstation. Husky stand neben mir. 

“Alles gut Zero. Wir haben es geschafft. Wir sind drin in der Sperrzone und auf dem Weg zur Plattform, auf der sich die Konstruktionsabteilung befindet. Jetzt kommt der schwierige Teil.”

Husky war lustig. Ich hatte es bisher noch nicht einmal geschafft, auch nur in die Nähe der Plattform zu kommen. Und jetzt sollte erst der schwierige Teil kommen? Ich hatte keine Ahnung, was uns erwartete. Besorgt blickte ich auf die Railguns, die wir auf Anweisung von Hermieoth mitgenommen hatten.

Viel Zeit zum Nachdenken hatte ich allerdings nicht. Hermieoth beorderte uns in den Fahrzeughangar. An der geschlossenen Rampe gingen wir in Position. Hermieoth stand rechts, ich links, Brubacker in der Mitte. Hermieoth nahm seine Waffe in Anschlag. Ich fragte mich noch warum. Dann öffnete sich die Rampe. 

Das gleißende Licht von Stantons Stern durchflutete den Hangar. Ich war geblendet und konnte zunächst nichts sehen. Nur die laute Stimme von Hermieoth war zu hören.

“Los! Los! Los! Raus aus dem Schiff. Beeilt Euch und geht in Deckung.”

Wie ferngesteuert rannte ich los. Die Carrack schwebte über der Plattform und spuckte mich direkt auf einem Landepad aus. Brubacker stolperte neben mir die Rampe hinunter. Hermieoth kniete bereits am Ende des Landepads hinter einer Brüstung. Kaum hatten wir das Schiff verlassen, steuerte Husky es von der Plattform weg. Schwer atmend erreichten Brubacker und ich Hermieoth. Er gab kurze Anweisungen.

“Wir rücken jetzt vor. Ich gehe voraus, Brubacker nehmen wir in die Mitte. Zero Du bist letzter Mann. Haltet die Augen offen. Wir wissen nicht, ob noch Nine Tails auf der Plattform sind.”

Die Nine Tails hatten vor einiger Zeit die Plattformen besetzt. Es gab damals schwere Gefechte. Ich dachte allerdings, die Sache wäre vorbei. Wusste Hermieoth etwas, das ich nicht wusste? 

Mit einigem Abstand zueinander gingen wir im Entenmarsch einen Weg entlang. Es war traumhaft schön auf der Plattform. Hier und da strahlten Hochhäuser in weiß und glizerndem  Glas. Wir passierten angelegte Teiche und perfekt gepflegte Rasenflächen. Bäume säumten den Weg, von denen rosa Blätter sanft herabregneten. Vor uns strahlte Stantons Stern zwischen den Bäumen hindurch und tauchte alles in ein warmes, angenehmes Licht. Man konnte sich nicht vorstellen, dass dies noch vor kurzem ein Kriegsgebiet gewesen war. Bis wir um eine Hausecke bogen.

Das Bild änderte sich schlagartig. Umgestürzte Fahrzeuge, Barrikaden, verkohlte Überreste und die toten Körper von Sicherheitskräften und Angestellten von Crusader Industries. Eine perfekte Gelegenheit, um an Dinge zu kommen, die es nicht zu kaufen gab. Die Klamotten der Toten konnten irgendwann von Nutzen sein. Im Handumdrehen hatte ich die Körper entkleidet und die Sachen in meinem Rucksack verstaut. Hermieoth war außer sich.

“Geht’s noch? Das ist Leichenfledderei!”

Nur kurz schaute ich auf.

“Das sind nur noch tote Körper. Leere Hüllen, die keiner mehr braucht. Die hatten alle einen Imprint und sind irgendwo in einem neuen Körper aufgewacht. Ich komme aus der Wüste. Dort lässt man nichts verrotten. Es wäre respektlos, nützliche Dinge nicht einer neuen Bestimmung zukommen zu lassen.”

Hermieoth drehte sich kopfschüttelnd um und ging schweigend weiter. Brubacker ging in eine andere Richtung, um sich ein paar Sachen näher anzuschauen. Es dauerte nicht lange bis Hermieoth das bemerkte.

“Bru, bleib hinter mir. Wir wissen nicht, wer noch hier ist. Und Zero, halte Bru in unserer Mitte.”

Wir marschierten weiter über die menschenleere Plattform. Es war ein krasser Gegensatz. Auf der einen Seite grenzenloser Luxus mit Restaurants, Ausstellungsräumen, Entspannungsecken und Bars. Auf der anderen Seite Zerstörung und Tod.

Während Hermieoth und Husky über Funk diskutierten, in welchem der Hochhäuser die Büros sein könnten, schauten sich Brubacker und ich einen Bereich mit einer Bar näher an. Gerade als ich ein FS-9 Gewehr aus einer Waffenkiste nahm, hörte ich Hermieoth in einem strengen Befehlston.

“Bru, Du sollst in der Nähe bleiben!”

Wie ein Schuljunge, der bei einem Streich erwischt wurde, erwiderte ich: “Aber er ist zwischen uns. Schau, genau in unserer Mitte.”

Hermieoth war anders als sonst. Seine freundliche und ruhige Art war dem rauen Ton eines militärischen Anführers gewichen. Ich hatte keine Ahnung, was mit ihm los war. Die Plattform war menschenleer, nirgendwo war eine Gefahr zu sehen. Statt sich über Geister Sorgen zu machen, sollte er lieber herausfinden, in welchem Gebäude sich die Büros befanden. Das war meine größte Sorge. Ob wir ein Büro mit einem Konstruktions-Computer finden würden, würde über meine Zukunft entscheiden.

Nach einer weiteren Rücksprache mit Husky orientierten wir uns an einem Wegweiser. Schließlich fuhren wir mit einem Fahrstuhl in das oberste Stockwerk eines Hochhauses. Hermieoth stand vorne an der Tür, die Waffe im Anschlag. Brubacker und ich knieten direkt hinter ihm. Mit einem Blick zu Brubacker sagte ich:

“Klotz nicht so auf den Hintern von Hermie.”

“Tolle Aussicht. Soll ich ein Foto machen?”

Die Reaktion von Hermieoth kam prompt.

“Konzentration Leute!”

Die Fahrstuhltür öffnete sich. Noch während Hermieoth einige Schritte nach vorne ging, sah ich links Arbeitsplätze und Computer. Hals über Kopf stürmte ich zu einem der Rechner.

“Könntet Ihr vielleicht warten, bis ich geprüft habe, ob alles sicher ist?”

Hermieoth klang fast verzweifelt. Doch das war mir egal. Meine ganze Aufmerksamkeit galt dem Computer. Es war tatsächlich ein Hochleistungsrechner der Konstruktionsabteilung. Ich nahm den Helm ab und machte mich an die Arbeit. Mit halbem Ohr hörte ich, wie Hermieoth mit Brubacker schimpfte, der sich wieder auf eigene Faust auf Erkundungstour begab. Nach einigen Minuten hatte ich die Hacking-Software entwickelt.

“Ich hab’s. Bin fertig.”

“Dann lass uns aus diesem riesigen Grab abhauen”, sagte Brubacker.

“Es fehlt noch ein Security Code. Ohne den kann ich die Software nicht aktivieren. Auf dem Rechner ist keiner. Vielleicht haben wir Glück und ein Admin hat im Chaos der Angriffe hier irgendwo einen liegen lassen. Vielleicht im Restaurant.”

“Und wenn nicht?”, fragte Brubacker.

“Dann müssen wir auf die Admin-Plattform.”

“Die ist gesichert durch Flugabwehrgeschütze. Das wird eine harte Nuss”, sagte Hermieoth sorgenvoll.

Nachdem wir erfolglos ein Luxusrestaurant durchsucht hatten, wurden wir von Husky abgeholt. Auf der Carrack stiegen wir in die Piscis um und flogen zur Admin-Plattform. Obwohl keiner der Geschütztürme feuerte, ließ Hermieoth die Piscis wie ein Blatt im Sturm hin und her tanzen. Es war schlimmer als Achterbahn fahren. Mir drehte sich der Magen um.  Schließlich fand Hermieoth einen Landeplatz, wo wir vor den Geschütztürmen sicher waren.

Als Hermieoth die Heckrampe öffnete, schaute er mit strengem Blick zu Brubacker und mir.

“Jetzt besondere Vorsicht. Wir bleiben zusammen!”

Brav folgten wir Hermieoth in ein weiteres Gebäude. Fieberhaft suchten wir nach einem Weg an einen Security-Code zu kommen. Ohne Erfolg. Schließlich führte uns Hermieoth zu einer Andockschleuse für große Raumschiffe.

“Hier stehen Computer von der Security. Helfen die weiter?”

Ich versuchte vergeblich, mich in die Computer einzuloggen. Es schien aussichtslos. Verzweifelt trat ich mit dem Fuß gegen den Tresen, auf dem die Computer standen. Die seitliche Abdeckung fiel herunter und gab den Blick auf einen Port des Sicherheitssystems frei. Bingo, das war mein Zugang. Der Download des Codes war gerade abgeschlossen, als eine Frauenstimme zu hören war.

“Alarm. Eindringlinge entdeckt.”

Ein Countdown begann herunterzählen.

“Wir müssen sofort weg von hier”, drängte Hermieoth. Auch Husky mahnte über Funk zur Eile. 

So schnell uns die Füße tragen konnten, rannten wir zur Piscis. Alles schien in Zeitlupe abzulaufen, und doch konnte ich in der Hektik und der aufkommenden Panik nicht wahrnehmen, was geschah. Erst als wir wieder an Bord der Carrack waren, sah ich, dass die Piscis beschädigt war. Getroffen von den Flugabwehrgeschützen. Wir hatten wahnsinniges Glück gehabt.

Es war wohl mehr Glück als Hermieoth lieb war. Bei der Nachbesprechung gab es von ihm einen Anschiss. Erst knüpfte er sich Brubacker vor, weil er sich immer wieder entfernt und in Gefahr gebracht hatte. Dann war ich dran, weil ich die Klamotten von den Toten mitgenommen hatte. Ein hitziges Wortgefecht entbrannte. 

Es stellte sich heraus, dass Hermieoth bei den Gefechten mit den Nine Tails auf Orison dabei war. Die Erlebnisse hatten sich tief in ihn eingebrannt. Er hatte genug vom Tod. Dabei war der Tod durch die Imprint Technologie bedeutungslos geworden. Und für einen Sohn der Wüste wie mich, war es normal, alles zu verwerten, was er finden konnte. Das wurde mir in der Wüste von Daymar wieder bewusst. Die lange Zeit in der Einsamkeit des endlosen Sandmeeres hatte mich an meinen Ursprung erinnert. Hermieoth schien das nicht zu verstehen.

Wie auch immer. Wir beendeten unser Streitgespräch und respektierten die Meinung des anderen. Oder war es eher akzeptierten? Egal. Ich war froh, dass Hermieoth mir geholfen hatte. Dank ihm und den anderen hatte ich die Hacking-Software, mit der ich die Einträge aus meinem Hurston-Konto löschen konnte. Jetzt musste ich nur noch einen Weg finden, sie in das System von Hurston Dynamics einzuschleusen.