Log #197 – Täuschungen in Orison

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Eine mysteriöse Nachricht von Chris Kross katapultierte mich in eine riskante Mission. Ein Chip, der Zugang zu Hurston-Konten verschaffen sollte – eine verlockende Aussicht, aber mit unbekannten Gefahren. Zwischen Zweifeln und Risiken wagte ich den Schritt in eine gefährliche Welt voller Täuschung und Herausforderungen.


…. Ich habe keine Ahnung, was du mit Ray hattest, aber der scheint mächtig sauer auf dich zu sein. Und zweitens suche ich nach jemanden, der sich mit Codierungen auskennt. Ich will, dass du mir einen Chip entwickelst mit dem ich Zugang zu Hurston Konten bekomme, es gibt da was, das ich meinem hinzufügen möchte.

Ich las mir die Nachricht von Chris Kross immer wieder durch. Was er von mir wollte, war zwar nicht unmöglich, aber schwierig umzusetzen. Mit den Hochleistungsrechnern in meiner White Rabbit wäre das viel einfacher gewesen. Doch von der fehlte noch immer jede Spur. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob ich Chris trauen konnte. Gut, er hatte damals die Sachen geliefert, die ich anonym bestellt hatte, und er hatte sich als sehr zuverlässig erwiesen. Ohne sein Entgegenkommen wäre der Deal geplatzt und ich hätte mit leeren Händen dagestanden. Trotzdem machte mich der Hinweis auf Ray und die vorigen Versuche von Chris, meine Identität herauszufinden, stutzig. War der Auftrag doch eine Falle? Wollte Chris das Kopfgeld kassieren, das Ray auf mich ausgesetzt hatte?

Ich haderte mit meiner Unentschlossenheit. Waren meine Zweifel wirklich gerechtfertigt? Chris hatte sich bis jetzt nicht feindselig verhalten. Außerdem war der Auftrag eine Riesenchance für mich. Mit dem Chip wäre ich in der Lage, die Einträge in meinem Konto bei Hurston Dynamics zu löschen. Dann könnte ich mich wieder frei bewegen und müsste mich nicht mehr verstecken. Abgesehen vom Kopfgeld, das Ray auf mich ausgesetzt hatte. Aber auch das ließe sich irgendwie regeln.

Doch zuerst brauchte ich einen Plan, wie ich den Chip bauen sollte. Die elektronischen Teile würde ich im alten Elektronikladen auf Grim Hex bekommen. Schwieriger war es, die Software zu entwickeln. Ohne einen leistungsfähigen Computer ging das nicht. Grübelnd ging ich auf und ab. Wie sollte ich an so einen Computer kommen? Einen wie in meiner White Rabbit. Einen wie ihn die Raumschiffkonstrukteure hatten. Plötzlich blieb ich stehen. Das war der Strohhalm, nach dem ich gesucht hatte. Ich antwortete Chris.

*

Einen Tag später holte mich Chris in Grim Hex ab. Er landete seine Redeemer auf dem Pad vor der Klinik. Es war ein bizarres Bild. Vor der Kulisse der alten, heruntergekommenen Raumstation stand das vor Waffen strotzende Gunboat in einem makellos glänzenden, schneeweißen Kleid. Es wirkte wie ein Wolf im Schafspelz. Wie ein Versuch, die Bedrohlichkeit der Redeemer durch das luxuriöse Erscheinungsbild eines Origin-Schiffes zu kaschieren. Meine Zweifel wischte das jedoch nicht beiseite. War auch Chris ein Wolf im Schafspelz?

Nach einem kurzen Flug waren wir im Anflug auf Orison. Die Wolkenstadt in der Atmosphäre des Gasriesen Crusader. Die schneeweiße Redeemer tauchte ein in die rosa Wolken der oberen Atmosphäre. Wir wurden verschlungen von unreal wirkenden Farben, die man sonst nur in drogengeschwängerten Träumen erlebte. Je tiefer wir in die Wolkenschichten eindrangen, desto deutlicher waren die schwebenden Plattformen der Stadt zu sehen. Die scheinbar schwerelosen Konstruktionen in den Wolken waren ein Wunderwerk der Technik. 

Orison war das Hauptquartier des Schiffbauers Crusader Industries. Der zentral gelegene Raumhafen war umgeben von Wohnplattformen und Schiffswerften. Riesige Bargen, beladen mit Containern, pendelten zwischen den Plattformen. Unser Interesse galt den Plattformen mit den Büros der Konstruktionsabteilung von Crusader Industries. Sie lagen jedoch weit außerhalb unserer Sichtweite, irgendwo in den rosa Wolken. 

Von meinem Datensicherungs-Einsatz auf Orison wusste ich, dass es dort Computer gab, mit denen ich die Hacking-Software entwickeln konnte. Ich nahm an, dass die Büros nach der Belagerung durch die Nine Tails noch nicht wieder benutzt wurden. Um unentdeckt zu bleiben, durften wir nicht das offizielle Shuttle zu den Plattformen benutzen. Unser Plan war, in der Nähe der Shuttle-Station zu warten und der Route des Shuttles zu folgen. Chris versuchte so nah wie möglich an die Shuttle-Station heran zu fliegen, ohne in die Flugverbotszone zu kommen. Dann warteten wir und warteten und warteten. Aber wir sahen kein Shuttle. Stattdessen wurden wir von der Security aufgefordert, das Gebiet zu verlassen.

“Und jetzt?” Chris schien genauso ratlos wie ich.

“Wir brauchen einen Plan B. Wenn wir uns als Crusader Security ausgeben, hätten wir vielleicht eine Chance mit dem offiziellen Shuttle zur Plattform zu fliegen. Nur wo sollen wir die Rüstungen her bekommen?”

Wie aus der Pistole geschossen, hatte Chris eine Idee.

“Ich habe mal für Crusader Security gearbeitet. Ich weiss wo wir Rüstungen bekommen können.”

*

Meine böse Vorahnung wurde mehr als bestätigt. Chris landete direkt vor einem Bunkereingang. Allein die Vorstellung, einen Bunker zu betreten, reichte aus, um in mir ein lähmendes Unbehagen auszulösen. Dieses Gefühl, gepaart mit der Vorstellung, Chris könnte mich in eine Falle locken, ließ mich erzittern.

“Du willst doch nicht etwa da rein gehen? Ich gehe nicht gerne unter die Erde.”

“Kein Problem. Wir haben einen offiziellen Auftrag. Nine Tails haben den Bunker angegriffen. Wir sollen Crusader Security bei der Verteidigung helfen.”

Ich ahnte, was Chris vor hatte.

“Und wenn es einen von den Security Leuten erwischt, nehmen wir seine Rüstung mit. Hab verstanden. Ok. Ladies First. Ich folge dir.”

Der Plan war gut, trotzdem hatte ich ein ganz mieses Gefühl während uns der Lastenaufzug in die Tiefe brachte. Für mich war klar, dass ich mich zurückhalten würde. Unten angekommen, rückte Chris ohne zu Zögern vor. Ich blieb hinter einem Kistenstapel in Deckung und rief Chris nach:

“Ich sichere den Ausgang.”

Dann ging alles ganz schnell. Chris war wie ein Phantom. Erst sah ich ihn links wie er hinter einer Ecke verschwand, dann tauchte er plötzlich wieder rechts auf nur um im selben Moment in den Dampfschwaden auf einem Steg unter großen Rohren wieder zu verschwinden. Schließlich hörte ich ihn über Funk.

“Alle Nine Tails erledigt.”

Vorsichtig trat ich hinter dem Stapel Kisten hervor und ging tiefer in den Bunker. Der Boden war übersät mit Patronenhülsen. Dazwischen lagen Gewehre und die leblosen Körper von Nine Tails. Die Sicherheitskräfte von Crusader Security spazierten munter durch die Gänge. Nur auf dem Boden lag keiner, dem ich die Rüstung hätte abnehmen können. Dann stand mir Chris gegenüber. Rauch kam aus dem Lauf seines Gewehrs. Verdutzt schaute ich ihn an.

“Äh, Du musst den Nine Tails schon eine Chance geben, wenn wir eine Crusader Rüstung erbeuten wollen.”

“Da war ich wohl zu übermütig. Ich schau nach einem weiteren Auftrag.” 

Während Chris in seinem Mobiglas nach einem Auftrag suchte, fing ich an Waffen und nützliche Gegenstände einzusammeln. Chris schien darüber etwas irritiert zu sein.

“Warum verschwendest Du damit Zeit?”

“Die Waffen kann man zu Geld machen.”

“Brauchst Du Geld? Warte, ich sende Dir eine Anzahlung für die Entwicklung des Chips.”

Ein Piepen von meinem Mobiglas signalisierte einen Geldeingang. Verdutzt schaute ich auf den Betrag. Dann schaute ich Chris an, dann wieder auf die Zahl auf dem Mobiglas. Die Anzahl Nullen konnte ich zunächst nicht erfassen. Chris hatte mir tatsächlich 1.000.000 Credits überwiesen. Meine Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit von Chris schmolzen wie ein Schneeball in der Hitze von Aberdeen.

*

Nachdem wir in einem anderen Bunker zwei schwere Rüstungen von Crusader Security erbeutet hatten, flogen wir zurück nach Orison. Dank der Sicherheitsfreigabe von Chris durften wir ohne Kontrollen landen und die Stadt betreten. In der schweren Rüstung konnte ich mich nur mühsam bewegen. Schweiß bedeckte meine Haut, mein Mund war staubtrocken. Aber das Crusader Logo auf der Brust gab mir Sicherheit. Ich war frei von allen Sorgen, dass mich jemand identifizieren und verhaften würde.

Ohne Umwege gingen wir zum Gebäude mit dem Crusader Showroom, von dessen Dach das Shuttle zu den Konstruktionsbüros abflog. Wir fielen zwar in der Kampfmontur auf, wirkten aber, als wenn wir in offiziellem Auftrag unterwegs waren. Niemand sprach uns an, niemand stoppte uns. Auch nicht die Wachleute von Crusader Security.

In der Lobby betraten wir den Aufzug.

“Dann nichts wie hoch zum Dach.”

“Da ist kein Knopf mit der Aufschrift Dach.”

Chris hörte sich verunsichert an, drückte aber trotzdem auf einen Knopf. Mit einem Ruck setzte sich der Aufzug in Bewegung und stoppte wenige Sekunden später wieder. Die Tür öffnete sich. Wir traten aus dem Aufzug. Vor uns stand ein 1:1 Modell der Cockpit Sektion einer Crusader Hercules Starlifter. Ein Besucher stand vor dem Modell und drückte auf einen Knopf. Das Modell faltete sich auseinander und zeigte das Innenleben.

“Das ist nicht das Dach.”

“Nein ist es nicht.”

“Und was jetzt?”

“Wir brauchen einen Plan C.”

“Und wie sieht der aus?”

“Ich habe keine Ahnung.”

Da standen wir, zwei Idioten in schwerer Rüstung, ohne eine Idee, wie es weitergehen sollte.