Sollte ein Leben als Plünderer meine Zukunft sein? Doch Geister der Vergangenheit machten alles komplizierter.
Diana Vess hatte mich beauftragt, die vier Rhino-Repeater einer gestrandeten Constellation zu bergen. Aber sie passten nicht in meine Vulture. Der Frachtraum war einfach zu kurz. Zwei konnte ich ganz rechts an der Außenwand unterbringen. Sie passten gerade noch zwischen die Laderampe und das Schott zur oberen Ebene. Weiter links war der RMC-Dispenser im Weg. Es gab keine Möglichkeit, alle vier Schiffswaffen sicher zu transportieren. Ich wollte sie nicht stapeln. Zu gut war mir der Unfall mit der Hercules in Erinnerung, bei dem sich ein Schuss gelöst hatte.

Um nicht mit halbvollem Laderaum nach Grim Hex zurückkehren zu müssen, hatte ich die Frachtcontainer der Constellation mitgenommen und so viel wie möglich von der Hülle abgetragen. Diana hatte mir viertausend für die beiden Repeater gegeben. Nicht viel. Mit dem zu RMC verdichteten Hüllenmaterial und den Drogen aus dem Frachtraum der Constellation konnte sie nichts anfangen. Sie schickte mich damit ins Admin Office.
Und dort gab es eine große Überraschung. Ich bekam sechstausend Credits pro Container RMC. Für die Drogen sogar noch mehr. Waffen für Diana und Scutter zu organisieren, lohnte sich nicht wirklich. Schiffshüllen abzutragen war viel lukrativer und außerdem entspannter.
“Die besten Geschäfte machst Du bei mir”, bestätigte der Typ vom Admin Office.
Was er weiter zu sagen hatte, war noch viel interessanter.
“Weisst Du, es gibt viele in Grim Hex, die sich für sehr wichtig halten. Aber bei mir laufen alle Informationen zusammen. Wer ein Hub mietet, Handel von Gütern und ich habe einen direkten Draht zur Flugkontrolle. Kann dir also sagen, wo sich gestrandete Schiffe befinden. Gegen einen Obolus versteht sich.”
Ich erzählte ihm von meiner Suche nach der White Rabbit, dass sie in Grim Hex war und ich herausfinden wollte, wohin sie danach geflogen war. Er versprach mir, sich umzuhören. Mit den Koordinaten einer gestrandeten Caterpillar in der Tasche, verließ ich Grim Hex und flog hinaus in den Asteroidengürtel des Mondes Yela.
Einsam schwebte die Caterpillar zwischen den Asteroiden. Die Hülle sah ziemlich heruntergekommen aus, ansonsten waren am Schiff keine Schäden zu erkennen. Der Scan zeigte, dass mehrere Container mit Drogen an Bord waren. Ich fragte mich, warum die Crew Schiff und Ladung zurückgelassen hatte. Würden sie zurückkommen, um ihre wertvolle Fracht zu holen? Es war Eile geboten. Zumal ich nur 30 Minuten hatte, bis die Sicherheitskräfte eintreffen würden. Vermutlich hörte der Typ vom Admin Office den Funk der Sicherheitskräfte ab und wusste so wo sich die gestrandeten Schiffe befanden und wie viel Zeit man hatte.
Am ersten Frachtmodul, das direkt an den Mannschaftsbereich angrenzte, konnte ich die Caterpillar betreten. Es war gruselig. Erwartet hatte ich einen dunklen Raum, Rauch, Feuer. Stattdessen stand ich in einem hell erleuchteten Frachtmodul. Der Boden war blitzeblank sauber. Das Metall an Wänden und Boden glänzte. Alles war ordentlich. Über dem Schott zum Mannschaftsbereich leuchtete ein Monitor. Das Schiff hatte Energie. Wieso war es gestrandet? War vielleicht noch jemand an Bord?
Instinktiv griff ich nach meinem Gürtel, um meine Waffe zu ziehen. Ich griff ins Leere. Scheiße. Die Waffen hatte ich in der Vulture gelassen, ich war nur mit einem Traktorstrahl gekommen. Langsam trat ich ein paar Schritte zurück und drückte mich an die Wand. Verzweifelt versuchte ich eins mit der Wand zu werden, unsichtbar, ein Teil des Schiffes. Das Frachtmodul war leer. War es das Schiff auch? Oder konnte jeden Moment jemand durch die Tür kommen?
Links neben mir war die Tür zum Mannschaftsraum. Sie war geschlossen. Daneben führte eine gelbe Leiter nach oben zu einer Gangway, die das gesamte Frachtmodul überspannte. Dort war eine weitere Tür, die zur oberen Hallway und dann zum Cockpit führte. Auf der rechten Seite des Raumes waren die Schotts zum nächsten Frachtmodul. Eines unten auf meiner Ebene, eines oben an der Gangway. So viele Türen, durch die plötzlich jemand kommen konnte. Mein Herzschlag wurde immer lauter und schneller.
Und jetzt? Sollte ich überprüfen, ob jemand an Bord war? Nein, schnell rein und schnell raus. Nur kein Risiko eingehen. Vorsichtig löste ich mich von der Wand. Kaum hörbar berührten meine Stiefel den Metallboden. Nur ein leises Klacken hallte bei jedem Schritt durch den Raum. Plötzlich dröhnte ein lautes Geräusch durch das Raumschiff. Mein Herzschlag setzte gefühlt für einige Sekunden aus.
Das Schott zum nächsten Frachtmodul hatte sich durch einen Näherungssensor automatisch geöffnet. Durch die Öffnung war ein weiteres leeres Frachtmodul zu sehen. Erleichtert atmete ich aus. Aber wo war die Fracht? Ich musste weiter zum nächsten Modul. Vorsichtig wie ein Raubtier, das sich an seine Beute heranschleicht, näherte ich mich dem nächsten Schott. Fast in Zeitlupe durchquerte ich das Frachtmodul. Vorsichtig setzte ich einen Fuß nach dem anderen auf die Metallplatten des Bodens. Mit einem Auge schielte ich immer nach links oben zur Gangway.
Dann wieder das Geräusch des sich öffnenden Schotts zwischen den Frachtmodulen. Es ging durch Mark und Bein. Wahrscheinlich war es im ganzen Schiff zu hören. Und endlich sah ich sie, die Container mit der Fracht. Schlagartig legte ich alle Vorsicht ab. Wenn wirklich jemand an Bord war, hätte er mich längst bemerkt. Mit einem Satz sprang ich zum Schalter für die Frachtluke. Meine Hand hämmerte auf den Knopf. Quietschend öffnete sich die Seitenwand und gab den Blick auf Sterne, Asteroiden und meine Vulture frei. Noch bevor die Luke ganz geöffnet war, schwebte der erste Container heraus.

Nachdem alle Container aus der Caterpillar im Frachtraum der Vulture verstaut waren, machte ich mich an die Arbeit, die Hülle abzutragen. Viel Zeit blieb mir nicht. Die Uhr tickte unerbittlich. Gleichmäßig frästen sich die Salvage-Laser über den Rumpf der Caterpillar. Zwei blaue Strahlen, die hungrig das Material verschlungen und eine nackte dünne Außenwand hinterließen.
Im Hintergrund lief Radio Infinity. Der Sender hatte einen DJ engagiert. Mitch van Hayden. Seine Musik passte hervorragend zum Salvaging. Völlig entspannt saß ich im Pilotensitz und lauschte den Klängen. Die gleichmäßige Steuerung der Laser, die Musik, der Beat, ich war fast in Trance.
Irgendwann riss mich ein Alarmton aus meiner Trancewelt aus blauen Strahlen, funkelnden Sternen und rhythmischen Klängen. Die Anzeige “Radar Lock” leuchtete grellrot auf. Auf dem Radar blinkte ein roter Punkt. Ich war so in die Arbeit und die Musik vertieft, dass ich die Zeit vergaß. Sie war abgelaufen. Das feindliche Schiff schien nicht näher zu kommen. Das war die Gelegenheit, einen weiteren Container mit RMC zu füllen. Eilig fuhr ich mit dem Salvage-Laser über den Rumpf der Caterpillar.

Plötzlich leuchteten meine Schilde unter dem Einprasseln von Laserfeuer blau auf. Die Schildanzeige fiel. 90%, 80%, 70%. “Nein, nur noch ein paar Sekunden”, schoss es durch meinen Kopf. Ich wollte die Salvage-Laser nicht so abrupt abschalten. Der Container war fast voll. Das Display für die Schilde zeigte 60%, 50%. Der Füllstand des Containers stieg. Die Salvage-Laser arbeiteten auf Hochtouren. 40% Schilde. Dann war der Container voll.
Ein Ruck ging durch die Vulture. Die Triebwerke brüllten und stießen einen wütenden Feuerstrahl aus. Mit maximalem Schub entfernte ich mich von der Caterpillar. Das feindliche Schiff blieb zurück. Ich hatte keine Ahnung wer es war und ich wollte es auch nicht wissen. Die Hülle der Caterpillar konnte ich zwar nicht komplett abtragen, aber es reichte um meinen Frachtraum komplett zu füllen. Zufrieden flog ich zurück nach Grim Hex.
Noch zufriedener war ich, als ich meine Fracht im Admin Office verkaufte. Nach Abzug der Kosten für die Koordinaten der Caterpillar blieb mir ein Gewinn von 200.000 Credits. War das mein Neuanfang? Ein Leben als Plünderer? Die Ladung gestrandeter Schiffe bergen und die Hülle abtragen? Der Verdienst war gut, aber was sollte ich mit dem Geld anfangen? Meine White Rabbit brachte es mir auch nicht zurück.
Und dann türmte sich, bedrohlich wie Gewitterwolken, ein weiteres Problem auf. Ray Keaton. Er war auf der Suche nach speziellen Waffen. Waffen, die ich in meinem Lager hatte. Eine gute Gelegenheit, Ray die Hand zu reichen und seinen Groll gegen mich zu besänftigen. Dachte ich. Doch wie sehr ich mich getäuscht hatte.
Auf mein Angebot, ihm die Waffen zu verkaufen, reagierte er mit Drohungen. Er habe noch eine Rechnung mit mir offen. War er immer noch der Meinung, dass ich bei dem missglückten Biker Ausflug sein Bike manipuliert hatte? Oder hatte er die Sache mit der Renaissance immer noch nicht verwunden? Aber was konnte ich dafür, dass er als Leibwächter von Eris auf der falschen Seite stand? Und dann wollte er auch noch, dass ich für ihn einen Comm-Array hacke. Das konnte nur eine Falle sein. Ich lehnte ab. Seine Antwort war kurz und bündig:
“Das war ein Fehler.”
Wenig später erfuhr ich, dass Ray ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt hatte. Unglaubliche 250.000. Ray Keaton war gefährlich, er war feindselig. Er hatte Brubacker verprügelt, Hermieoth bedroht und wollte mir um jeden Preis an den Kragen. Grim Hex war kein sicherer Hafen mehr für mich.
Ich flog nur noch zur Station, um die Beute meiner Bergungsaktionen zu verkaufen. Danach verschwand ich sofort wieder in den Tiefen des Alls. Es war zum Verzweifeln. Nicht nur, dass ich wegen Hurston Dynamics unter dem Radar bleiben musste, jetzt saßen mir auch noch Ray und das Kopfgeld im Nacken. Die Vulture wurde mein Zuhause. Ich schlief an Bord, versteckt irgendwo im All. Rudi, der Ball, konnte mir nur wenig Trost spenden.
*

Der gleißende Feuerball von Stantons Stern warf sein Licht in das Cockpit der Vulture. Ich stand hinter dem Pilotensitz und starrte in die Schwärze des Alls. Ich lebte, das war wenigstens etwas. Trotzdem hatte ich mir meinen Neuanfang anders vorgestellt. Warum gab es so viel Feindseligkeit im Stanton-System? Warum wollte jeder auf jeden draufschlagen? Ich sehnte mich nach der Gemeinschaft der People’s Alliance in Levski. Ein Ort, an dem ich früher gelebt hatte. Wo ich mich wohl gefühlt hatte, bis Kylo getötet wurde. Das hatte mich nach Stanton gebracht. Sollte ich ins Nyx-System zurückkehren und mich wieder in Levski niederlassen?
Der Beat der Musik von Mitch van Hayden dröhnte durch das Cockpit. Melancholisch setzte ich mich in den Pilotensitz, legte die Füße auf das Armaturenbrett und lauschte den Klängen. Die Strahlen von Stantons Stern wärmten mein Gesicht, Mitchs Trance durchströmte meinen Körper. Meine Sorgen lösten sich langsam in Luft auf. Mit einem Lächeln im Gesicht schlief ich tief und fest ein.