Log #165 – Ausflug ins Chaos

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Mit den Free Riders of Stanton wollte ich einen entspannten Ausflug machen. Er war alles, nur nicht entspannt.


Es war eine typische kalte Microtech Nacht. Ich stand an der offenen Frachtrampe und schaute hinaus in die Dunkelheit. Am Himmel glitzerten die Sterne. Auf dem Boden glitzerten die Eis- und Schneekristalle im Licht der Scheinwerfer. Die White-Rabbit stand vor den Garagen vom New Babbage Interstellar Spaceport. Nach meinen nervenaufreibenden Einsätzen in Orison und auf der Reclaimer, brauchte ich dringend Entspannung. Ich hatte mich mit den Free Riders of Stanton verabredet, um mit den Hoverbikes den Fluss entlang bis zur Quelle zu fahren.

Doerek kam als Erster. Und er kam nicht mit leeren Händen. Sein Hoverquad hatte er vollgepackt mit Getränken und Essen. Ich war überrascht, wie viele Flaschen Schmolz in das Quad passten. Kurz darauf erschien Valentin Benz. Seine Drake Dragonfly passte gerade noch neben die anderen beiden Hoverbikes in meine Star Runner. 

Skeptisch schaute ich mir den Frachtraum an. “ Das wird eng mit dem vierten Bike.”

“Ach was. Hinten quer. Das geht schon”, trällerte Valentin in seiner unnachahmlich fröhlichen Art.

“Wo steckt der vierte Typ, dieser Ray Keaton?” Ich konnte mich nicht daran erinnern, Ray jemals getroffen zu haben. Aber eine Anzeige hatte ich von ihm gelesen. Er suchte S71 Gewehre. Eines hatte ich in einem Außenposten  gefunden und mitgebracht. 

“Ray ist ein feiner Kerl. Ich kenne ihn sehr gut.” Valentin schien sich geradezu auf Ray zu freuen.

“Ich hab eine Waffe mitgebracht, die er kaufen will.”

Doerek schien sichtlich irritiert zu sein. “Wie jetzt? Macht ihr Waffengeschäfte? Deinen Basar fand ich ja gut. Waffen gab es da nicht zu kaufen.” 

“Ray verspätet sich etwas. Kommt schon, wir trinken schon mal einen. Auf geht’s, hoch die Flaschen.” 

Valentin hob sein Schmoltz in de Höhe. Es klirrte laut, als unsere Flaschen in der Luft zusammenstießen. 

Schließlich kam Ray Keaton in einer Cutlass Black angeflogen. Die Cutlass war schwarz mit einigen roten Stellen. Auf dem vorderen seitlichen Flügel prangte ein großer Totenkopf mit zwei gekreuzten Schwertern. Wer zum Teufel war dieser Typ? War die Lackierung seiner Cutlass nur ein Gag oder ein Statement? Ein Bekenntnis seiner Gesinnung? Irgendwas in mir mahnte mich vorsichtig zu sein. Doch eines musste ich mir eingestehen. Die Cutlass sah verdammt gut aus.

Nachdem Ray seine Dragonfly im Frachtraum der White-Rabbit geparkt hatte, schaute er mich wortlos an. Es war ein seltsamer Blick, der mich geradezu durchbohrte. Irgendetwas stimmte mit dem Typ nicht. Aber nicht nur mit dem Typ. Die ganze Situation war seltsam. Geradezu frostig. Mit einem beklemmenden Gefühl ging ich ins Cockpit. Ein Gefühl, das mir sagte, dass dieser Ausflug kein gutes Ende nehmen würde. Unruhe und Anspannung machten sich in mir breit.

*

Als wir den See erreichten, in dem der Fluss endete, war es bereits hell. Wir befanden uns in einer schönen grün-braunen Landschaft mit vielen Nadelbäumen. In der Ferne waren schneebedeckte Berge zu sehen. Der Ort war perfekt geeignet zum Erholen. Doch Entspannung wollte nicht aufkommen. Nachdem die Hoverbikes ausgeladen waren, raste Valentin durch die Gegend und ballerte übermütig mit der Bordwaffe seiner Dragonfly rum. Ich suchte verzweifelt meinen guten Helm und nahm irgendwann doch den billigen Ersatzhelm. Ray blieb weiter wortkarg.

Doch dann brach er sein Schweigen.”Deine Dragonfly sieht gut aus in dem Gelb.”

Überrascht schaute ich Ray an. Taute er auf? Gerade als ich etwas sagen wollte, hörte ich das Pfeifen von Kugeln. Dann wurde es schwarz um mich. Alles war weg, nur Stimmen blieben in meinem Kopf. Stimmen von ganz weit weg. Eine war die Stimme von Valentin.

“Ray, Zero. Geht es Euch gut. Ich hab in Eure Richtung geschossen. Wollte Euch nicht treffen.”

“Zero liegt am Boden. Er rührt sich nicht.” 

“Oh scheiße. Das war nicht meine Absicht. Ray, am Gürtel von Zero ist ein Medi-Tool. Schau mal, ob Du ihn damit wieder fit bekommst.”

Die Schwärze um mich herum wurde heller. Mein Kopf schmerzte fürchterlich. Langsam setzte ich mich auf. Mein Blick war getrübt und durchsetzt von Blut. Ray fuchtelte mit dem Medi-Tool vor meiner Nase herum. Unfähig klar zu denken nahm ich ihm das Tool ab. Wie in Trance stellte ich den Auto-Modus ein und gab mir eine hohe Dosis Medikamente. Eine sehr hohe Dosis. Schlagartig konnte ich wieder klar sehen. Doch meine Gedanken waren nicht klar. Es war ein Gefühl wie unter Drogen. 

Geradezu besoffen schwang ich mich auf meine Dragonfly und flog los. Es kümmerte mich nicht, dass ich gerade angeschossen wurde. Ich fühlte mich gut, sehr gut. Das Gras glitt unter mir durch. Die Bäume flogen seitlich vorbei. Es war toll. Irgendwann merkte ich, dass ich in die falsche Richtung geflogen war. Ein Kommentar über die schlechte Navigation war im Funk zu hören. Auch das war mir egal.

Schließlich erreichten wir den See und flogen flussaufwärts. Nach einer Weile entdeckte ich am linken Ufer eine Siedlung. Oder das, was davon übrig war. Ein Turm, mehrere Gebäude, Mauern. Es schien alles etwas verfallen zu sein. Mein Entdeckergeist war geweckt. Was waren das für Gebäude? Wer hatte hier gelebt? Das wollte ich mir genauer anschauen. Doch dann hörte ich Valentins verzweifelte Stimme im Funk.

“Ray ist weg. Habt Ihr Ray gesehen?”

“Ich hab noch gesehen, wie er gegen einen Felsen geflogen ist. Dann war er weg.” Doerek klang etwas ratlos.

Ich verdrehte die Augen und flog zurück zu den anderen. Also erstmal keine Siedlung erkunden. Was für Chaoten. Bereits nach ein paar Metern kam mir Valentin auf dem Fluss entgegen.

“Ach was solls. Ray sitzt bestimmt schon in Grim Hex und säuft. Wenn er gecrasht ist, ist er dort regeneriert. Los, wir fliegen weiter.”

Valentin raste an mir vorbei. Doch weit kam er nicht. Seine Dragonfly verwandelte sich plötzlich in einen Feuerball. Erst reflektierte das Wasser den Schein der Flammen, dann verschluckte der Fluss die Überreste.

Kopfschüttelnd flog ich ans Ufer und landete. Was war das für ein bekloppter Haufen? Ob es für Valentin noch Hoffnung gab? Ohne nachzudenken, stürmte ich ins Wasser und suchte nach ihm. Auf dem Grund des Flusses fand ich seinen Körper. Mühsam zog ich ihn ans Ufer und legte ihn zwischen bunten Blüten auf den Boden.

Doerek wartete bereits auf uns. In einem letzten Versuch richtete ich das Medi-Tool auf Valentin. Nichts passierte. Es funktionierte nicht. Ein rotes X war auf der Anzeige zu sehen. Ratlos schaute ich Doerek an. Der nahm Valentin den Helm ab. Blut war zu sehen. Es floss direkt vor meinen Augen herunter. Doch es war nicht das Blut von Valentin. Es war mein Blut. Meine Kopfverletzung war aufgeplatzt. Verzweifelt drückte ich das Medi-Tool gegen meinen Arm. Mit einem Zischen ergoss sich eine weitere Dosis Medikamente in meinen Körper. Es war zu viel. Die Überdosis beeinträchtigte meine Wahrnehmung und meine Koordination. Meine Knie wurden weich. Nur mit Mühe konnte ich mich auf den Beinen halten. 

Ich weiss nicht mehr wie, aber irgendwie schafften wir es, Valentin in die White-Rabbit zu bringen und nach New Babbage zu fliegen. Das Letzte an das ich mich erinnerte war ein hell erleuchteter Raum, in dem ich auf einer Krankenhaus-Liege lag. Vor dem Raum lag Valentin auf dem Boden. Hinter ihm stand die White-Rabbit in einer großen Halle. Doerek stand am Durchgang und drückte auf einen Knopf. Dann wurde es dunkel.

*

Am nächsten Tag war ich im Krankenhaus aufgewacht. Nach unserer Rückkehr hatte mich Doerek in die Notaufnahme des Hangars gebracht. Vollständig genesen konnte ich die Klinik verlassen. Ray und Valentin waren auch wohlauf. Sie hatten ihren Imprint auf Grim Hex gespeichert und  waren nach dem Crash dort in der Klinik regeneriert. Die Versuche, Valentin zu retten, waren sinnlos gewesen. Doerek und ich hatten nur seine leere Hülle durch die Gegend gezerrt. Das hätten wir uns sparen können. Diese Imprint Technologie war eine verstörende Sache. 

Etwas müde stand ich im Aufenthaltsraum der White-Rabbit. Überall lagen Bierflaschen herum. Die Jungs hatten ganz schön gefeiert, während ich uns zum See geflogen hatte. Und genau dahin wollte ich jetzt zurück. Ich wollte auf eine kleine Entdeckungsreise gehen und mir die alte verfallene Siedlung am Fluss anschauen.