Log #186 – Stimmen

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Erneut war ich in der verfallenen Siedlung. Es passierte unerwartetes, teils unerklärliches.


Die verfallene Siedlung war ein Magnet. Magisch zog sie mich an. Doch es war mehr als Magie, das mich erneut hierher führte. Der Wächter vom Schrottplatz verlangte RMC als Bezahlung für das Ersatzteil. Und dieser Chris Kross hatte nach unserem Tauschgeschäft seine Cutter in der Siedlung stehen lassen. Es war der einfachste Weg, um an RMC zu kommen. Ich musste nur die Hülle der Cutter abtragen.

Dummerweise lief mal wieder nichts nach Plan. Die Cutter war weg und ich stand planlos auf dem Turm der Siedlung. Wenigstens hatte ich eine schöne Aussicht. Der Gasriese Crusader erhob sich über den Horizont und strebte in den Nachthimmel. Unten im Tal flackerten die Lichter der Hauptsiedlung. Bisher hatte ich mich nicht getraut, dort nach nützlichen Dingen zu suchen. Alleine war es zu riskant.

Plötzlich zuckten in der Ferne Laserblitze durch den schwarzen Himmel. Kurz darauf flog in einiger Entfernung eine Carrack vorbei. Lautlos verschwand sie hinter einem Berg. Glück gehabt. Ungebetene Besucher konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

Ich schaute noch eine Weile auf den empor steigenden Gasriesen, als ich am Hang des nahegelegenen Berges ein Licht sah. Es tanzte auf dem Sand auf und ab. Durch das Zielfernrohr des Gewehres sah ich einen URSA Rover, der schnell näher kam. Scheiße, zu früh gefreut. Es war doch jemand im Anmarsch. 

200 Meter entfernt verschwand der Rover hinter einem Felsen. Kurz darauf fuhr er wieder zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Es war wieder still. Nur das Feuer in der Siedlung knisterte. Dann bewegte sich etwas. Ein Schatten löste sich von dem Felsen, hinter dem der Rover gewesen war. Dann noch einer. Es waren zwei Gestalten mit gezogenen Waffen. Und sie kamen direkt auf die Siedlung zu. Direkt auf mich.

Verfluchte Scheiße. Jetzt wurde es ernst. Aus der Deckung beobachtete ich die beiden durch das Zielfernrohr. Meine Hand zitterte leicht. Als sie die Siedlung erreichten gab ich einen Warnschuss ab und rief:

“”Halt! Wer ist da? Ich hab Euch im Visier!”

“Hier ist John Brubacker. Wir sind…”

“Bru?”

“Ja…Zero?”

Ein ganzer Steinbruch fiel mir von der Brust. Das war nicht zu glauben. Schnell kletterte ich vom Turm. Sekunden später stand ich mit Brubacker und Ella am Feuer.

“Was zum Teufel macht ihr hier? Das ist ja ein unglaublicher Zufall.”

Die Nachricht aus der Reclaimer hat uns hierher geführt. Jemand, der das Artefakt hatte, wurde erpresst. Er musste es an diesen Ort bringen. Und was zum Henker machst Du hier?”

“Äh ja, lange Geschichte.”

“Warte kurz, Husky meldet sich aus der Carrack. Hermieoth geht es nicht gut.”

“Hermieoth? Du meinst unser Hermie? Was macht der an Bord der Carrack?”

“Auch eine lange Geschichte.”

Kurz darauf landete die Carrack direkt bei der Siedlung. Hermieoth ging es wirklich nicht gut. Er fantasierte. Nachdem er Stimmen gehört hatte, war er panisch von Bord gegangen. Husky hatte ihn gerade noch einfangen und auf die Krankenstation bringen können. Die Crew vermutete, dass er unter dem Einfluß des Artefakts stand..Dieses Ding war unheimlich. Nein, es war vielmehr eine Gefahr. Trotzdem wollte die Crew nicht loslassen und die Geheimnisse des Artefakts lüften.

Brubacker und ich standen an der Kante des Plateaus und schauten hinunter ins Tal auf die Siedlung.

“Was ist in den Gebäuden dort unten?” 

“Keine Ahnung. Ist verlassen. Ab und zu landet ein Raumschiff und startet nach einer Weile wieder. Vermutlich ist das ein geheimer Umschlagplatz für Schmuggelware. Hab mich bisher nicht getraut, runter zu gehen. Aber jetzt mit mehreren Leuten sollten wir es wagen. Vielleicht finden wir Hinweise zum Artefakt.”

Als es hell wurde, machten wir uns mit dem Rover auf den Weg. Hermieoth ging es inzwischen besser. Ella blieb an Bord der Carrack und gab uns mit dem Geschützturm Deckung.

Die verfallene Siedlung im Tal war viel größer als die auf dem Plateau. Und es gab jede Menge Kisten mit Material. Nicht nur Lebensmittel und Edelsteine, es gab auch viele Rüstungsteile. Suchend stapfte ich durch verfallene Gebäude und über eingestürzte Mauern. Alles was mir nützlich erschien, brachte ich in den Rover.

Plötzlich hörte ich eine Stimme. Sie klang gruselig, unverständlich. Es hörte sich an wie das Mantra eines Außerirdischen. Zuerst dachte ich, es sei eine Funkstörung. Verwirrt klopfte ich an meinen Helm. Es änderte sich nichts. Die Stimme war immer noch da. Sie saß tief in meinem Kopf. Eindringlich sprach sie ihr Mantra. Schließlich wurde die Stimme von Hermieoth übertönt.

“Hey Leute, ich hab eine Kiste gefunden. Da sind weitere Artefakte drin. Lauter Bruchstücke.”

“Dann sind wir am richtigen Ort. Wir sollten sie mitnehmen aufs Schiff”, sagte Brubacker nach anfänglichem Zögern.

“Ich fass das Zeug nicht an.”

“Ich bring die Kiste in den Rover. Ich muss nur noch ein paar Rüstungen verstauen. Dieser Ort ist eine Goldgrube. Genial.” 

Die Begeisterung stand mir ins Gesicht geschrieben. Helme, Arm- und Beinpanzer. Es war wie im Schlussverkauf. Dann hörte ich wieder diese Stimme aus dem Nichts, dieses unheimliche Alien-Mantra. Sollte ich mir Sorgen machen? Die anderen schienen es schon zu tun. Auch sie hörten die Stimme.

“Ich will hier sofort weg”, jammerte Hermieoth.

“Ja, lasst uns sofort abhauen”, stimmte Husky zu.

Nachdem ich die Kiste mit den Artefakten im Rover verstaut hatte, fuhren wir zurück zur Carrack. Die Crew spekulierte wild über die Artefakte. Niemand zweifelte daran, dass die Stimme etwas mit dem Artefakt zu tun hatte. Inzwischen hatte auch ich ein mulmiges Gefühl.

“Vielleicht wäre es besser, das Zeug tief im Sand zu vergraben. Es scheint ja nur Unheil anzurichten. Ich wüsste da eine Höhle, die geeignet wäre.”

Brubacker stimmte zu.

“Wahrscheinlich ist das wirklich besser”, meinte Husky. “Wer weiss, vielleicht geht die abgestürzte Vanguard auch auf das Konto des Artefakts.”

“Welche abgestürzte Vanguard?”, fragte ich interessiert.

“Ein paar Hundert Meter in diese Richtung liegt eine. Die haben wir bei unserer Ankunft gesehen.”

Heute war mein Glückstag. Erst die Rüstungen und jetzt noch ein Wrack. Das war die Gelegenheit, RMC zu bekommen. Das Artefakt konnte warten. Mit fester Stimme wandte ich mich an die Crew.

“Ich hab auf Daymar noch etwas zu erledigen. Aber wir bleiben in Kontakt. Hermieoth, hier ist ein Verschlüsselungscode. Richte den in Eurer Kommunikationsanlage ein. Damit können wir uns geheime Nachrichten senden.”

“Kein Problem, das mach ich.”

“Und da fällt mir noch was ein. Könnt ihr für mich einen Typen mit dem Namen Chris Kross ausfindig machen?”

“Ja klar, den kenne ich aus Grim Hex”, sagten Hermieoth und Husky unisono.

Warum war ich nicht überrascht? Es passte, dass dieser Chris auf Grim Hex verweilte.

“Überweist ihm bitte 5000 UEC. Aber erwähnt nicht meinen Namen. Sagt nur, es ist  von dem Unbekannten, mit dem er ein Geschäft gemacht hatte. Ihr bekommt das Geld noch von mir. Also dann, ich muss los.”

“Zero, hast Du denn genug Medpens?” 

Die sanfte Stimme von Ella war eine Wohltat. Sie war das absolute Gegenteil von der Stimme in meinem Kopf. Ella war wirklich ein Engel. Nachdem sie mir alle möglichen medizinischen Dinge gegeben hatte, machte ich mich auf den Weg zum Wrack der Vanguard. Kaum hatte ich die Carrack verlassen, war die unheimliche Stimme in meinem Kopf verschwunden.


Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/diecrew#S7