Log #242 – Prophet von Pyro

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Stimmen und Prophezeiungen. Etwas dunkles zog herauf.


“Hast Du in der Wüste die Stimme gehört?”, fragte mich mein Gegenüber.

“Welche Stimme?”

“Die des Propheten. Des Propheten von Pyro.”

Verwirrt schaute ich ihn an. Wir saßen an einem Steintisch im Gemeinschaftshaus der Siedler. Eine Pflanze und eine Lampe standen auf dem Tisch. Karten, Spielchips und Getränke deuteten darauf hin, dass hier erst kürzlich eine Runde Poker gespielt wurde. Ich selber war an einem Spiel nicht interessiert. Weder an einem Kartenspiel noch an einem Rätsel über einen Propheten. Ich wollte nur etwas in dem bequemen Sessel entspannen. Doch mein Gegenüber hörte nicht auf.

“Kann sein, dass man die Stimme in der Wüste nicht hören kann. Die Arbeiter von Pyrotechnic Amalgamated hatten sie damals in den Minen hier auf Monox gehört. Die Aufsichtsbehörden glaubten ihnen nicht. Hätten sie mal besser gemacht. Es war die Stimme des Propheten, er hatte den Untergang von Pyrotechnic Amalgamated vorhergesagt.”

“Ah ha”, sagte ich desinteressiert.

“Ja wirklich. Und es wird noch besser. Die Anführerin der kriminellen Gruppe ‘Abyss’ bekam in einer Mine auf Monox eine Offenbarung vom Propheten. Daraufhin hat die Gruppe die Kontrolle von der Ruin Station übernommen.”

“Aber sie haben die Kontrolle über die Station nicht behalten, oder?”

“Nein. Aber es war das erste mal, dass eine kleine Fraktion die Kontrolle übernahm. Das kann doch kein Zufall sein. Und wer weiss, vielleicht haben die Frontier Fighters auch eine Offenbarung bekommen. Warum sonst greifen die alles an und versuchen die Kontrolle über ganz Pyro zu erlangen.”

Jetzt hatte mein Gegenüber meine Aufmerksamkeit. Die Frontier Fighters wollten den Kampf gegen die Slicers nach Pyro tragen. Sie hatten, genau wie die Citizens for Prosperity, in Stanton systemweite Aufträge platziert, um Versorgungsgüter zum Pyro-Jumpgate zu bringen. Ich hatte damals die Citizens for Prosperity unterstützt. Der aggressive Ansatz der Frontier Fighters hatte mir nicht gefallen. 

“Was meinst Du mit sie greifen alles an?”, fragte ich interessiert.

“Du warst wohl zu lange in der Wüste”, lachte mein gegenüber. “Es geht gerade heiß her in Pyro. Heißer als sonst. Alle kämpfen gegeneinander. Headhunters, Citizens for Prosperity und Frontier Fighters. Und die Frontier Fighters sind gegen alle. Und dann mischen da noch alle möglichen Verrückte mit. Jeder kämpft. Es ist total irre.”

“Als ich gestern aus der Wüste zurückgekommen bin, hatte ich einen Kampf über Jackson’s Swap gesehen.”

“Das habe ich auch mitbekommen. War gerade oben auf der Dachterrasse. Kurz danach ist eine Zeus im Tiefstflug über uns gedonnert. Das war viel zu tief. Der Abgasstrahl hat mich auf den Boden geworfen und alles durcheinander gewirbelt.”

“Und wie sieht es hier in der Siedlung aus? Besteht Gefahr, dass der Kampf auch hierher kommt?”

“Ich hoffe nicht. Aber wir sind vorbereitet. Wir haben unterirdische Lager angelegt. Eines ist genau auf der anderen Bergseite. Schau Dir das doch mal an. Ist in einer alten Mine. Vielleicht hörst Du dort die Stimme.”

„Vielleicht mache ich das”, sagte ich, während ich mühsam aus dem Sessel aufstand und zur Kommunikationsanlage des Gemeinschaftshauses ging.

Ich schickte eine Nachricht an Alaska, in der ich ihm von der Ähnlichkeit der Gebäude in Pyro mit den verfallenen Siedlungen in Stanton berichtete. Dann sah ich eine Anfrage von Ray Keaton auf dem Marktplatz der Kantine. Er suchte Fotografien der klassischen Pyro Architektur. Seit wann interessierte sich Ray für Architektur? Da ich meinen Frieden gefunden und keinen Groll mehr gegen Ray hatte, schickte ich ihm einige Bilder mit ein paar netten Worten. 

Und dann stöberte ich noch in alten Archiven und fand tatsächlich einen Bericht über den Propheten von Pyro. Alles was ich gerade erfahren hatte stand auch in dem Bericht. Eine unabhängige Enthüllungsjournalistin kam bei Nachforschungen jedoch zu dem Schluss, dass es sich bei der Stimme um eine Anomalie handelte, die bei starken Sonneneruptionen auftrat. Sie vermutete, dass hohe Metallvorkommen in den Minen mit den Energiestößen reagierten.

*

Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Hoverbike zum unterirdischen Lager. Ich war neugierig. Um ehrlich zu sein, auch ein wenig auf den Propheten. Würde ich tatsächlich eine Stimme in der Mine hören?

Der Eingang zur Mine war ein großes Loch im Boden. Es sah aus wie der Eingang zu den Sandhöhlen, die ich von Daymar kannte. Allerdings gab es hier am Rand des Lochs eine Metallplattform, die etwas über den Rand des Lochs hinausragte.

Beim Abstieg in die Mine brach getrockneter Sand ab, der mit mir in die Tiefe rutschte. Als ich den Boden des Lochs erreichte, stand ich vor einem großen Zugang an dessen Wände irgendwelche Pilze wuchsen. Sie flu­o­res­zie­rten mit einem grünlichen Licht. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Der Gang, der in die Höhle führte, war beleuchtet und ein Pfeil an der Wand zeigte die Richtung an, in die ich gehen musste.

Je tiefer ich den Gang hineinging, desto größer wurde der Abstand zwischen den Lampen, es wurde immer dunkler. Irgendwann blieb ich bei einigen besonders hell leuchtenden Pilzen stehen. Kleine leuchtende Sporen tanzten wie Glühwürmchen um die Pilze. Sie waren eingehüllt in eine Aura aus Dämpfen, die das Licht der Pilze reflektierten. 

Ich fragte mich, welche Wirkung das Einatmen der Dämpfe oder der Sporen haben würde. Ob die Pilze vielleicht der Grund dafür waren, dass die Arbeiter Stimmen hörten? Plötzlich hörte ich eine Stimme. Leise, wie aus weiter Ferne, mit einem leichten Nachhall.

Erschrocken schaute ich mich um. Es war niemand zu sehen. Dann wieder ein leises Murmeln. Es kam tiefer aus der Höhle. Im weiteren Verlauf war der Gang fast stockdunkel. Nur an zwei Stellen spendeten Pilze ein wenig schummriges Licht. Die nächste Lampe war 50 Meter entfernt. 

Vorsichtig setzte ich einen Fuss vor den anderen. Langsam wagte ich mich immer tiefer in die alte Mine. Dann öffnete sich der Gang zu einer großen Halle. Im schwachen Licht einiger wenigen Lampen waren mehrere Frachtcontainer zu sehen. Dann hörte ich das Schaben  von Metall, das Durchladen einer Waffe. 

Wie erstarrt blieb ich stehen. Dann hörte ich wieder die Stimme. Diesmal laut und deutlich.

“Zero, bist Du das?”

“Ja. Mensch habt ihr mich erschreckt.”

Es war einer der Siedler, der mit zwei weiteren Wachen, die geschlossene Helme trugen, im Halbdunkel stand. Alle drei trugen schwere Waffen und Rüstungen.

“Was führt dich hier her?”, fragten sie mich.

“Mir wurde die Legende vom Propheten von Pyro erzählt. Da wollte ich mal hören, ob ich auch die Stimme vernehmen kann. Und was macht ihr hier unten?”

“Wir bewachen unsere Notvorräte. Kannst gerne mal schauen, da hinten den Gang lang.”

Ich folgte dem Gang und stand plötzlich vor einer massiven Stahltür. Es sah aus wie eine Luftschleuse. Als ich näher kam, öffnete sie sich von alleine. Dahinter lag ein gut ausgebauter Gang mit runden Wänden, der in einen Lagerbereich führte. Es sah aus wie ein Keller. Die Wände waren verstärkt und teilweise gemauert. In mehreren Kammern lagerten in Regalen alle möglichen Vorräte. Essen, Trinken, Medikamente. Die Siedler waren auf eine Notsituation vorbereitet.

Als ich die Höhle wieder verließ, erzählten mir die Wachen, dass es noch mehrere Höhlen gab. Eine in der Nähe von Sunset Mesa, direkt unter einem Abwehrturm.

“Vielleicht hörst Du dort den Propheten”, lachten sie, als ich mich verabschiedete.

Es war nicht so, dass ich ernsthaft an den Propheten glaubte, aber ich war doch neugierig und fuhr zu der anderen Höhle.

Der Eingang war kein Loch im Boden, sondern ein Tor in den Berg. Ein großer Spalt im Gestein, durch den man ohne zu klettern hindurchlaufen konnte. Allerdings ging es nach wenigen Metern steil bergab. Der Weg führte über große Stufen nach unten, die man hinunterklettern musste. Auch in dieser Höhle wuchsen Pilze und Pfeile an den Wänden markierten den Weg. Ein schmaler beleuchteter Gang aus Sandstein führte stetig nach unten. Und dann stand ich plötzlich in einer schwach beleuchteten Höhle, groß wie eine Halle. 

Auf dem Boden fiel mir etwas metallisch schimmerndes auf. Ich bückte mich und fand ein P4 Sturmgewehr. Einen Meter daneben lag noch eines auf dem Boden. Und dann fand ich noch ein Karna Sturmgewehr.  Warum lagen hier Waffen herum? Irgendetwas stimmte nicht.

Verunsichert zog ich meine Pistole. Ich schaute zur Seite und ging einen Schritt nach vorne. Unvermittelt rutschte mein rechter Stiefel weg, mit wild wedelnden Armen konnte ich gerade noch das Gleichgewicht halten. Das leise Poltern von Gestein, das mehrere Meter weiter unten auf dem Boden aufschlug, hallte durch die Höhle.

Ich fand mich direkt an einem Abgrund wieder, der dutzende Meter in die Tiefe ging. Unten standen Frachtcontainer, die von wenigen Lampen schwach beleuchtet wurden. Das fluoreszierende Licht der Pilze an den Wänden vermittelte eine gespenstige Atmosphäre. Es war ein seltsamer Ort. Ein Labyrinth aus Gängen und Ebenen, der einem beim Anblick die Orientierung raubte. 

Das Ganze war mir unheimlich. Ich hatte keine Ahnung, warum auf dem Boden Waffen lagen, warum nirgends Wachen zu sehen waren, was hier passiert war. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich nach unten kommen sollte und ich wollte auch nicht nach unten.

Vielleicht waren die Waffen eine Warnung, vielleicht brauchte es keine Stimme eines Propheten, um zu wissen, wann man sich besser aus dem Staub machen sollte.

Hektisch machte ich mich auf den Rückweg. Zu hektisch. Bei den hohen Stufen am Ausgang rutschte ich immer wieder ab. Unkontrolliert versuchte ich nach oben zu klettern und verlor mehrmals fast die Kontrolle. Keine Ahnung, wie ich es geschafft hatte, aber am Ende stand ich oben.

Erleichtert fuhr ich mit meinem Hoverbike los. Nach wenigen Metern kam ich an einem großen kastenförmigen Gebäude vorbei in dem ein Hangar war. Plötzlich knatterten Maschinengewehre, Kugeln pfiffen an meinem Kopf vorbei. Erschrocken gab ich vollgas. Das Hoverbike heulte auf und schnellte nach vorne. 

Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Irgendetwas lief völlig aus dem Ruder. Die Situation schien die Mitte verloren zu haben, Pyro war nicht mehr in seiner wackeligen Balance. Hatte es erneut eine düstere Offenbarung vom Propheten gegeben?  Ich musste so schnell wie möglich zurück zum Gemeinschaftshaus der Siedler.