Ich wurde als verdeckter Ermittler eingesetzt, um mehr über Vorgänge im Distribution Center herauszufinden.
“Uns sind Prototypen geklaut worden und jetzt auch noch ein Toter. Zero, wir müssen herausfinden, was in dem Distribution Center vor sich geht und wer dahintersteckt.”
Wie immer saß der Manager der Abteilung Forschung, Entwicklung und Logistik hinter seinem Schreibtisch. Die goldene Crusader Industries Anstecknadel auf der Brust seines blauen zerknitterten Hemdes blitze im Sonnenlicht, während sie sich im Takt seiner aufgeregten Atmung hob und senkte. Ich stand vor dem Schreibtisch und schaute ihn schweigend an. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort.
“Ich möchte Ihre hervorragenden Fähigkeiten als Ermittler für die gute Sache nutzen und Sie als verdeckten Ermittler in das Distribution Center einschleusen. Sie werden für eine Woche als Aushilfskraft im Lagerbereich eingesetzt. Vorausgesetzt, Sie sind einverstanden. Aber ich bin überzeugt, dass Sie das ohne Probleme meistern werden. Zumal Sie im Umgang mit zwielichtigen Personen geübt sind.”
Ich holte tief Luft, um etwas zu erwidern. Doch dann atmete ich wieder ganz langsam aus, ohne etwas zu sagen. Mein Kopf nickte kaum merklich.
*
Meine Verkleidung war passend. Anthrazitfarbener Schutzhelm mit Stirnlampe, Schutzbrille, graue Lagerarbeiter Jacke mit vielen Taschen, graue Arbeitshose mit Protektoren, Handschuhe und Stiefel. Es war nicht nur passend, sondern auch unauffällig. In dem schummrigen Licht des Lagerbereichs im Distribution Center verschmolz ich mit meinem grauen Outfit teilweise mit der Umgebung. Kaum jemand bemerkte, wenn ich abseits der Arbeit durch die Gänge schlich.
Der Lagerbereich des Distribution Centers war riesig. Lange Gänge mit getrennten Fahr- und Gehwegen und hohe Hallen, in denen Frachtcontainer an Magnetwänden bis unter die Decke hingen. Auch auf dem Boden stapelten sich überall Container und Kisten. Dazwischen standen Gabelstapler und Hovertrollies. Untermalt wurde das Ganze durch das permanente Brummen der ausgeklügelten Maschinerie, die wie Zahnräder ineinander griff und die Fracht akribisch abwickelte. Geschäftig liefen Lagerarbeiter hin und her und erledigten, was die Maschinen nicht konnten.
Interessanterweise gab es, genau wie oben im Verwaltungsbereich, Wartungsgänge, die eine Ebene tiefer lagen. Durch diese konnte man sich völlig unbemerkt durch das Distribution Center bewegen. Wie ein Geist, konnte man an einer Stelle verschwinden, um an einer ganz anderen Stelle plötzlich wieder aufzutauchen.
Die Arbeit war eintönig. Meistens war ich mit einem Mule Transportfahrzeug unterwegs und brachte Frachtkisten von einem Punkt des Distribution Centers zum anderen. Meistens im Innenbereich, manchmal auch draußen in der Kälte.
Genau wie viele andere Arbeiter schlief ich im Distribution Center. Es gab oben im Verwaltungsbereich einen Schlaf- und Aufenthaltsraum, in dem wir auch essen konnten. Jeden Abend war jemand anderes für das Essen zuständig. Manche versuchten sich als Köche und bereiteten richtiges Essen zu. So richtig mit Zutaten schneiden und auf einer Kochstelle kochen. Es war nicht immer lecker, was in der Pfanne vor sich hin köchelte. Einmal ging ich interessiert zum Herd und hob den Kopf über die Pfanne. Die aufsteigenden Gerüche ließen mich zurück zucken. Ich hatte keine Ahnung, ob der Typ uns vergiften wollte.
Die gemeinsamen Abende waren gute Gelegenheiten, Kontakte zu knüpfen. Vorsichtig versuchte ich, Vertrauen aufzubauen, Informationen aus den anderen herauszubekommen und Gerüchten nachzugehen. Doch die Zeit wurde knapp. Die Tage vergingen, ohne dass ich etwas Wesentliches herausfand.
Bis ich an meinem vorletzten Tag jemanden im Wartebereich traf, wo die Kuriere auf ihre Aufträge warteten. Es war ein kräftiger, bärtiger Typ mit einem kantigen Gesicht. Die Art von Person, die nicht nur ihren Job machte, sondern immer auch nach einer Gelegenheit suchte, ein bisschen Geld in die eigene Tasche zu stecken.
Er stand in einer Ecke mit dem Rücken zum Raum. Ich saß an einem der vielen Tische und trank einen Kaffee. Sein Körper verdeckte, wie er gerade etwas in eine Kiste verstaute. Leise stand ich auf, stellte mich neben ihn und sprach ihn leise an.
“Wenn eine Lieferung an einen alternativen Ort gebracht werden soll, kann ich helfen.”
Ohne mich anzuschauen, antwortete er mit einer tiefen, brummigen Stimme.
“Du bist einer der Leiharbeiter, die nach einer Woche wieder weg sind?”
“Ja genau. Und das bringt die Möglichkeit, dass ich morgen ganz offiziell verschwinde und etwas mitnehme.”
Er schaute sich kurz um, dann sagte er.
“Für die Verteilung der Kurieraufträge ist der Disponent zuständig. Sprech ihn an, auf die Eilboten Sendungen zum Outpost.”
Dann drehte er sich um und verließ den Warteraum. Ich war allein im Raum. Auch hinter dem Tresen, wo sonst der Disponent stand, war niemand. Wahrscheinlich war er kurz auf der Toilette. Das war die Gelegenheit, einen Blick hinter den Tresen zu werfen. Ich zögerte. Lagerarbeiter und Kuriere durften nicht hinter den Tresen. Nur der Disponent durfte sich dort aufhalten. Aber was konnte schon Schlimmes passieren, wenn ich erwischt wurde. Wenn sie mich rauswarfen, war das kein Problem. Meinen Job war ich deswegen nicht los.
Es sei denn, hier liefen wirklich krumme Geschäfte und meine Tarnung würde auffliegen. Dann sah die Sache ganz anders aus. Es gab hier schon einen Toten. Den Kontaktmann von Crusader Industries. Es war noch nicht klar, ob es ein Unfall war. Vielleicht hatte er etwas herausgefunden und war aufgeflogen. Vielleicht hatte es jemand wie einen Unfall aussehen lassen und ihn umgebracht, um zu vertuschen, was er herausgefunden hatte.
Wie viel Zeit hatte ich? Wie lange würde es dauern, bis der Disponent zurück war, oder sonst jemand kam. Je länger ich hier stand und überlegte, desto weniger Zeit blieb mir. Ich war hin und hergerissen. War es das Risiko wert? Hatte ich irgendeine Verpflichtung gegenüber Crusader Industries? Ich konnte morgen einfach gehen und sagen, ich hätte nichts herausgefunden.
“Verflucht Zero! Du bist ein loyaler Idiot!”, sagte ich zu mir selbst, als ich zum Tresen lief.
Crusader Industries hatte mir einen Neuanfang geschenkt. Das konnte ich nicht ignorieren.
Eilig lief ich um den Tresen herum. Kaum war ich auf der anderen Seite, blieb ich überrascht stehen. Direkt unter dem Monitor des Disponenten, der auf dem Tresen stand, war eine Kiste gelagert. Auf der Kiste war ein Munitions-Symbol. Zögerlich näherte ich mich und untersuchte kniend die Kiste.
Als ich sie geöffnet hatte, traute ich meinen Augen nicht. Ich griff hinein und nahm eine Zieloptik für eine Waffe heraus. Sie hatte einen Restlichtverstärker. Das war Militärtechnik, die es auf dem freien Markt nicht zu kaufen gab. Und unter dem Ladentisch eines Disponenten hatte sie sicher nichts zu suchen.
Ich stand auf und aktivierte den Monitor. Eilig stellte ich eine drahtlose Verbindung zu meinem Mobiglas her, um die Auftragslisten zu kopieren. Dann kniete ich wieder hinter den Tresen und wartete auf das Ende des Kopiervorgangs.
Das rumpelnde Geräusch der Tür hallte plötzlich durch den Raum. Erschrocken hielt ich den Atem an. Schritte kamen näher, genau auf den Tresen zu. Es waren nicht die Schritte von Arbeiter-Stiefeln, sondern Schritte von Halbschuhen. Es musste der Disponent sein, der zurückkam. Instinktiv kauerte ich mich noch kleiner hinter dem Tresen zusammen.
Die Schritte kamen immer näher, dann verstummten sie. Ich hielt immer noch den Atem an und schloss in Erwartung dessen, was jetzt passieren würde, die Augen. Dann waren die Schritte wieder zu hören. Sie entfernten sich nach rechts und verstummten abermals. Ein Piepton erklang von rechts. Konnte das vom Getränkeautomaten kommen, der dort stand?
Schließlich war das Poltern einer Getränkedose zu hören, die durch den Automaten zur Ausgabe fiel. Blitzartig ergriff ich die Gelegenheit und sprang über den Tresen. Der Disponent stand vor dem Getränkeautomaten, mit dem Rücken zu mir. Erschrocken drehte er sich um, als er mich hörte.
Betont eilig ging ich auf ihn zu und sagte.
“So eine brauch ich jetzt auch. Bin am verdursten. Lange Schicht.”
Etwas irritiert über meinen plötzlichen Auftritt schaute der Disponent mich an. Ohne ihn weiter zu beachten, drückte ich auf den Knopf am Automaten. Polternd fiel eine Dose zur Ausgabe. Ich nahm sie und ging zum Ausgang. Auf halbem Weg hob ich während dem Gehen die Dose über meinen Kopf und sagte, ohne mich umzudrehen.
“Muss weiter. Die Schicht ist noch nicht zu Ende.”
Der Kopiervorgang war inzwischen abgeschlossen.
*
Am nächsten Tag flog ich zurück nach Orison, um den Manager zu treffen.
“Danke Zero für ihren Einsatz. Es sieht so aus, als ob sich die Aktivitäten inzwischen auf ein anderes Distribution Center verlagert haben. Wir haben jetzt auch dort einen verdeckten Ermittler im Einsatz. Ich weiss noch nicht, ob offizielle Stellen in die Sache verwickelt sind. Daher würde ich gerne weiter ihre Dienste in Anspruch nehmen. Für einen letzten Einsatz. Wir haben jetzt genug Beweise für eine offizielle Untersuchung im Distribution Center. Dazu habe ich jemanden bei Microtech kontaktiert, dem ich vertraue. Ich würde Sie gerne als Sonderermittler schicken, um mit dieser Person gemeinsam die Sache aufzuklären.”
“Ernsthaft?”
Meine Reaktion war müde und trocken. Der Manager lächelte mich an.
“OK, diese eine letzte Sache noch. Dann bin ich raus.”
“Danke Zero. Ich werde mich erkenntlich zeigen.”