Ein vermisster Kontaktmann führte mich zurück zum Distribution Center, aus dem ich zuvor unter seltsamen Umständen ein Paket geholt hatte.
“Zero, ich brauche Sie nochmal in dem Distribution Center.”
“Noch ein Paket?”
“Nein, eine Person.”
Mein Gesicht schien Bände zu sprechen. Es musste eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Unglaube gewesen sein. Der Manager der Abteilung für Forschung, Entwicklung und Logistik von Crusader Industries schob schnell hinterher.
“Äh nein, nicht transportieren. Sie müssen sie finden.”
“Wie bitte?”
“Ja, die Sache ist die, wir haben einen Kontaktmann in dem Distribution Center. Er hatte das Paket, das Sie geholt hatten, zum Security Compound gebracht. Allerdings haben wir den Kontakt zu ihm verloren. Fliegen Sie hin und schauen, was los ist.”
Grummelnd drehte ich mich um und ging zur Tür.
“Und Zero. Tragen Sie besser eine Rüstung. Man weiß ja nie.”
Ich blieb stehen und drehte den Kopf. Der Manager saß in seinem blauen, zerknitterten Hemd hinter seinem Schreibtisch, lächelte und hob die Schultern. Hinter ihm hingen an der Wand die gerahmten Bilder der Schiffe von Crusader Industries. Und das Bild mit der stilisierten Krähe, die als Graffiti in Cousin’s Crow zu sehen war. Für eine Sekunde schaute ich ihn stirnrunzelnd an. Dann verließ ich sein Büro. Die Tür fiel mit einem deutlich zu hörenden Knall ins Schloss.
*
Da stand ich wieder in der großen Lobby des Distribution Centers. Durch das Glasdach und die großen seitlichen Fenster flutete Licht in die Halle. Schattenspiele verzierten die Betonkonstruktionen und den Boden. Es war beeindruckend. Wenn da nur diese unheimliche Stille nicht gewesen wäre. Keine Menschenseele war zu sehen.
Ein Rascheln rechts von mir erschreckte mich. Alle meine Muskeln spannten sich an. Es war eine Pflanze, die von einem Windstoß in Wallung geraten war. Mit einem kräftigen Atemzug presste ich die angespannte Luft aus meinen Lungen und ging zum Empfang. Aber auch hier war niemand zu sehen.
Links und rechts von der langen Empfangstheke gab es einen Durchgang zum hinteren Teil der Lobby. ‘Security Control Room’ stand auf einem Schild, das nach hinten zeigte. Ich schaute mich kurz um und ging dann durch den Kontrollbereich nach hinten in den Kontrollraum der Security. Es war ein großer Raum mit einem Besprechungstisch und zwei Arbeitsplätzen mit Überwachungsmonitoren. Darauf waren die Bilder von verschiedenen Kameras im Distribution Center zu sehen.
Die Tastatur vor den Bildschirmen klackerte, während ich sie benutze, um mir Zugriff zu verschaffen. Als ich im System war, fingen die Aufzeichnungen der Kameras an, rückwärts im Schnelldurchlauf über die Bildschirme zu flackern. Es dauerte eine Minute, bis ich den Kontaktmann auf dem Bildschirm sah. Er stieg in einen Wartungsschacht, dort gab es keine Kameras. Jetzt wusste ich zumindest, wo ich mit meiner Suche anfangen musste.
Der Zugang zum Wartungsschacht war eng. Auf allen vieren kroch ich hindurch, um mich plötzlich in einem geräumigen Wartungsbereich wiederzufinden. Im gelblichen Licht der schwachen Beleuchtung waren Rohrleitungen, Ventilatoren und Monitore zu sehen. Dampf stieg an einigen Stellen zischend auf. Frachtcontainer und Kisten standen auf dem Gitterboden. Spätestens jetzt war ich froh, eine Rüstung zu tragen. Ein langer halbdunkler Gang mit Abzweigungen und Türen führte nach links und rechts. Es roch geradezu nach einem Hinterhalt.
Begleitet vom metallischen Klacken meiner Stiefel, das durch den Gang hallte, ging ich nach rechts. Vorsichtig bewegte ich mich an der Wand entlang, vorbei an weiteren Rohren und Kisten. Manchmal wurde der Gang enger, dann wieder breiter. Irgendwann erreichte ich die zentrale Lüftungsanlage. Große Ventilatoren waren in die Wand eingelassen, Filter lagen auf dem Boden. Es erinnerte mich an meine Zeit in Levski, wo ich als Mitglied des Wartungsteams die Lüftungsanlage gewartet hatte. Nur war hier alles viel moderner als in der alten, heruntergekommenen Bergbaustation Levski.
Ich ging weiter, nahm eine Abzweigung nach rechts und fing an die Orientierung zu verlieren. Die dunklen Gänge waren unheimlich und verwinkelt. Schließlich erreichte ich eine Öffnung in der Wand, durch die helles Licht schien. Sie war schmal und auf Kopfhöhe. Durch die Schlitze eines Gitters konnte ich direkt in die Lobby schauen. Dann fand ich Wartungsklappen, die in die Lobby und zum oberen Landepad führten. Diese Gänge schienen geeignet zu sein, um sich unbemerkt durch den Verwaltungsbereich des Distribution Centers zu bewegen. War der Kontaktmann deshalb hierher gekommen? Nur wo war er?
Ich ging weiter, kletterte eine Leiter hinauf zu einem schmalen Durchgang, der auf der anderen Seite zu einem weiteren Wartungsgang führte. Plötzlich strömte neben mir Gas aus einem Rohr. Wie ein Peitschenhieb traf es mich mitten ins Gesicht. Das Gas war nicht heiß, aber trotzdem führte es zu einer heftigen Reaktion. Mein Körper zitterte und begann unkontrolliert zu Husten und Würgen. Ich fiel auf die Knie und spuckte Schleim auf den Metallboden. Mein Sichtfeld fing an zu verschwimmen, alles drehte sich. Mein Blutdruck schoss in die Höhe und ließ meine Halsschlagader anschwellen. Mit zitternden Händen griff ich nach meiner Medgun. In einer letzten kontrollierten Bewegung setzte ich die Medgun an meinen Arm und drückte ab.
Während ich auf dem Boden saß, verschwand langsam das Schwindelgefühl. Mein Blick wurde klarer. Nach einer Minute stand ich mühsam auf und setzte zur Sicherheit meinen Helm auf. Die Wartungsgänge waren gefährlicher als ich dachte. Noch etwas benommen suchte ich weiter nach einer Spur zum vermissten Kontaktmann.
Irgendwann erreichte ich einen schmalen, horizontalen Schacht. Einen Lüftungsschacht oder so etwas. Es war stockdunkel in dem Schacht. Ich hasste dunkle enge Gänge und Höhlen. Für einen Moment stand ich davor, sammelte meinen Mut und kroch dann hinein. Die Dunkelheit verschluckte mich. Auf allen vieren bewegte ich mich vorwärts. Bei jedem Schritt hallte das Scheppern von Blech durch den Schacht.
Nachdem ich einige Meter in den Schacht gekrochen war, schaltete ich meine Helmlampe ein. Das Licht reflektierte von der grauen Blechwand und leuchtete den Bereich vor mir aus. Schlagartig zuckte ich zurück und krachte scheppernd gegen die Wand.
“Scheiße!”
Mein erschrockener Schrei dröhnte in meinem Helm. Ich musste mich kurz sammeln, dann schaute ich mir genauer an, was im Licht vor mir lag. Ein Mann, der einen braunen Arbeitsoverall mit Protektoren an den Ellbogen und Knien trug. An seinem Gürtel hing Equipment für Wartungsarbeiten. Es war der Kontaktmann. Er war tot.
Die Todesursache konnte ich nicht feststellen. Es waren keine Anzeichen von äußerer Gewalt zu sehen. Wurde er umgebracht? Oder war er auch dem Gas ausgesetzt, das mich umgehauen hatte? Und was machte er in diesem dunklen Schacht?
Ich konnte nichts weiter tun, als alles zu dokumentieren. Meine Aufgabe war erledigt. Sollten andere sich um die Aufklärung kümmern.