Log #202 – Zwischen den Fronten

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Mit einem Hacking-Angriff wollten wir ein paar Dinge bereinigen. Es kam anders als gedacht.


Es war so weit. Der Hacking Chip, den ich für Chris Kross entwickelt hatte, war fertig. Die Daten von Chris, die er seinem Hurston-Konto hinzufügen wollte, hatte ich auf den Chip kopiert. Zusätzlich einen Wurm, der alle Datenbanken durchsuchen und sämtliche Einträge über mich löschen würde. Es war mein Weg in die Freiheit. In die Freiheit, mich wieder frei im Stanton System bewegen zu können, ohne Angst zu haben, von den Schergen von Hurston Dynamics gejagt zu werden. Die Sache hatte nur einen Hacken. Der Zentralrechner von Huston Dynamics hatte die höchste Sicherheitsstufe. Es gab nur einen Weg an ihn ran zu kommen. An der Administrationskonsole in einem schwer bewachten Security Bunker von Hurston Dynamics.

Chris half mir. Er hasste die Hurston Familie genauso wie ich und schreckte nicht davor zurück, die Wachen im Bunker auszuschalten. Trotzdem wollten wir vorher den Überwachungs-Satelliten im Orbit des Planeten Hurston deaktivieren. Es musste ja nicht so ganz offensichtlich sein.

*

Chris’ Crusader C1 Spirit war so flach wie die Solarzellen des Überwachungssatelliten. Chris hatte sie perfekt neben den Solarpaneelen geparkt, außerhalb der Reichweite der Abwehrtürme. Die C1 fiel kaum auf. In der Dunkelheit verschmolz sie mit dem Satelliten. Für ein paar Sekunden schwebte ich im All und betrachtete das Schauspiel. Dann drehte ich mich um und steuerte auf den Wartungsschacht zu, der mich ins Innere des Satelliten führte.

Übelkeit überkam mich, als ich das Innere des Satelliten erreichte. Tief ging der kreisrunde Raum wie eine Röhre nach unten. Oder nach oben? In der Schwerelosigkeit war das schwer zu sagen. Alles war relativ. Ohne einen Fixpunkt verlor man schnell die Orientierung. Mein Fixpunkt war die Einbuchtung in der mittig durch die Röhre gehenden Säule. Dort befand sich der Wartungscomputer.

Die grünen Lämpchen am Wartungscomputer bestätigten, dass der Satellit online war. Seltsamerweise war der Bildschirm nicht gesperrt, ich hatte Zugriff. Das Unterprogramm zum Abschalten des Satelliten war geöffnet. Es sah so aus, als hätte jemand erfolglos versucht, den Satelliten herunterzufahren. Mein Finger berührte den Knopf mit der Aufschrift ‘Disconnect’. Die Lämpchen wechselten die Farbe. Das rote Licht spiegelte sich in meinem Visier.

Als ich wieder an Bord der Spirit war, gab Chris vollen Schub. Die Beschleunigung war atemberaubend. Für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Innerhalb weniger Minuten hatte uns Chris auf die Oberfläche des Planeten Hurston gebracht und war hinter dem Bunker im toten Winkel des Abwehrturms gelandet.

Nachdem uns der Lastenaufzug in die Tiefe des Bunkers gebracht hatte, trauten wir unseren Augen nicht. Direkt vor uns war ein Steg, der über ein Loch führte und in einer Nebelwand verschwand. Links und rechts davon führte der Raum nach hinten. Überall standen Paletten mit Kisten. Ein lebloser Körper lag auf dem Boden. Er trug die schwarz-gelbe Rüstung von Hurston Security.

“Was ist denn hier los? Wenn die Wachen alle auf dem Boden liegen, wird das ein Spaziergang.”

Plötzlich hörten wir Stimmen. Instinktiv gingen wir hinter ein paar Kisten in Deckung. Chris schaute um eine Kiste herum.

“Da sind Nine Tails. Was zum Teufel machen die denn hier?”

“Vielleicht bekommen wir Unterstützung.”

“Oder auch nicht”, schnaubte Chris. “Deine Hurston Security Rüstung macht Dich nicht zum Freund von denen.”

Ratlos blicke ich an mir herunter. Die schwarz-gelbe Rüstung mit der Aufschrift “HD”, die ich zur Tarnung angelegt hatte, war in dieser Situation eher von Nachteil als von Vorteil. Ich hätte mir auch eine Zielscheibe auf die Brust kleben können. In diesem Moment zischten die ersten Kugeln über unsere Köpfe hinweg. Chris erwiderte das Feuer. Während ich noch hinter der Kiste lauerte, war er schon nach vorne gestürmt.

Vorsichtig schaute ich über die Kiste. Ich hörte Schüsse, Schreie, konnte aber niemanden sehen. Nur mit einer Pistole bewaffnet, folgte ich Chris. Nach wenigen Schritten tauchte rechts hinter einem Kistenstapel ein Nine Tail auf. Er schoss. Einige Kugeln aus seiner Schrotflinte trafen meinen Helm. Ich wurde zurückgeschleudert. Mir wurde schwarz vor Augen. Wie von Sinnen schoss ich blind in die Richtung des Nine Tails, bis meine Pistole nur noch Klack Klack machte. Das Magazin war leer. Ich hatte noch nicht nachgeladen, als von links ein Trampeln wie von einer Büffelherde zu hören war. Jemand kam angerannt. 

“Da ist eine ganze Horde Nine Tails. In Deckung!”. Es war Chris.

Mit verschwommenem Blick folgte ich Chris zurück hinter die Kisten am Eingang. Während ich mich mit der Medgun behandelte, hörte ich Chris unaufhörlich schießen. Schließlich verstummten die Schüsse.

“Wir müssen in den Serverraum. Links oder rechts rum?”

“Links rum”, sagte Chris und lief los.

Ich folgte ihm. Unterwegs nahm ich das FS-9 Gewehr von einem gefallenen Nine Tail. Der Bunker war ein Schlachtfeld. Überall lagen Waffen, Körper von Nine Tails und Hurston Security Wachen. Stück für Stück kämpften wir uns vor, bis wir schließlich den Serverraum erreichten.

“Ganz hinten ist die Admin Konsole. Halt mir den Rücken frei”, rief ich Chris zu, während ich an einigen Server-Schränken vorbei rannte. 

Kaum hatte ich den Hacking Chip in den Computer Slot gesteckt, begann er seine Arbeit. Mit einer Brut Force Methode versuchte er, in den Zentralrechner zu kommen. Die massive Attacke brachte die Server an ihre Leistungsgrenzen. Die Lüftung der Server wurde immer lauter. Ungeduldig beobachtete ich, wie sich der Fortschrittsbalken auf dem Bildschirm nur sehr langsam bewegte. Plötzlich schrillte ein Alarmton durch den Raum.

“Verflucht! Die Kühlung von einem der Serverschränke ist ausgefallen.”

Es war der Schrank gleich neben der Admin-Konsole. Direkt am Kopfende des Schrankes war ein Display. Darauf war zu sehen, wie die Temperatur des Servers unaufhaltsam stieg. Ich drückte auf den Knopf zur Reaktivierung der Kühlung. Das Display zeigte ein Eingabefeld für einen Code an.

“Scheiße! Ich brauche einen Code, um die Kühlung zu reaktivieren. Ein befreundeter Hacker hat mir gesagt, dass die Codes für die Kühlung auf einem der Bildschirme im Bunker stehen. Such den mal und geb mir den Code durch.”

Chris rannte los. Die Temperatur des Servers stieg weiter. 

“Chris beeil Dich. Der Server raucht gleich ab.”

“Moment. Hier sind überall Nine Tails. Ich muss mich durchschießen. Scheiße sind das viele.”

Die Sekunden verstrichen so langsam wie Stunden. Die Temperaturanzeige hatte schon den roten Bereich erreicht. Verdammt, warum brauchte Chris nur so lange. Dann meldete er sich über Funk.

“Hier ist er. 3769.”

Kaum hatte ich den Code eingegeben, lief die Kühlung wieder. Erleichtert kehrte ich zum Bildschirm der Admin-Konsole zurück. Der unterbrochene Upload wurde fortgesetzt. Ich war so auf den sich langsam bewegenden Fortschrittsbalken fixiert, dass ich nicht bemerkte, wie sich am anderen Ende des Serverraums eine Tür öffnete. Mehrere Nine Tails kamen heraus. Sie zielten mit ihren Waffen auf mich. Ein Stakkato abgefeuerter Kugeln hallte durch den Raum.

Die Nine Tails fielen zu Boden. Chris betrat humpelnd den Serverraum.

“Verdammte Scheiße sind das viele. Die sind überall. Mich hat es am Bein erwischt. Kann kaum laufen.”

Schockiert schaute ich auf den Haufen lebloser Körper. Gerade als ich etwas sagen wollte, ertönte erneut der Alarm. Wieder war die Kühlung des Servers neben der Admin-Konsole ausgefallen.

“Ich mach so schnell ich kann”, sagte Chris, während er aus dem Serverraum humpelte.

Die Temperatur stieg und stieg. Über Funk hörte ich Chris nur fluchen und schießen. Die Tür am Ende des Serverraums öffnete sich wieder. Mit einem Satz sprang ich hinter den Serverschrank. In der Hocke kauernd wartete ich. Plötzlich stand jemand in Hose, Hemd und Schirmmütze vor mir. Darauf stand ‘Security’. Es war ein Sicherheitsmann von Hurston Security. Langsam senkte er die Pistole, die er auf mich gerichtet hatte. Dann fielen mehrere Schüsse. Der Security-Mann sackte in sich zusammen. Zwei Nine Tails in schwerer Rüstung kamen um die Ecke. Das Magazin meines FS-9 Gewehrs entlud sich unkontrolliert. Mit rauchendem Gewehr saß ich auf dem Boden, die beiden Nine Tails und der Security Mann lagen direkt vor mir. Was für eine Scheiße, ich bin Hacker, kein Soldat.

Plötzlich spuckte der Serverschrank Funken und Rauch aus. Die Server-Blades waren verschmort. Ich schaute fassungslos auf eine unförmige Masse aus geschmolzenem Metall und Plastik.

“Ich hab den Code”, rief Chris über Funk.

“Zu spät. Der Server ist abgeraucht. Hoffentlich schaffen die anderen Server ……”

Der Alarmton unterbrach mich jäh. Bei einem weiteren Server war die Kühlung ausgefallen. 

“Chris!”, rief ich in den Funk.

“Ja! Moment! Hier ist die Hölle los! …. Da ist er. 2591.”

Ich gab den Code ein. Das Display zeigte ‘Error’ an.

“Falscher Code. Es muss einen anderen geben”, schrie ich mit immer stärker werdender Panik in den Funk. Röchelnd antwortete Chris.

“Die haben mich erwischt. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Du musst mir helfen….”

Seine Stimme verstummte. Mehr in Panik als unter Kontrolle stürmte ich aus dem Serverraum in Richtung Chris’ Peilsender. Überall lagen leblose Körper, über die ich steigen musste. Plötzlich tauchte ein Nine Tail vor mir auf. Ich schoss, stolperte über einen Körper und schlug hart auf dem Boden auf. Als ich wieder aufstand, stand ich inmitten eines Haufens lebloser Nine Tails. Chris konnte ich allerdings nicht sehen. Dann entdeckte ich ihn. Reglos lag er halb unter einem Nine Tail.

Panik übermannte mich. Mit zittrigen Händen richtete ich meine Medgun auf ihn. Nach einigen Sekunden zeigte sie Wirkung. Kaum war Chris auf den Beinen, rannte ich zurück zum Serverraum. Auf halbem Weg erwischte mich eine Kugel im Rücken. Die Wucht schleuderte mich gegen eine Wand. Irgendwie schaffte ich es, auf den Beinen zu bleiben und in den Serverraum zu stolpern. Aus den Augenwinkeln sah ich noch einen Nine Tail. Schüsse peitschten durch den Raum. Ein stechender Schmerz fuhr durch meine Brust, es wurde dunkel vor meinen Augen.

Von Dunkelheit umhüllt, spürte ich erneut einen Stich in der Brust. Langsam wurde mein Blick klarer. Über mir kniete Chris mit einem Medpen in der Hand.

“Es sind zu viele. Wenn wir nicht sterben wollen, müssen wir uns zurückziehen.”

Ich sah mich um. Der Boden war übersät mit leblosen Körpern. Zwischenzeitlich waren zwei weitere Server abgeraucht. Die Lage schien aussichtslos. Mein Blick fiel auf die Admin-Konsole. Der Upload war unterbrochen. Drei Serverschränke qualmten. Vor dem Serverraum hörten wir Nine Tails und Hurston Security kämpfen. Chris hatte recht. Wir mussten hier raus. Irgendwie schafften wir es aus dem Bunker. Mit letzter Kraft erreichten wir Chris’ Raumschiff und flogen zurück nach Grim Hex.

Was für ein beschissenes Timing. Wir waren mitten zwischen die Fronten von Nine Tails und Hurston Security geraten und waren auf ganzer Linie gescheitert. Aber eine Sache war uns klar, wir würden es nochmal versuchen. Beim nächsten Mal mit Verstärkung. Doch zuerst mussten wir unsere Verletzungen in der verranzten Klinik von Grim Hex behandeln lassen.