Ein Auftrag für eine spezielle Verschlüsselung brachte Eigenschaften in mir zum Vorschein, die mich nachdenklich machten.
Friedrich hatte mir den Tipp gegeben, vor meinem Rückflug nach Pyro im Rayari Kaltag Research Outpost frische Lebensmittel zu kaufen. Diese könnte ich in Pyro mit einem sehr guten Gewinn verkaufen. Ich war gerade zum Tanken auf der Orbitalstation Port Tressler, als mich eine Nachricht von Xine erreichte.
Xine benötigte eine Verschlüsselung nach dem Diffie Hellmann Verfahren. Er hatte mich schon vor längerer Zeit darum gebeten, aber wir mussten die Sache wegen meiner Abreise nach Pyro verschieben. Das Komplizierte war, dass ich dafür einen Hochleistungsrechner brauchte. Den nötigen Cryptokey hatte Xine schon besorgt. Jetzt war ich an der Reihe.
Die notwendige Rechenleistung stand in einem Microtech Data Center zur Verfügung. Da ich mich ohnehin im Orbit des Planeten Microtech befand, war der Zeitpunkt günstig. Ich wollte zwar so schnell wie möglich zurück nach Pyro, um nach einer Spur von Brubacker und Husky zu suchen, aber Xine wollte in ein paar Stunden nach Port Tressler kommen. Auf einen halben Tag Verzögerung kam es nicht an, also beschloss ich, Xine jetzt zu helfen. Blieb nur die Frage, wie wir Zugang zum Data Center bekommen würden, ohne illegal einzubrechen.
Noch bevor Xine kam, hatte ich einen Weg gefunden. Ich konfrontierte ihn nach seiner Ankunft mit meinem Plan.
“Wir kommen problemlos in ein Data Center. Ich hab einen Unterstützungsauftrag angenommen, der uns Zugang verschafft. Anscheinend gibt es da einen Sicherheitsvorfall. Es ist von irgendwelchen Kriminellen die Rede. Du kümmerst Dich um die Kriminellen, ich um die Verschlüsselung. Aber vielleicht ist auch alles gar nicht so dramatisch und die lokalen Sicherheitskräfte haben die Situation schon bereinigt.”
Xine schaute mich etwas irritiert an. Er schien nicht ganz so begeistert zu sein. Ich zuckte nur mit den Schultern. Dann antwortete er.
“Ich gehe davon aus, wir fliegen mit meinem Schiff.”
Mein Grinsen war Antwort genug und kurze Zeit später landeten wir mit seiner Zeus zwischen verschneiten Bäumen in der Nähe des Data Centers.
“Ich sehe da jemanden vor dem Bunker rumlaufen. Keine Ahnung ob Freund oder Feind”, sagte Xine.
“Wenn die Person eine weiß-schwarze Rüstung trägt, dann ist sie von der Security. Dann nicht schießen“, antwortete ich.
“In dem Schneegestöber könnten alle Rüstungen weiss sein”, bemerkte Xine etwas zynisch.

Im Laderaum setzten wir unsere Helme auf und zückten unsere Waffen. Dann öffnete Xine die Heckrampe. Ein kalter, stürmischer Wind blies uns entgegen. Mein Plan war klar. Xine bediente die Waffen, ich die Computer. Meine Coda war mehr ein Alibi.
In einem Abstand von 30 Metern näherten wir uns in einer Linie dem Gebäude. Xine war auf meiner rechten Seite. Der im Abendlicht leuchtende Schnee knirschte unter unseren Stiefeln. Immer wieder musste ich die Schneeflocken vom Visier wischen.
Die Person, die Xine gesehen hatte, schien nicht mehr da zu sein. Doch plötzlich hörte ich Schüsse. Eine Leuchtspur kam auf mich zu, dann pfiffen Kugeln direkt an meinem Helm vorbei.
“Kontakt!”, rief Xine.
Weitere Schüsse fielen. Ich hatte keine Ahnung, woher die Schüsse kamen und wer schoss. Wie in Trance rannte ich zum Gebäude und ging an einer Ecke in Deckung.
“Kontakt an der anderen Gebäudeseite. Ich muss nachladen”, hörte ich Xine wie aus weiter Entfernung.
Vorsichtig schaute ich um die Ecke. 20 Meter entfernt stand eine Person. Das rosa Zeichen auf seiner Brust identifizierte ihn eindeutig als Nine Tail. Wie ferngesteuert legte ich den Coda Revolver an, zielte und drückte ab. Der Nine Tail fiel rücklings in den Schnee.
Es war, als ob sich bei mir ein inneres Programm aktiviert hatte, ein Überlebensprogramm. Ohne es bewusst zu wollen, rannte ich los zu einer Plattform, auf der mehrere Container standen. Xine ging links an der Plattform entlang, ich rechts. Wieder fielen Schüsse.
“Verdammt”, rief Xine. “Es hat mich am Arm erwischt. Er muss auf Deiner 10 Uhr Position sein.”
Als ich das Ende der Plattform erreichte, schaute ich um einen Container herum nach links. Zweimal dröhnte es aus meinem Revolver. Ein weiterer Nine Tail lag im Schnee. Während ich die Waffe des erledigten Piraten untersuchte, hörte ich Xine.
“Der Eingang ist gesichert.”
Wenige Sekunden später hatte uns der Fahrstuhl in die tiefen Eingeweihte des Bunkers gebracht.

“Siehst Du irgendwelche Wachen?”
“Nein, aber Nine Tails.”
Blitzschnell suchten wir Schutz hinter den Frachtkisten am Eingang. Doch es war zu spät. Eine ganze Armada stürmte auf uns zu. Aus allen Rohren wurde geschossen. Es war ein ohrenbetäubender Lärm und ein totales Chaos. Die sechs Schuss meiner Coda waren schnell verbraucht. Während ich nachlud, hörte ich Xine gegen den Lärm anbrüllen.
“Lade nach!”
Als ich ein neues Magazin in meinen Revolver gelegt hatte, schaute ich auf. Wie ein bedrohlicher Tsunami türmte sich direkt vor mir ein Hüne von einem Nine Tail in schwerer Rüstung auf. Die Patronen aus meinem schweren Revolver warfen sich ihm entgegen.
Dann war es plötzlich totenstill. Vor uns lagen mehrere leblose Körper in Nine Tails Rüstung.
“Du kannst ja doch schießen”, stellte Xine fest.
“Wenn es sein muss”, antwortete ich nachdenklich.
Irgendwas war bei mir aus der Balance geraten. Die Lebensgefahr brachte mich ab vom Weg der Mitte und drückte mich zu einem extremen Pol. Ray Keaton hatte mal gesagt “Wer Frieden will, muss zu Gewalt bereit sein”. Ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht der Weg der Mitte war. Allerdings hatten die extremen Situationen, die ich erlebt hatte, etwas mit mir gemacht. Extreme Gefahren triggerten ein inneres Programm, das die Kontrolle über meine Handlungen übernahm. Ich war mir unsicher, ob das gut war. Andererseits war es angesichts der allgegenwärtigen Gewalt kein Fehler, sich verteidigen zu können.
“Suchen wir den Serverraum”, sagte ich zu Xine. “Und wenn Du eine Waffenkiste siehst, schau mal rein. Ich brauche ein P6 Scharfschützengewehr und eine Railgun.”
“Aus Dir werde ich wirklich nicht schlau”, grübelte Xine.
Vorsichtig schlichen wir durch den Bunker. Auf unserem Weg zum Serverraum fanden wir nichts außer den Tod. Die leblosen Hüllen von Nine Tails und Wachen lagen überall verstreut. Wir waren die einzigen lebenden.
An der Serverkonsole dauerte es nur wenige Minuten, um die Software für die Verschlüsselung zu erstellen und auf den Stick von Xine zu übertragen. Bevor wir den Bunker verließen, nahm ich die Uniform von einem toten Wachmann.
“Hast Du den gerade ausgezogen?”, fragte Xine mit einem entsetzten Unterton.
“Das Gesetz der Wüste. Lasse nichts zurück“, antwortete ich knapp.
“Diese Antwort hatte ich befürchtet”, erwiderte Xine.
Als wir zurück auf Port Tressler waren, lud ich Xine zu einem Rust in die White Rabbit ein. Sein Husten zeigte deutlich, dass er ein so starkes Getränk nicht gewohnt war. Auch ich konnte eine Reaktion auf das Brennen des intensiven Alkohols nicht unterdrücken. Wir sinnierten über die Eigenschaften unserer Raumschiffe. Obwohl Xine erst kürzlich über dubiose Wege an seine Zeus gekommen war, liebäugelte er mit einer Mercury Star Runner.

Schließlich verabschiedete ich mich von ihm und brach auf, um frische Lebensmittel zu kaufen. Einige Stunden später näherte ich mich dem Pyro-Sprungpunkt. Der Sprung in das chaotische und gewalttätige Sternensystem stand kurz bevor. Das Sternensystem, in das Husky und Brubacker aufgebrochen und spurlos verschwunden waren. Ich konnte nur hoffen, dass ich irgendeinen Hinweis auf die beiden finden würde. Und ich hoffte, dass auf der anderen Seite des Wurmlochs niemand wartete, der der Meinung war, ich würde immer noch wertvolle Daten transportieren oder sich wegen der Enthüllung über die Slicers rächen wollte.