Ein Salvage Trip bekam mehr als eine unerwartete Wendung.
Ich hatte einen heißen Tipp bekommen. Eine Caterpillar die einsam und verlassen im Orbit des Mondes Arial trieb und nur darauf wartete, verwertet zu werden. Das Schiff befand sich im Schatten eines riesigen Asteroiden. Die Scheinwerfer meiner Vulture konnten nur einen Teil des Rumpfes ausleuchten. Mehr brauchte ich nicht, um die Hülle abzutragen. Stück für Stück frästen sich die Laser über die Außenhaut der Caterpillar, verflüssigten die wertvollen Legierungen, saugten sie in den Bauch der Vulture und hinterließen ein nacktes Gerippe.
Während die Laser monoton brummten beobachtete ich angespannt die roten Punkte auf dem Radar. Auf der anderen Seite des Asteroiden befanden sich feindliche Schiffe. Ich vermutete, es waren Slicers, eine Piratengruppe aus dem Pyro-System, die aktuell im Stanton System ihr Unwesen trieb. Solange sie mich in Ruhe ließen, war mir egal, was sie trieben. Immerhin konnte ich das, was nach ihren Überfällen übrig war, verwerten und zu Profit ummünzen.
Auf dem Radar war ein wildes Ballet zu beobachten. Die roten Punkte tanzten wie die Fliegen um einen gelben Punkt. Dann hörte ich eine bekannte Stimme im offenen Funkkanal.
“Stellen Sie das Feuer ein. Hier spricht Friedrich Winters. Hören Sie auf zu schießen.”
Ich konnte nicht in mich halten und antwortete.
“Hey, wer ballert da so sinnlos in der Gegend rum?”
“Zero?! Was machst Du da?”
Es war die Stimme von Brubacker.
“Ich salvage das Schiff hinter dem Asteroiden”, antwortete ich.
“Komm lieber her und hilf uns.”
Die Stimme von Brubacker klang fast panisch.
“Geht nicht. Bin nur mit einer Vulture unterwegs.”
“Zero, beweg jetzt endlich deinen Hintern her.”
Das konnte doch nicht wahr sein. Jetzt musste ich mit dem kleinen Bergungsschiff den beiden aus der Patsche helfen. Was man nicht alles tat um seinen Freunden zu helfen. Meine einzige Chance war das Überraschungsmoment. Ich schaltete eine Buccaneer mit dem Zielcomputer auf und stürzte mich aus dem Schatten kommend wild feuernd auf den kleinen Jäger. Es funktionierte und mein Gegner war schnell ausgeschaltet. Im konzentrierten Feuer der Vulture und der 600i von Friedrich erledigten wir auch den Rest.
Ich verkniff mir jeden Kommentar darüber, dass meine kleine Vulture, der mächtigen “Silver Arrow” von Friedrich Winters den Arsch gerettet hatte. Stattdessen machte ich mich wieder an die Arbeit und trug weiter die Hülle der Caterpillar ab. Friedrich und Brubacker waren in der Zwischenzeit an Bord der Caterpillar gegangen. Über die geöffneten Frachtlucken konnte ich mehrere Container sehen. Noch mehr Beute. Innerlich rieb ich mir die Hände. Bru und Friedrich hatten daran bestimmt kein Interesse. Aber was wollten die beiden an Bord?
Plötzlich höre ich Friedrich im Funk.
“Das ist die Beluga. Das Schiff und seine Mannschaft kenne ich. Sie übernehmen hin und wieder Frachtaufträge für mich, wenn ich einen Cruise vorbereite.”
Das war ein Ding. Mir lief es heiß den Rücken runter. Dann gehörte die Fracht an Bord, vermutlich Friedrich. Überfordert von der Situation vergaß ich den Laser zu bedienen. Der heiße Strahl penetrierte ohne Unterlass die selbe Stelle der Schiffshülle. Unterdessen durchsuchten Friedrich und Brubacker das Schiff und rätselten, was aus der Mannschaft geworden war.
Plötzlich fuhr mich Brubacker über Funk an.
“Zero, kannst du das jetzt endlich mal lassen?”
“Wieso? Man darf nichts verkommen lassen”, versuchte ich mich zu rechtfertigen.
“…schalte jetzt endlich den verdammten Laser ab.”
Mit einem Knopfdruck verstummte der Laser der Vulture. Mein Gott war Brubacker wieder empfindlich. Er verstand einfach nicht, dass es in meinem Kulturkreis normal war, nichts verkommen zu lassen. Dass man dem Gesetz der Wüste folgte und alles verwertete, was besitzlos rum lag. OK, die Fracht gehörte vermutlich Friedrich, aber das Schiff doch nicht.
Ich verließ die Vulture und schwebte hinüber zur Caterpillar. Während Bru und Friedrich anfingen, die Ladung umzuladen, schaute ich, ob ich die Komponenten bergen konnte. Allerdings waren sie zu groß, um sie vor Ort auszubauen. Wenigstens konnte ich von den Bordcomputern die Logs und die Daten des Flugrekorders kopieren. Dann half ich den beiden beim Umladen der Fracht. Dabei versuchte ich Brubacker nochmal klar zu machen, dass man in der Wüste und auch im All nichts verkommen lassen durfte. Es war ein Akt des Überlebens.
“Jetzt halt endlich mal die Klappe! Das waren Friedrichs Kollegen”, raunte er mich an.
“Bru, bleib mir mit deiner Moral vom Leib.”
Es war zwecklos. Bru verstand es nicht. Vielleicht sollte er auch mal Zeit in der Wüste verbringen. Aber er würde dort keine zwei Tage überleben. Auf der anderen Seite konnte ich Friedrich verstehen. Er machte sich Sorgen um die Mannschaft der Beluga. Niemand wusste, was aus ihnen geworden war. Und Bru? Er kam aus einer anderen Welt als ich. Aber er war ein hilfsbereiter Kerl und zur Stelle, wenn man ihn brauchte. Vermutlich konnte er nicht anders.
Nachdem wir die Container umgeladen hatten, flogen Brubacker und Friedrich mit der “Silver Arrow” zur Raumstation Everus Harbor. Ich kehrte auf meine Vulture zurück. Aber irgendwie hatte ich Hemmungen, die Caterpillar mit dem Namen “Beluga” weiter zu salvagen. Dann fielen mir die Wracks der zerstörten Slicers Raumschiffe ein.
Schnell fand ich die Reste der Buccaneer, die ich abgeschossen hatte. In absoluter Dunkelheit machte ich mich an die Arbeit. Im Scheinwerferlicht zog ich dem Piratenjäger die Haut ab. Geblendet von dem hellen Scheinwerferlicht bemerkte ich die schwarzen Konturen der Asteroiden um mich herum nicht.
“Zero…?”, meldete sich Brubacker über Funk.
“Ja”, antwortete ich schmallippig.
“Wo bist Du?”
“Bin noch am Schiff.”
“Herrgott, drehst Du da auch noch die letzte Glühbirne raus?”
“Besser wär’s.”
In dem Augenblick war auch die Hülle zerlegt, zerkleinert und verwertet. Ich gab einen kurzen Schub Impuls mit den Triebwerken. Der Impuls drückte mich kurz in meine Gurte. Die Rückwärtsbewegung der Vulture wurde jedoch jäh mit einem lauten Knall unterbrochen und ich fiel zurück in die Rückenlehne des Pilotensitzes. Alle Warnlampen im Cockpit leuchteten plötzlich rot auf. Ich fluchte. Das Schiff driftete zur Seite. Hektisch steuerte ich gegen. Erfolglos. Ein weiterer Knall. Mein Schrei wurde übertönt vom Kreischen und Knirschen von Metall.
Zuerst ging das Licht aus, alles war tot an Bord. Nur ein paar Funken aus der Konsole spendeten etwas glimmerndes Licht. Dann drang der beißende Geruch von verschmorten Kabeln ins Cockpit.
“Hier explodiert gleich alles”, war mein einziger Gedanke.
In Windeseile zog ich den Helm auf und verließ die Vulture über die Cockpittür. Kaum war ich draußen, wurde es hell. Stantons Stern kam um den Mond Arial herum, ließ seine Atmosphäre gelb glühen und leuchtete das Asteroidenfeld aus. In einigen Kilometern Entfernung konnte ich die Caterpillar sehen. Meine einzige Hoffnung, meine Rettungsboje in der kalten, feindlichen Wüste Weltall.
Ich hoffte, an Bord eine Funkverbindung zu Brubacker und Friedrich herstellen zu können. Im Moment war ich abgeschnitten. Der Funk im Helm hatte nicht genug Reichweite. Dann startete ich den langen EVA zur Caterpillar. Die Frage war nur, würde ich sie erreichen und hatte ich genug Sauerstoff?
Es war ein seltsames Gefühl, so lange in der Schwerelosigkeit zu schweben. Quasi nackt zu sein, ohne den Schutz einer Schiffshülle. Ich fühlte mich dem All so nah und doch war alles so unerreichbar weit weg. Ich hatte kein Gefühl für Geschwindigkeit. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich mich wirklich vorwärts bewegte. Völlig frei von den Zwängen der Schwerkraft drehte ich mich um und sah, wie die Vulture kleiner wurde.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich die Caterpillar. Im Cockpit versuchte ich, die Energie wiederherzustellen. Zu meiner Überraschung erwachte nicht nur der Funk, auch die Triebwerke fingen an zu brummen. Vorsichtig drückte ich das Steuer etwas nach vorne. Ein Ruck ging durch das Schiff. In mehreren Echos wanderte mein Freudenschrei durch das ganze Schiff. Voller Begeisterung funkte ich Brubacker und Friedrich an.
“Leute, sorry, war eben offline. Meine Vulture ist Schrott. Aber egal. Bin jetzt auf der Caterpillar. Und, ihr glaubt es nicht, die fliegt noch…ich bin jetzt Besitzer einer Cat…”
Die entrüstete Antwort von Brubacker kam prompt.
“Zero, Mann…”.
“Die behalte ich…”
“Nein. Die muss zur Advocacy und untersucht werden. Damit wir herausfinden, was hier passiert, was mit der Mannschaft geschehen ist.”
Meine gute Laune kippte in das Gegenteil.
“Die muss zur Advocacy und untersucht werden….”, äffte ich Brubacker bei abgeschaltetem Funk nach.
Für einen Moment schaute ich mich im Cockpit um. Schade, es wäre so schön gewesen. Dann funkte ich ein kurzes knappes “Okay”.
In der Zwischenzeit tauchte die “Silver Arrow” an Steuerbord auf und eskortierte mich nach Everus Harbor. Wollten die beiden etwa sicher gehen, dass ich die Caterpillar wirklich abgab?
Nachdem wir die Cat den Behörden übergeben hatten, kümmerte ich mich um die Bergung meiner Vulture. Brubacker und Friedrich mussten erstmal alleine herausfinden, was geschehen war.
Die Perspektive von Brubacker: https://sternenwanderer.org/jahr-2954#S26