Eine Aufklärungsmission in der Onyx-Anlage brachte unerwartetes zu Tage.
Die Spuren der skandalösen Experimente des ASD-Chefwissenschaftlers Dr. Jorrit führten zu den stillgelegten Onyx-Anlagen der ASD in Stanton. Es gab Hinweise darauf, dass sich Scavenger in den Anlagen befanden. Raff wollte erst eine Aufklärungsmission durchführen, bevor wir dort ermittelten. Ich war gerade in GrimHex angekommen, um mit Raff und Kjeld das weitere Vorgehen zu besprechen. Außerdem hoffte ich, dass Kjeld etwas über Brubacker, Alaska, Pike und Friedrich wusste. Seit wir uns in Pyro getrennt hatten, hatte ich nichts mehr von ihnen gehört. Raff und ich tranken an der Panoramascheibe der Rennstrecke ein Smoltz und warteten auf Kjeld. Plötzlich lief Brubacker an uns vorbei. Er ging die Treppe hoch, stoppte auf halber Strecke, drehte sich um und schaute mich verdutzt an. Dann kam er zurück und stellte sich zu uns.
“Zero….?!”
“Bru…..”
“Schöne Maskerade. Genug gebetet?”
Ein wütender Energiestoß durchfuhr meinen Körper. Ich hatte zwar meine Mitte nach der Meditation in der Wüste wieder gefunden, aber stabil war meine Balance noch nicht. Diesen Sarkasmus konnte ich im Moment wirklich nicht gebrauchen. Ich schluckte meinen Ärger runter und versuchte ruhig zu antworten.
“Ja. Und es war wichtig, Ich konnte nicht mehr klar denken. So wäre ich uns allen keine Hilfe gewesen. Aber es freut mich, dass Du wohlbehalten in Stanton angekommen bist. Wo sind die anderen?”

Brubacker erzählte mir, dass sie in der Nähe einer Hathor-Station auf Daymar das Heilmittel für Alaskas und Friedrichs Erkrankung gefunden hätten. Alle seien hier auf GrimHex. Dann berichtete ich ihm von unserem Vorhaben und dass ich auf die Antwort der Hockrow Agency wartete. In diesem Moment tauchten Kjeld und Batou auf. Brubacker begrüßte sie knapp, dann sagte er zu mir:
“Kann ich dich mal kurz allein sprechen?”
Wir gingen ein paar Schritte abseits, dann brach es aus ihm heraus wie aus einem tosenden Wasserfall.
“Du kannst doch nicht einfach Leute mit ins Boot holen. Ich versuche, die Gruppe klein zu halten – möglichst wenig Leute, die Bescheid wissen.”
Ich schaute Brubacker fassungslos an. Wusste er überhaupt, was er da sagte? Hatte er noch einen Überblick über die Lage?
“Verdammt Bru, die sind schon längst im Boot. Sie haben uns in Farro und Lazarus geholfen. Ohne Kjeld und seine Leute wären wir nicht so weit gekommen.”
“Das weiß ich”, fuhr Brubacker mich an. “und Kjeld hat auch unser uneingeschränktes Vertrauen, nur müssen wir uns besser abstimmen. Deine Alleingänge nerven.”
Verständnislos schüttelte ich den Kopf. Was war mit Brubacker los? Hatte ihn die Zeit in Pyro noch ängstlicher gemacht, als er ohnehin schon war? Er wurde mir immer fremder und im Moment hatte ich den Eindruck, dass er ein Klotz am Bein war. Während ich einen Weg suchte, die Geheimnisse der ASD zu lüften, machte er Stress. Trotzdem versuchte ich, ruhig zu bleiben. Innerlich atmete ich tief ein und aus, dann übergab ich ihm die Kommunikationsgeräte, die ich von Gerald bekommen hatte, und ging wieder zu Kjeld und seinen Jungs.
Zusammen schauten wir uns die Constellation Aquila an, mit der Raff von Lazarus fliehen konnte. Es handelte sich um ein Schiff der ASD. Wir hofften, dass wir mit der ASD-Kennung des Schiffes in die Onyx-Anlage hineinkommen würden. Allerdings musste ich einige Modifikationen vornehmen, um zu verschleiern, dass es sich um das in Lazarus gestohlene Schiff handelte. Danach verpasste ich der Reclaimer von Batou, die er woher auch immer hatte, eine neue Registrierungs-ID. Anschließend verließ ich GrimHex. Zu viele Leute kannten mich hier. Es war sicherer, wenn ich tief im Weltall in der White Rabbit schlief.
*
Einige Tage später erhielt ich von der Hockrow Agency den Standort der Onyx-Anlage. Mit einem kleinen Aufklärungsteam, das Kjeld zusammengestellt hatte, machten wir uns auf den Weg. Jennifer, die ich zuvor im Deadlight kennengelernt hatte, war auch dabei. Wir schlossen unseren vereinbarten Deal ab. Ich erhielt eine sandfarbene Railgun im Tausch gegen ein schwarzes Demeco LMG. Ein Tauschgeschäft, das nicht am finanziellen Wert, sondern am persönlichen Interesse gemessen wurde. Solche unkomplizierten Leute mochte ich.
Die Onyx-Anlage lag unauffällig in der Dunkelheit der Nacht. Ein hohes schmales zentrales Gebäude, flankiert von zwei horizontalen Hangartoren. Nur wenige schwache Laternen im Außenbereich leuchteten. Der Rest der Anlage musste unterirdisch sein.
Zunächst untersuchten wir den Außenbereich. Während der Rover uns Deckung gab, durchsuchten Kjeld und ich die Umgebung. Wir konnten keinen Eingang finden, dafür aber Container mit dem Logo der ASD, die für den Transport von Flüssigkeiten vorgesehen waren. Ich fragte mich, ob darin die Vanduul-Bioflüssigkeit transportiert wurde, mit der die ASD laut unseren Informationen experimentierte.

Es war seltsam. Ich mochte weder Bunker noch unterirdische Anlagen, und Kämpfe waren mir ganz und gar zuwider. Trotzdem war ich überraschend ruhig. In der Gesellschaft von Kjeld und seinen Leuten fühlte ich mich sicher. Plötzlich war die erschrockene Stimme von Jennifer, die mit Batou an Bord der Aquila geblieben war, im Funk zu hören.
“Achtung! Da kommt eine Palladin. Keine Ahnung wo die herkam. Plötzlich war sie da.”
“Lichter aus und Deckung”, befahl Kjeld.
Mit einem Satz sprang ich hinter den Container und beobachtete das Kanonenboot durch mein Zielfernglas. Für einen Moment schwebte es über der Aquila, dann landete das schwer bewaffnete Raumschiff in einem Hangar.
“Wer waren die Typen? Scavenger?“
“Keine Ahnung. Aber sie haben die Aquila gescannt.”
Wir hatten noch einmal Glück. Doch jetzt wussten wir, dass wir definitiv nicht allein waren. Beim Gedanken, in die unterirdische Anlage zu gehen, stellten sich mir die Nackenhaare auf. Eilig zogen wir uns in die Aquila zurück. Dann versuchten wir unser Glück und sendeten die ASD-Kennung der Aquila. Ein Hangartor öffnete sich, und wir landeten in der Anlage.
Im Hangar begrüßte uns ein großes ASD Logo auf einer roten Wand. Es war still, sehr still, fast zu still. Über einen Fahrstuhl gelangten wir zur Lobby. Jennifer und Batou blieben als Sicherungstrupp zurück.

In der Lobby wurden wir wieder von einem großen ASD Logo empfangen. Alles war rot gehalten, die Farbe der ASD. Oder war es die Farbe des Blutes? Das Licht war schwach und die Luft diesig. Es herrschte totales Chaos. Überall lagen Kisten herum. Es sah aus, als ob die Anlage hektisch verlassen wurde. Vorsichtig gingen wir von den Fahrstühlen zum Empfangsbereich. Ein frei stehender Fahrstuhlschacht mit rotem Glas und ASD Logo erstreckte sich in schwindelerregende Höhe. Auch hier, Kisten, Chaos, verwelkte Pflanzen und defekte Rohre, aus denen Wasser floss. Die Anlage musste schon seit längerem außer Betrieb sein. Auch der zentrale Fahrstuhl war außer Betrieb. Große Schilder zeigten den Weg zum Engineering und zum Research Bereich. Es war geradezu gespenstig. Nur das Heulen eines Luftstroms war zu hören – und der Hall unserer Schritte, während wir uns langsam bewegten. Hinter dem Empfang fanden wir eine funktionstüchtige Krankenstation und einen eingestürzten Bereich.
“Hier schaut eine Hand unter den Trümmern hervor”, meldete Raff.
Vorsichtig kletterten wir über die eingestürzten Betonplatten. Wir fanden eine weitere Leiche und einen Totenschädel. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Die Toten trugen Overalls mit ASD Logo. Einer hatte ein Datenpad bei sich. Raff zog es unter den Trümmern heraus und gab es mir. Was beim Propheten war hier passiert?
“Wir gehen zum Engineering. Vielleicht erfahren wir da mehr”, befahl Kjeld.
Kaum hatten wir den Engineering Flügel betreten, flüsterte Raff:
“Deckung! Da kommt jemand.”
Instinktiv drückte ich mich gegen die Wand. Ich wagte kaum zu atmen. Zunächst hörte ich Schritte, dann Schüsse. Die schallgedämpften Waffen von Kjelds Leuten antworteten. Verflucht, es ging wieder los. Meine Hand krampfte sich um meine Waffe. Dann wurde es wieder still. Nur ein seltsames lautes Geräusch war noch zu hören. Ein anschwellendes woop woop wow woop und dann ein kräftiges lautes WHUUUUMMS. Wie wenn sich etwas aufladen und dann explosionsartig entladen würde. Dann eine Pause und irgendwann wieder woop woop woop woop – WHUUUUMMS. Es ging durch Mark und Bein.
Langsam löste ich mich aus meiner Deckung und untersuchte die Toten. An ihrem lumpigen, uneinheitlichen Outfit erkannte ich sie eindeutig als Scavenger. Als wir die Treppe hinuntergingen, fanden wir noch zwei Tote, die Overalls der ASD trugen. Während ich die Körper untersuchte, erklang wieder dieses woop woop woop woop – WHUUUUMMS. Ich zuckte zusammen, dann packte ich alles ein, was verwertbar erschien.
Unten an der Treppe angekommen schaute ich nach rechts. Ein Metallsteg führte durch eine tunnelartige Höhle, die sich schnell zu einer weiten Halle öffnete. In der Halle standen große industrielle Anlagen, und mittendrin bewegte sich ein Wurm senkrecht hin und her. Ein Valakaar – ein großer Erwachsener. Ehrfürchtig blieb ich mit offenem Mund stehen. Damit hatte ich nicht gerechnet.

“Zero kommst Du?”
Die Stimme riss mich aus meiner Starre. Die anderen waren schon weiter gegangen. Wegen des großen Valakaar folgten wir nicht dem Steg, sondern gingen in eine Nebenhöhle. Der Felsboden war glitschig. Ich rutschte aus. Während ich mich noch aufrappelte, hörte ich plötzlich Schüsse und Schreie.
“Achtung! Sie kommen aus dem Boden. Valakaare!”
Ein Cuvée aus Angst und Freude durchflutete meine Adern. “Die heilige Jagd beginnt”, schoss es durch meinen Kopf. Doch bis ich die Felsen hochgestiegen war, war der kurze Kampf schon vorbei. Drei junge Valakaare lagen auf dem Höhlenboden. Kjelds Leute waren wirklich auf Zack.
Risa kam zu mir und zeigte mir einen grün leuchtenden Zahn.
“Das hab ich dem Tier abgenommen. Kannst Du damit was anfangen?”
Fasziniert schaute ich auf den Zahn, dann ging ich zu dem toten Wurm. Blankes Entsetzen machte sich in mir breit – das konnte doch nicht wahr sein. An mehreren Stellen leuchtete er grün.
“Der ist radioaktiv verstrahlt”, sagte ich leise und nahm die Zähne des Valakaars.
“Da oben war ein Schild, das vor radioaktiver Strahlung warnt”, sagte Risa.
“Und auf dem Monitor hab ich gesehen, dass die Stabilität des Reaktorkerns kritisch ist”, ergänzte ich.
“Rückzug!”, befahl Kjeld. “Es ist zu gefährlich. Wir haben nur leichte Schutzausrüstung. Wir schauen aber noch in den Research Flügel.”
Auf dem Weg zum Research fragte ich mich, ob die Valakaare wegen des Reaktors verstrahlt waren, oder wegen eines Experiments – einem Experiment wie im Lazarus-Komplex. Doch um das herauszufinden, mussten wir tiefer in die Anlage.
Der Eingangsbereich des Research Flügels war eine große Aula mit mehreren Ebenen. Die einzelnen Stockwerke umrundeten wie Balkone einen zentralen Schacht, der tief nach unten ging.
“Bleibt von der Brüstung weg. Bewegt euch dicht an der Wand”, befahl Kjeld.
Im Gänsemarsch schlichen wir an der Wand entlang zum Empfang. Vier Leichen lagen dort, die ich sofort untersuchte.
“Die beiden sind eindeutig Scavenger. Aber die zwei hier sind anders. Die schweren roten Rüstungen sehen zu professionell für Scavenger aus”, analysierte ich.
“Der Fahrstuhlschacht ist eingestürzt”, stellte Kjeld fest. “Auf dem Schild sind 9 Ebenen angegeben. Die Anlage ist ja riesig. Zero schau mal, ob du am Terminal einen Lageplan herunterladen kannst.”

Während ich den Lageplan am Empfang herunterlud, hörte ich plötzlich etwas.
“Da sind Stimmen.”
“Die kommen von unten”, antwortete Risa.
Dann hallten Schüsse zu uns herauf. Aber es waren keine normalen Schüsse. Sie klangen anders – schwer – mächtig – zerstörerisch. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper.
“Das sind Volt Energiewaffen”, bemerkte Kjeld. “Wir ziehen uns zurück.”
Wir verließen die Anlage. Eines war klar. Zurückzukehren, um Ermittlungen aufzunehmen, würde kein Spaziergang werden. Die vermeintlich stillgelegte Onyx-Anlage war aktiver als gedacht. Offiziell war sie außer Betrieb, aber irgendetwas arbeitete darin noch. Und sie war definitiv nicht verlassen. Wir mussten mit dem Schlimmsten rechnen. Aber nichts zu tun wäre noch schlimmer. Wir mussten aufdecken, welche Experimente Dr. Jorrit durchführte. Ich hatte das Gefühl, dass er nichts Gutes im Schilde führte.