Log #265 – Schlüsselkarte

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Erneut versuchten wir, das Data Center der ASD zu infiltrieren, um eine wichtige Schlüsselkarte zu klauen.


Die Haltebügel drückten auf meine Schultern und pressten mich fest in den Sitz. Links und rechts neben mir saßen schwer gepanzerte und bewaffnete Kämpfer der PMC TYR. Hinter mir befand sich eine weitere Sitzreihe mit Söldnern. Erinnerungen wurden wach an meine erste Begegnung mit TYR. Damals saß ich auch mit Söldnern in einem Truppentransporter und hatte mich dabei extrem unwohl gefühlt. Diesmal war es anders. Kjeld Stormanson, der Kommandant von TYR, hatte uns in ein Alpha- und ein Bravo-Team aufgeteilt. Ich war Teil des Alpha-Teams und Kjeld war mein persönlicher Bodyguard. Die anderen sollten den Weg freiräumen und dafür sorgen, dass ich unbeschadet in den Data-Processing-Raum des Farro Data Centers der ASD auf Pyro IV kommen würde. Mein Auftrag war, mich in das System zu hacken, eine Schlüsselkarte und so viele Daten wie möglich herunterzuladen. Die Schlüsselkarte war unser Ticket zu den dunklen Geheimnissen der ASD im Lazzarus-Labor auf Pyro I.

Unser Raumschiff stieß hinab auf den Planeten. Das Schwarz des Weltalls auf der anderen Seite des schmalen Fensters wurde langsam blau. Erste Wolken zogen am Fenster vorbei. Die weißen Gebilde wirkten so friedlich und passten überhaupt nicht zu dem, was auf uns zukam. Es war nicht unser erster Versuch, das Farro Data Center zu infiltrieren. Beim letzten Mal hatte Hermieoth sein Leben dabei verloren. Trauer und Wut lasteten auf meiner Brust. Hermieoth durfte nicht umsonst gestorben sein. Wir mussten die dunklen Machenschaften der ASD aufdecken. Und dann war da dieses beunruhigende Gefühl, da ich wusste, welche Übermacht uns erwartete. Würden wir es diesmal schaffen? Und gleichzeitig war es beruhigend, dass diesmal TYR an meiner Seite war. Kjeld und seine Truppe hatten mir schon oft den Rücken freigehalten.

Plötzlich presste es mich noch fester in den Bügel. Die Kämpfer neben mir vollzogen synchron die gleichen Bewegungen wie ich. Es war wie eine Choreografie, wie ein fein abgestimmtes Ballett. Die Starlancer TAC, in der wir saßen, flog wilde Manöver. Der Horizont tanzte im Fenster auf und ab. Mir wurde schlecht. Dann dröhnte ein prasselndes Geräusch durch die TAC. Die Schiffshülle ächzte unter den Einschlägen hunderter Kugeln. Schlagartig verfärbte sich alles rot. Die Beleuchtung war in den Alarmmodus gewechselt. Es war wie ein Vorzeichen von Blut, das fließen würde. Adrenalin schoss mir bis in die Haarspitzen. Mein Überlebensinstinkt übernahm die Kontrolle und verdrängte meinen Verstand. Ich spürte, wie ich aus der Balance geriet. Mein Körper hatte nur noch eine Funktion – nicht denken, überleben.

Ein metallisch-mechanisches Geräusch ergänzte den Lärm. Das Landefahrwerk der TAC fuhr aus. Dann ein heftiger Ruck. Touchdown. 

“Bravo-Team absitzen!”, hallte der Befehl im Funk.

Die seitliche Rampe ging auf. Sonnenlicht fiel herein und mischte sich unter die blutrote Beleuchtung.

“Alpha-Team bereit machen!”

Wir waren an der Reihe und sprangen aus zwei Meter Höhe aus dem Schiff. Meine Stiefel landeten stumpf im roten Sand von Pyro IV. Sandkörner flogen zur Seite. Es gab kein Zurück mehr.

Im Rücken spürte ich den Druck der Triebwerke von der TAC, die wieder in den Himmel stieg und einen Kugelhagel auf die Wachen im Außenbereich regnen ließ. Wir waren direkt neben dem Hauptgebäude gelandet. Das Bravo-Team hatte bereits die Rampe zum Nebeneingang 5 gesichert.

In geordneter Formation rückten wir vor. Jeder hatte seinen zugewiesenen Platz. Jeder hatte seine Aufgabe und wusste genau was er zu tun hatte. Ich hielt mich hinter Kjeld, der ruhig und bestimmt Anweisungen gab. Die Kommunikation im Funk war knapp, präzise, unaufgeregt.

“Kontakt auf 120!”

Schüsse fielen.

“Down!”

“Kontakt auf 200!”

Wieder Schüsse. Dann die Stimme von Kjeld.

“Raf. Eindringen!”

Raf und weitere Kämpfer verschwanden im Gebäude. Schüsse hallten aus dem Eingang. Ich kauerte hinter Kjeld, dicht an eine Wand gedrängt. Für einen Moment fragte ich mich, ob ich eine Hilfe oder nur Ballast war. Um wenigstens etwas zu tun, beobachtete ich durch die Zieloptik meines Gewehrs das Gelände links von uns. 

“Gesichert!”, meldete Raf.

“Zero halte Dich hinter mir”, sagte Kjeld und rückte gebeugt vor.

Im Schutz seines breiten Rückens folgte ich ihm in das Gebäude. Leichen lagen überall auf dem Boden – weitere Wachen tauchten auf – Schüsse peitschten durch den Gang – mir stockte der Atem.

“Bravo-Team nachrücken und Eingang sichern!”

Die Stimme von Kjeld hörte sich an, als wenn sie weit weg wäre. Alles lief an mir vorbei wie ein unscharfer Film. Nur verschwommen nahm ich wahr, was um mich herum passierte. Ich war unfähig klar zu denken und funktionierte nur noch –  folgte lediglich Kjeld und seinen Anweisungen.

Wieder eine Stimme im Funk, die weit weg schien.

“Vorraum Data-Processing gesichert.” 

Dann die Stimme von Kjeld – klar und deutlich.

“Zero! Rechts die Treppe hoch zu Raf. Ich sichere links ab und decke Deinen Rücken.”

Ich stürmte los – rechts um die Ecke zur Treppe. Die schwere Rüstung schien mich zurückhalten zu wollen. Jeder Schritt, die Stufen hoch, war eine Qual – meine Oberschenkel brannten. Keuchend kam ich oben an.

Es war wie ein Deja Vue. Wieder stand ich vor der Sicherheitstür des Data-Processing mit der Zugangskarte in der Hand. Doch diesmal war es anders. Alles hatte Struktur. In all dem Chaos empfand ich kein Chaos. Ich wartete auf das Kommando – wartete, bis die Kämpfer von TYR sich positioniert hatten. Kjeld gab Anweisungen.

“Ketzer, sobald die Tür aufgeht, feuere rein. Raf, Du wirfst eine Handgranate. Zero, auf Kommando Karte rein stecken und rechts weg in Deckung.”

Ich wartete mit der Karte in der Hand und fragte mich, ob es diesmal besser laufen würde. Der Blick über meine Schultern gab mir Zuversicht. Die Söldner positionierten sich. Zwei sicherten nach hinten die Treppe ab, die anderen richteten ihre Waffen auf die Tür. Es war wie wenn eine Armee hinter mir stehen würde. Ich schaute wieder nach vorne, fixierte den Kartenslot, atmete tief ein und aus. Sekunden vergingen wie Stunden. Die Zeit schien still zu stehen. Es war eine kurze Verschnaufpause vor dem großen Sturm.

“GO!”

Das Kommando kam kurz und knapp, dann ging alles ganz schnell.

Schüsse – eine Explosion – das Bravo-Team floss wie Treibsand in den Data-Processing-Raum und fegte alles hinweg, was sich ihnen in den Weg stellte. Ich folgte mit dem Alpha-Team. Während sich die Söldner zwischen den deckenhohen Serverracks verteilten, die wie Säulen im Raum standen, ging ich direkt nach links in den durch eine Scheibe abgetrennten Nebenraum.

Ich wusste ganz genau, was uns jetzt bevorstand, denn ich hatte es schon erlebt. Sobald ich mich in das System gehackt hatte, würde alles, was bisher passiert war, wie ein Vorgeplänkel wirken. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Ich hatte Kjeld vorgewarnt, und er teilte ein, wer welche der drei Türen sichern sollte. Im Gegensatz zum letzten Mal hatte ich diesmal Zeit, mir den Nebenraum genau anzuschauen. Eine Ausrüstungskiste und ein Waffenschrank erregten meine Aufmerksamkeit. Hektisch stopfte ich so viel wie möglich in meinen Rucksack, bis Kjeld sich an mich wandte.

“Zero, du bist dran.”

Ich atmete tief durch und machte mich am Hauptterminal an die Arbeit. Es dauerte nicht lange, bis ich im System war. Diesmal schaffte ich es, den Alarm hinauszuzögern. Bei meinem letzten Zugriff hatte ich Notizen des Chefwissenschaftlers Dr. Logan Jorrit heruntergeladen. Daher wusste ich nun, wo ich suchen musste. Schnell fand ich seine Sicherheitscodes. Ich startete ein Programm, das die Codes zusammen mit weiteren Daten aus den Datenbanken des Rechenzentrums auf eine Karte speichern würde. Jetzt musste ich nur noch auf „Ausführen” drücken. Mein Zeigefinger schwebte über dem Eingabefeld – für eine Sekunde – dann senkte er sich.

Ein Knall. Alle drei Türen flogen auf. Rotes Licht durchströmte den Raum. Ein ohrenbetäubender Alarm dröhnte. Ich suchte Deckung im Nebenraum; Wachen versuchten den Raum zu stürmen; die Söldner von TYR hielten die Stellung. Ein Stakkato von Schüssen und Explosionen übertönte den Alarm.

Hinter der Sicherheit der Scheibe beobachtete ich das Display des Hauptterminals. Der Download der Daten schritt voran. Doch plötzlich stoppte er. Auch Kjeld hatte es bemerkt. “Scheiße”, schoß es durch meinen Kopf. Durch den Kugelhagel rannte ich zum Terminal. Kjeld schrie gegen den Lärm an.

“Sperrfeuer! Zero darf nicht fallen!”

Nur schwach hörte ich das Pfeifen von Kugeln, die an meinem Kopf vorbei flogen, während ich mich auf das Display konzentrierte. Jemand versuchte, von einem anderen Terminal aus meinen Download zu stoppen. Meine Finger flogen über das Display – gaben Befehle ein – hielten dagegen. Es war ein Tauziehen um die Kontrolle. Brennender Schweiß tropfte mir in die Augen. Mit dem Helm auf dem Kopf konnte ich nichts dagegen tun. Dann ging der Download weiter. Gebückt rannte ich in den Nebenraum zurück und beobachtete von dort das Display.

“60% …. 70% …. 80%”, rief ich in den Funk. 

Es dauerte eine beängstigende Ewigkeit.

“90% …. 100%”

Schlagartig war es still. Der Alarm verstummte und die Türen gingen zu. Auf dem Display des Hauptterminals stand schwarz auf rot ‘SYSTEM LOCKDOWN ACTIVATED’, darunter schaute eine bläulich leuchtende Karte heraus. Langsam ging ich mit rasendem Herz darauf zu und nahm sie in die Hand.

Plötzlich fiel mir ein, was Kjeld vor unserem Einsatz zu mir gesagt hatte. 

“Nehme die Karte an Dich. Gebe sie niemanden, auch niemanden von TYR, egal wer danach fragt.” 

Ich verstaute sie tief in meiner Tasche. Dann traten wir einen geordneten Rückzug an.

Wir verließen Pyro IV, ohne Verluste, ohne Verletzte, mit der Karte. Wir hatten es geschafft. Ich sank tief in den Sitz und entspannte langsam. ASD hatte Wind gesät, wir einen Sturm über sie gebracht. Einen schneidigen Sandsturm, der präzise Sand in das Getriebe des Konzerns geworfen hatte. Allerdings wussten sie jetzt, dass wir kommen würden. Das Schlimmste stand uns noch bevor – die Infiltration des Lazzarus Labors auf Pyro I. Doch zuerst brauchte ich ein Rust – aber bestimmt keinen weiteren Grund um weiterzumachen.