Die folgende Geschichte habe ich speziell für Halloween geschrieben. Sie war ursprünglich auf dem Sternenwanderer im Rahmen einer Halloween Reihe veröffentlicht.
Auf dem Cargo Deck passieren schreckliche Dinge. Eine Geschichte zu Halloween.
Mit zitternden Händen drückte Maria auf das Display. Sie hinterließ einen schweißnassen Fingerabdruck über dem Schriftzug “Cargo Deck”. Mit einem Ruck setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung. Nein, Maria wollte nicht hier sein. Aber der Supervisor hatte darauf bestanden, dass der Service-Schalter besetzt war. Nur falls jemand vorbeikommen würde. Aber wer sollte kommen? Niemand traute sich mehr auf das Cargo Deck, seit der Horror angefangen hatte.
Vor ein paar Wochen hatte es begonnen. Zunächst waren nur einige Lebensmittel-Container aufgebrochen worden. Wer auch immer das war, hatte sich wie eine wilde Bestie über die Nahrungsmittel her gemacht. Dann verschwanden die ersten Menschen. Die Behörden interessierten sich nicht dafür. Die Lagerarbeiter, die verschwanden, waren keine Citizens. Es waren Zivilisten, Menschen zweiter Klasse. Zivilisten hatten nicht die gleichen Rechte wie die Citizens. Sie durften nicht mal den neuen Imperator wählen. Kurzum: Es spielte keine Rolle,
Quietschend öffnete sich die Fahrstuhltür. Mit vorsichtigem Schritt ging Maria über die Schwelle. Es sah fast so aus, als würde sie unsicher eine tiefe Schlucht überqueren. Zu ihrer Rechten lag die Lagerhalle mit den großen Containern. Ein schwaches Licht beleuchtete die riesige Halle. Die Container waren nur schemenhaft zu sehen. Der Servicebereich vor ihr hingegen leuchtete hell wie ein Sportstadion im Flutlicht. Ein Gefühl der Sicherheit gab ihr das trotzdem nicht.
Maria holte tief Luft und ging schnellen Schrittes weiter. Sie wollte möglichst rasch zu ihrem Arbeitsplatz. Nur weg vom Durchgang zur Lagerhalle, dieser dunklen Öffnung, die fast wie ein Portal in die Unterwelt wirkte. Maria hatte bereits den halben Weg geschafft, als sie etwas im Augenwinkel sah. Eine Bewegung, nichts Genaues, eher eine Veränderung der Lichtverhältnisse. Sie stockte und blickte nach rechts in die Lagerhalle. Da war etwas bei den Containern, oder war es hinter den Containern? Sie glaubte, einen Schatten an der Wand gesehen zu haben. Nur kurz, ein vages Aufblitzen eines dunklen Flecks. Sie starrte in das Zwielicht, unfähig sich zu bewegen. Dann rannte sie los in das Licht des Servicebereichs.
Als sie endlich am Terminal des Service-Schalters war, atmete Maria tief durch. Sie hatte nicht wirklich etwas gesehen, oder? Wahrscheinlich war es nur eine Einbildung gewesen. Zumindest versuchte sie sich das einzureden. Die Geschichten und Ereignisse der vergangenen Wochen ließen ihre Phantasie verrückt spielen. Maria drehte sich um und versuchte, sich auf die Zahlen auf dem Terminal zu konzentrieren. Der Fahrstuhl und der Durchgang zur Lagerhalle befanden sich nun hinter ihr. Sie konnte nicht sehen, was hinter ihrem Rücken passierte.
Maria tippte ein paar Zahlen ein, als sie plötzlich erstarrte. Sie glaubte, ein schweres Atmen gehört zu haben. Es klang, als hätte jemand Luft durch eine Metallmaske gesaugt. Von Angst erfüllt, schloss Maria die Augen. Ihre Finger krallten sich um den Rand des Terminals, bis ihre Knöchel weiß wurden. Maria bewegte sich nicht, sie atmete nicht, sie stellte sich tot. Die Sekunden vergingen. Es war, als wenn jemand einen Film angehalten hätte. Dann ein metallisches Geräusch, ein Quietschen. Maria sah vor ihrem geistigen Auge Krallen, die über der Hülle eines Frachtcontainers kratzten.
Entsetzt ließ sie sich zu Boden fallen. Sie ging hinter dem Tresen in Deckung, drückte den Kopf zwischen ihre Knie und legte die Hände schützend über den Kopf. Dann hörte sie Schritte. Sie kamen immer näher, bis sie direkt auf der anderen Seite des Tresens Halt machten. Jemand beugte sich über den Tresen zu ihr hinab. Dann spürte Maria einen Atem in ihrem Nacken.
„Maria, was machst Du da?”
Verdutzt hob sie den Kopf und schaute mit Tränen in den Augen nach oben. „Oh, Paul, Du bist das. Ich dachte….”
Paul versuchte ganz bewusst lässig zu wirken. „Hast Du ein Gespenst gesehen? Es war wohl eine gute Idee vorbei zu kommen um mal nach Dir zu sehen.”
Mit zittriger Stimme sagte Maria: „Paul da ist etwas. In der Lagerhalle. Ich bin mir ganz sicher.”
Paul drehte den Kopf und schaute zum Eingang der Halle. „Ich geh mal nachschauen. Das hast Du Dir bestimmt nur eingebildet. Ich bin gleich zurück.”
Nach wenigen Schritten war Paul in der Dunkelheit der Halle verschwunden.
Maria lauschte angespannt. Sie versuchte, jede Veränderung der Luftmoleküle wahrzunehmen. Es war so leise, dass Maria glaubte, das Rauschen ihres Blutes in ihren Adern zu hören.
“Paul?! Paul, bist Du noch da? Sag doch was.” Mit zittrigen Knien ging Maria schließlich selbst Richtung Lagerhalle. „Paul, ist da was?”
Sie erreichte die Halle. Langsam gewöhnten sich Ihre Augen an die Dunkelheit.
Vor ihr lag eine freie Fläche. Am Rand sah sie Container, die so hoch gestapelt waren, dass sie nicht bis ganz nach oben sehen konnte. Paul erspähte sie jedoch nicht. Maria blieb stehen und lauschte in die Dunkelheit. Es war nicht ein Geräusch zu hören. Dann entdeckte sie weiter hinten so etwas wie einen Durchgang zwischen zwei Containern. Es war nicht viel mehr als ein dunkles Loch in der Dunkelheit. Sie ging darauf zu. Und tatsächlich, da war ein Spalt. Maria tastete sich mit den Händen zwischen den beiden Containern durch. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Als sie das Ende des Containers erreichte, bog der Durchgang nach links ab. Vorsichtig schaute sie um die Ecke. Der Durchgang ging noch ein paar Meter weiter, dann machte er einen Rechtsknick. Von dort war ein schwaches Licht zu sehen.
Maria fasste all ihren Mut zusammen und ging vorsichtig weiter. Ein Schritt nach dem anderen. Sie versuchte, keine Geräusche zu machen und atmete so flach wie möglich. Als sie bei dem Licht ankam, blieb sie verwundert stehen. Vor ihr lag ein Raum. Sie blickte auf eine Spielekonsole, einen Kühlschrank und ein Sofa. Es lag jede Menge Müll herum. Es sah beinahe so aus, als würde hier jemand wohnen. Maria arbeitete nun schon eine ganze Weile auf dem Cargo Deck, aber davon wusste sie nichts. Wer auch immer der Bewohner war, er war nicht hier. Dann hörte sie jemanden hinter sich. Mit einem Schlag kam all die angestaute Luft und Anspannung aus ihr raus.
“Paul, Gott sei Dank.”
Maria drehte sich um.
Die Erleichterung wich schlagartig blankem Entsetzen. Ihre Augen waren in Panik weit aufgerissen. Vor ihr stand eine Gestalt in einem alten, notdürftig zusammengeflickten Raumanzug. Unter der Kapuze sah sie eine runzelige, fast unmenschliche Haut. Sie schien genauso notdürftig zusammengenäht zu sein wie der Raumanzug. Eine Metall-Maske lag über Mund und Nase, die Augen waren bedeckt mit schwarzem Glas. Nichts an diesem Wesen erschien menschlich.
Die Stille des Cargo Decks wurde zerrissen von einem lauten, schrillen Schrei. Das Echo hallte noch Sekunden später von den Wänden. Dann war es totenstill, zunächst. Schließlich war hinter den Containern ein leises Kichern zu hören, das immer lauter wurde.
“Süßes, sonst gibts Saures.” sagte Paul und nahm seine Maske ab.
Es klatschte laut, als die flache Hand von Maria die Backe von Paul traf.
“Du Idiot, wie konntest Du mir so einen Schrecken einjagen.”
Paul konnte sich nicht mehr halten vor lachen.
“Sorry Maria, ich geb Dir heute Abend einen aus. Lass uns zurückgehen zum Service-Schalter.”
Paul und Maria wollten gerade los laufen, als sie ein tiefes und bedrohliches Knurren hörten.