Log #262 – Wachhund

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Ich lernte unseren Wachhund kennen. War sie vertrauenswürdig?


Ich war zurück in Pyro, auf dem Mond Vuur. Friedrich Winters’ Expedition suchte dort weiter nach Mineralien, die für die Lösung der Regenerations-Krise entscheidend waren. Während meiner Abwesenheit hatte die Expedition einen weiteren schweren Verlust erlitten. Alaskas Transportschiff vom Typ Hercules war zerstört. Ich traf die Gruppe an Bord einer Starfarer die Hermieoth gefunden hatte und jetzt als Expeditions-Zentrale diente.

Es war eine seltsame, fast unheimliche Stimmung an Bord. Einige Systeme funktionierten nicht, manche Gänge waren stockdunkel, die Messe war nur schwach beleuchtet. Auf dem Tisch standen Leuchtstäbe, die ein pinkes Licht abgaben. 

“Meine Güte – hier sieht’s aus wie in ’ner Rough&Ready-Bar”, sagte ich, als ich die Messe betrat.

“Fühlt man sich gleich wie zu Hause”, antwortete Pike schnippig, der unfreiwillig sechs Monate auf der Gaslight Station verbracht hatte.

Hermieoth, Alaska und Pike saßen am Tisch, Friedrich und Brubacker standen daneben. Und dann war da noch eine Person, die ich nicht kannte. Etwas abseits stand an der Wand eine Frau in Kampfmontur – weißes Haar, starre Haltung, Granaten an der Brust, Gewehr auf dem Rücken. Ihr Blick: streng geradeaus. Ich ging einige Schritte auf sie zu und schaute sie an.

“Und wer ist dieses neue Gesicht?”

“Mein Name ist Lyrana Sorell. Ich bin von den Citizens for Prosperity beauftragt worden, dafür zu sorgen, dass die Mission ein Erfolg wird.”

Der Wachhund, dachte ich. Ich hatte ihre Akte gelesen.

“Was heißt ‚dass es ein Erfolg wird’?”, hackte ich in ernstem Ton nach. “Etwa eine Antreiberin? Ist ja wie bei den Megacorps.”

Lyrana schaute mich betroffen an.

“Nein, ich bin für Eure Sicherheit hier.”

Dann erklärte sie, dass sie von Orbituary sei, Fähigkeiten in Aufklärung, Luftraumüberwachung und taktische Reaktion habe und diese zu unserem Schutz einsetzen wolle. Alles, was sie sagte, stimmte mit den Einträgen in ihrer Akte überein. Trotzdem blieb ich skeptisch und erwähnte nicht, dass ich Hintergrundinformationen über sie hatte.

“Kann ich dem Zinnsoldaten vertrauen und offen sprechen?”

“Ja, Lyrana hat uns schon öfters geholfen”, antwortete Brubacker.

Dann berichtete ich von meinem Ausflug in das Stanton-System. Vom Verkauf der bisher abgebauten Mineralien, dass Kjeld meinen Verdacht, dass ENOS und die Regenerations-Krise zusammenhingen, für höchst spekulativ hielt, dem Rennen der Mega-Corps bei der Second-Live Initiative und den geheimen Forschungen von ASD in Pyro. Für einige Sekunden unterbrach ich meinen Bericht, legte die Stirn in Falten und atmete kräftig durch.

“Und dann noch das. Hurston Dynamics entwickelt heimlich Flight Blades die Raumjäger noch tödlicher machen sollen. Einige wurden für Feldtests an Piratengruppen in Pyro verkauft. Am Ende geht es doch wieder nur um Profit.“

“Danke für den Bericht, Zero”, sagte Friedrich. “Unabhängig von all dem möchte ich an der Mission festhalten. Und ich habe Günter, unser Maskottchen, wieder gefunden. Wir können weitermachen und an unsere letzten Erfolge anknüpfen.”

Dann legte er eine lebende Made auf den Tisch. Irritiert schaute ich das dicke schleimige Tier an. Es räkelte sich wie eine Katze auf der Tischplatte. Ein freudiges Raunen ging durch die Gruppe. Fassungslos blickte ich in die Runde.

“Leute habt ihr Pilzsporen eingeatmet? Ihr seid doch völlig aus der Balance.”

Kopfschüttelnd verließ ich die Messe. Hinter mir war die Freude über Günter deutlich zu hören. Kurz darauf flogen wir los, um auf Vuur Mineralien zu suchen. Viele fanden wir nicht, dafür entdeckte ich jede Menge Sensorsignale von Valakaare. Während die anderen die wenigen Mineralien abbauten, landete ich, um auf die ehrenvolle Jagd zu gehen. Ich war gerade aus dem Raumschiff ausgestiegen, als Friedrich uns warnte, dass in wenigen Minuten ein Solarsturm den Mond erreichen würde. Ich ignorierte die Warnung und fing an die Valakaare aus dem Boden zu locken.

Wie wild hüpfte ich über den Sand. Plötzlich vibrierte der Boden und direkt vor mir schoss ein jugendlicher Valakaar empor. Erschrocken wich ich zurück, verlor die Balance und fiel auf den Rücken. Der Sandwurm richtete sich auf. Drei Meter über mir blitzten seine Reißzähne, aus seinem Mund schleuderte er Materie auf mich. Ein schmerzhafter Stich ging durch meine Brust. Dann traf der Laserstrahl meines Ripper SMG den Wurm. In dem Augenblick tauchte ein zweiter auf und spuckte auf mich. Der erste zog sich in den Sand zurück. Schießend kroch ich hinter einen Felsen und lud nach. 

Aus meiner Deckung beobachtete ich, wie der zweite Valakaar hin und her tanzte. Ohne Vorwarnung hörte ich plötzlich einen Schrei und ein heftiger Schlag traf meinen Rücken. Der erste Valakaar war hinter mir aus dem Sand gekommen und griff mich an. Ich fuhr herum und feuerte. Der zweite Valakaar tauchte neben dem ersten auf. Mein Gewehr brummte im Dauerfeuer, der Laser zuckte zwischen den Sandwürmern hin und her. Dann verstummte meine Waffe. Fluchend ging ich erneut hinter dem Felsen in Deckung. Drohend bewegten die beiden Sandwürmer ihre Köpfe vor und zurück und versuchten mich zu erreichen, während ich meine Taschen nach Munition durchsuchte. Ich hatte keine mehr. Meine Chancen standen schlecht.   

Ich wägte noch meine Optionen ab, als plötzlich ein Stakkato von Schüssen ertönte. Beide Valakaare gingen zu Boden. Es war Lyrana, die zu meiner Hilfe herbeigeeilt war. Erstaunt schaute ich sie an.

“Du bist eine gute Jägerin. Jetzt musst Du die Valakaare ehren.” 

“Wie?”, fragte sie hektisch.

“Nehm eine Handvoll Sand und lasse ihn über die Köpfe der Valakaare rieseln. Dann entferne die Reißzähne und nehme sie als Beute.”

Lyrana machte es wie von mir geheißen. Zwar etwas hektisch und mit wenig Ehrfurcht, aber immerhin achtete sie die Tradition der Wüstenvölker. Dann schaute sie mich mit strengen Augen an.

“Und jetzt nichts wie weg! Der Sonnensturm trifft uns jeden Augenblick.“

Kaum war ich gestartet, brach die Sonneneruption über uns herein – wie ein Feuersturm aus Partikeln. Im Knistern des Funks hörte ich undeutlich wie Lyrana in ihrer Gladius und die anderen in der Starfarer Probleme mit den Schiffssystemen hatten. Das letzte, was ich im Funk hörte waren Wortfetzen von Friedrich.

“…. Hochziehen …. Orbit …. Vadra ….”

Ich zog am Steuerrad. Brüllend schoben die Triebwerke die Starlancer steil nach oben. Die Sterne füllten die schmale, schlitzartige Cockpitscheibe komplett aus. Die Bildschirme flackerten wild – Fehlermeldungen blitzten auf und verschwanden. Dann peilte ich einen Punkt im Orbit des Mondes an. Kaum hatte ich die Atmosphäre verlassen, aktivierte ich den Quantum-Antrieb. Die Starlancer sprang. Stille kehrte ein. Ich war im Weltall, umgeben von Asteroiden, hunderte Kilometer vom Mond entfernt. Der Navigationscomputer war durchgebrannt und hatte mich an einen falschen Ort gebracht. 

Was aus den anderen geworden war, wusste ich nicht. Das letzte Wort von Friedrich hatte ich noch im Ohr – ‘Vadra’. Das war ein weiterer Mond des Gasriesen Pyro V. Vermutlich wollte er dorthin. Mit manueller Navigation machte ich mich auf den Weg in der Hoffnung, die anderen dort zu treffen. Mit mehr Glück als Können erreichte ich Vadra und fand einen alten Schrottplatz in der Nähe einer Siedlung der Headhunters, einer Gang, mit der nicht zu spaßen war. Die Nähe zu den Headhuntern war ein Risiko, trotzdem landete ich. Die Möglichkeit, auf dem Schrottplatz Computerplatinen zu finden, mit denen ich den Navigationscomputer reparieren konnte, durfte ich mir nicht entgehen lassen.

Es war bitter kalt. Die Temperaturen auf Vadra lagen unter minus 100 Grad Celsius. Zum Glück hatte ich einen speziellen Anzug für extreme Temperaturen an Bord. Vorsichtig näherte ich mich zu Fuß dem Schrottplatz, der sich als alte verfallene Siedlung mit Ansammlungen von Schrott, Kisten und eingestürzten Gebäuden entpuppte. War er verlassen? Vielleicht. War ich sicher? Nein. Um mir einen Überblick zu verschaffen, kletterte ich auf einen Turm.

Von oben konnte ich das ganze Ausmaß der alten Siedlung erkennen. Sie war größer als ich zunächst angenommen hatte. Dann fiel mir ein Punkt am Horizont auf, der größer wurde. Der Punkt entpuppte sich als Raumschiff, das schnell näher kam. Angestrengt schaute ich in die Richtung – es war ein Jäger. Ein Schauer lief mir über den Rücken. War die Siedlung doch nicht verlassen? Oder hatten die Headhunters mich aufgeklärt? Dann ein Knacken im Funk – Lyranas Stimme. Ich atmete auf. Sie hatte meine Starlancer geortet und kam, um mich abzusichern. Wenige Minuten später landete auch die Starfarer mit den anderen an Bord. Gemeinsam durchsuchten wir die alte Siedlung und fanden neben Vorräten auch Computerplatinen mit denen ich den Navigationscomputer reparieren konnte.

Alaska und ich betrachteten gerade eine zerstörte Mauer mit einem Symbol, das aus drei Ringen bestand und das wir aus den verfallenen Siedlungen der ersten Stanton-Siedler kannten, als Lyrana von einem Aufklärungsflug aus der Headhunter-Siedlung zurückkam.

“Hey Leute, das war seltsam. Die Abwehrtürme der Headhunter haben mich nicht beschossen. Die Freund-Feind-Erkennung hat mich als Freund identifiziert.” 

Eine Schockwelle raste durch meinen Körper. Was hatte Lyrana da gerade gesagt? Das konnte doch nicht wahr sein. War meine Skepsis ihr gegenüber doch begründet? Vor wenigen Minuten noch hatte Lyrana mir erzählt, dass sie anfangs wegen meiner plötzlichen Abreise nach Stanton vermutet hatte, dass ich ein Risiko für die Expedition sei. Und jetzt das.

“Was zum Teufel hast Du mit den Headhuntern zu tun? Kann es sein, dass DU ein Risiko für die Expedition bist?”

“Gar nichts. Ich weiss auch nicht, was da passiert ist. Zero kannst Du bitte meine Gladius untersuchen und herausfinden, warum die Headhunter mich als Freund erkennen. Ich kann mir das nicht erklären.”

“Aber lasst uns erst von hier verschwinden”, mahnte Alaska. “Die Siedlung sieht nicht komplett verlassen aus. Wir sollten weg sein, bevor jemand zurückkommt.“

Nachdem wir den Standort gewechselt hatten, nahm ich die Gladius von Lyrana genau unter die Lupe. Ich war mir nicht sicher, ob es mich überraschte, aber ich fand tatsächlich etwas. Eine bestimmte Platine hatte das Freund-Signal an die Headhunter gesendet. Ich zog den Chip aus dem Sockel der Platine. Darunter stand ‘HD Flight Blade Prototyp TX0010’. Es war einer der Flight Blade Prototypen, die Hurston Dynamics an Piratengruppen in Pyro verkauft hatte. Vorsichtig steckte ich den Chip wieder in den Sockel und die Platine in den Schacht. Dann berichtete ich der Gruppe, aber nicht alles.

“Ich hab die Ursache gefunden. In der Gladius ist eine Platine verbaut, die das Freund-Signal an die Headhunter gesendet hat.”

Eine hitzige Diskussion entbrannte. Besonders Brubacker war außer sich. Lyrana versuchte, sich zu verteidigen.

“Leute ich will total transparent sein. Die Gladius habe ich in einem Frachter gefunden, der aus dem Sprungtunnel gefallen, verlassen und antriebslos war. Nach der Bergung habe ich die Gladius in meinen Besitz genommen. Die Platine habe ich nicht eingebaut.”

Das stimmte überein mit dem, was ich über sie gelesen hatte. Trotzdem verschwieg ich weiterhin, dass ich ihre Akte kannte und dass die Platine von Huston Dynamics war. Ihre Geschichte kam mir vertraut vor. Auch ich hatte mir schon Raumschiffe angeeignet, die ich gefunden hatte. Du kannst behalten, was Du findest – sagt das Gesetz der Wüste. Und was den Eintrag in der Akte zu ihrer geringen Gruppendynamik-Bindung betraf, Brubacker hatte gesagt, dass ich das auch hätte. War Lyrana doch vertrauenswürdig? Zumindest war sie bisher hilfreich gewesen. Ich beschloss, die hitzige Diskussion zu beenden.

 “Hört mal her, wir haben gerade einen Sandsturm erlebt und wurden vom Sand aufgekratzt. Es ist besser jetzt zu schlafen und alles sacken zu lassen. Dann haben wir einen klareren Kopf, um unsere Mitte wiederzufinden.“

Später berichtete ich Brubacker und Friedrich von der Akte über Lyrana sowie davon, dass die Platine von Hurston Dynamics stammte. Wir beschlossen, ihr zu glauben, wollten aber trotzdem vorsichtig bleiben.